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Zitierangaben: Vergabeblog.de vom 16/10/2023 Nr. 54082

Angebot zu spät eingegangen, Ausschluss trotzdem unwirksam: Der öffentliche Auftraggeber muss über technische Schwierigkeiten aufklären! (VK Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 25.05.2023 – VPS 12/23)

EntscheidungGrundsätzlich ist ein Angebot, das nach Ablauf der Angebotsfrist eingeht, von dem weiteren Vergabeverfahren auszuschließen. Wenn die Ursache für die Verspätung an der besonderen Bedienung der Vergabeplattform liegt und der öffentliche Auftraggeber über die besonderen Anforderungen nicht belehrt hat, ist das verspätet eingereichte Angebot dennoch zuzulassen.

Leitsatz

  1. Ein nach der Angebotsfrist eingegangenes Angebot ist grundsätzlich nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A zwingend auszuschließen. Das Angebot darf jedoch nicht ausgeschlossen werden, wenn die Ursache für die verspätete Abgabe allein dem öffentlichen Auftraggeber zuzuordnen ist (VK Karlsruhe, Beschluss vom 30.12.2016, Az.: – 1 VK 51/16 -, juris, Rn. 70).
  2. Auf Besonderheiten der Bedienung muss der Auftraggeber nach § 11a Abs. 3 VOB/A hinweisen. Die Informationen sind den Bietern jederzeit einsehbar oder dauerhaft in Schriftform oder auf einem Datenträger bereitzustellen. Dazu reicht ein Hinweis in den Vergabeunterlagen auf eine allgemein zugängliche Quelle, wie z. B. eine Internetseite, aus.
  3. Kann ein Bieter sich bei einem zweistufigen Login auf dem Vergabeportal ohne Beachtung der Groß- und Kleinschreibung, aber später für die Angebotsabgabe nur bei Beachtung dieser einloggen, ist dies eine Besonderheit der Bedienung der verwendeten Vergabeplattform, auf die der Auftraggeber hinweisen muss, wenn er nicht generell auf Informationen nach § 11a Abs. 3 VOB/A verweist (Entscheidung der Vergabeprüfstelle des Landes Rheinland-Pfalz, VPS 12/23 vom 25.05.2023).

Sachverhalt

Eine öffentliche Auftraggeberin schrieb eine Bauleistung im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung nach §§ 3 Nr. 1, 3 a Abs. 1 Satz 1 VOB/A 2019 aus. Die Bekanntmachung erfolgte am 12.01.2023 über ein deutsches Vergabeportal. Die Abgabe von Angeboten erfolgte über das Vergabeportal mithilfe einer weitergehenden Software. Die Angebotsfrist endete am 07.02.2023 um 10:00 Uhr. Um 09:59 Uhr desselben Tages bat die Bieterin die Auftraggeberin, die Submission auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben, da die Ausschreibung über die Vergabeplattform nicht aufrufbar sei. Dieser Aufforderung kam die Auftraggeberin nicht nach. Die Bieterin konnte das Angebot erst um 10:02 Uhr abgegeben, weshalb die Auftraggeberin sie von der Vergabe ausschloss. Dies rügte die Bieterin sodann. Am 14.03.2023 verlangte sie, dass das Verfahren an die Vergabeprüfstelle (in Rheinland-Pfalz nach der Landesverordnung über die Nachprüfung von Vergabeverfahren von Vergabeprüfstellen vom 26.02.2023 im Unterschwellenbereich) abgegeben werden soll.

Die Entscheidung

Die Vergabekammer gab der Bieterin recht:

Die Bieterin ist Vertreterin sowohl der in dem Nachprüfungsverfahren relevanten Gesellschaft (X), als auch der Gesellschaft (Y). Vorliegendes Angebot sollte für die Gesellschaft X abgegeben werden. Diese beiden Gesellschaften haben jede für sich einen eigenen Account bei der Vergabeplattform. Mit dem jeweils dazugehörigen Account in der weitergehenden Software können vorher heruntergeladene Vergabeunterlagen eingesehen und Angebote eingereicht werden.

Hierbei ergab sich das erste Problem. Trotz Anmeldung mit dem Account von X auf der Vergabeplattform, wurden in der weitergehenden Software die Vergabeverfahren unter dem Account von Y angezeigt. Nur mithilfe eines Anrufes und Unterstützung durch den technischen Support der Vergabeplattform war eine Abmeldung des Accounts von Y in der weitergehenden Software möglich. Daraufhin ergab sich das zweite Problem. X musste sich zweistufig einloggen. Zunächst erfolgte die Anmeldung auf der Plattform mit „Info@…“. Bei der nachgelagerten Software funktionierte dies jedoch nicht. Erst nach Ausprobieren stellte sich heraus, dass die Anmeldung mit “info@…“ durchgeführt werden musste. Die Groß- und Kleinschreibung war bei der Eingabe des Benutzernamens auf der weitergehenden Plattform zu beachten, nicht aber auf der Vergabeplattform.

Die Vergabeprüfstelle stuft die Möglichkeit der unterschiedlichen Eingabe des Benutzernamens als Besonderheit bei der Bedienung der verwendeten Vergabeplattform ein. Dies könne – wie vorliegend der Fall – zu Anmeldeschwierigkeiten führen.

„Nach § 11a Abs. 3 VOB/A ist der öffentliche Auftraggeber dazu verpflichtet, alle notwendigen Informationen über die in einem Vergabeverfahren verwendeten elektronischen Mittel (Nr. 1), die technischen Parameter zur Einreichung von Teilnahmeanträgen, Angeboten mithilfe elektronischer Mittel (Nr. 2) und die verwendete Verschlüsselungs- und Zeiterfassungsverfahren (Nr. 3) zur Verfügung zu stellen.“

Zu diesen notwendigen Informationen zählen Anleitungen zur Bedienung und Installation der erforderlichen Vergabeplattform und Software (VK München, Beschluss vom 19.03.2023, Az.: – Z3-3-3194-1-54-11/17 -, juris, Rn. 111). Diese Informationen müssen jederzeit einsehbar oder dauerhaft in Schriftform oder auf einem Datenträger zum Abruf bereitstehen (Jauch in: Dieckmann/Schaf/Wagner-Cardenal, VgV, § 11, Rn. 23 m.w.N.).

„(…) Ein Hinweis in den Vergabeunterlagen auf eine allgemein zugängliche Quelle wie eine Internetseite reichen aus (VK München, Beschluss vom 19.03.2023, Az.: – Z3-3-3194-1-54-11/17 -, juris, Rn. 112; Zeiss in: jurisPK-VergabeR, 5, Aufl. 2016, VgV, § 11, Rn. 54). (…)“

Vorliegend hat die Auftraggeberin § 11a Abs. 3 VOB/A nicht beachtet, weil sie in den Vergabeunterlagen keinerlei Hinweise gegeben hat, wo die Informationen nach § 11a Abs. 3 VOB/A einsehbar sind. In der Bekanntmachung weist die Auftraggeberin lediglich darauf hin, „dass die Vergabeunterlagen unter der dort angegeben URL heruntergeladen werden können.“

Darüber hinaus weist die Auftraggeberin nur auf Nachfrage vom 02.05.2023 – also während des Nachprüfungsverfahrens – auf die Support-Website der Vergabeplattform und dessen Support-Hotline hin. Die Support-Webseite ist jedoch nicht allgemein zugänglich. Die weiteren Informationen sind erst nach dem erfolgreichen Login verfügbar. Die Informationen zum Login fehlen jedoch gerade. Die Support-Hotline stellt weder jederzeit einsehbare noch dauerhaft in Schriftform bereitgestellte Informationen dar. Auf beides wird in den Vergabeunterlagen nicht hingewiesen.

Die Teilnahme an Informationsveranstaltungen und Bieterschulungen aus den Jahren 2017 und 2018, die der Auftraggeber als erfolgte Information anführt und an welchen Vertreter der X teilgenommen haben, genügen § 11a Abs. 3 VOB/A ebenfalls nicht, zudem ist deren Aktualität im Jahr 2023 fraglich.

Aus vorstehenden Gründen geht die verspätete Angebotsabgabe nicht zulasten der Bieterin. Der Ausschluss des Angebotes war nicht zulässig. Die Auftraggeberin muss die Prüfung und Wertung der Angebote unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabeprüfstelle wiederholen.

Rechtliche Würdigung

Grundsätzlich ist es stimmig, dass die Bieter dafür Sorge zu tragen haben, ihr Angebot rechtzeitig einzureichen. Wenn dies jedoch aus Gründen der Programmierung der Plattform nicht ohne die Inanspruchnahme eines technischen Supports möglich ist, kann dies nicht zu Lasten der Bieter gehen. Die Entscheidung ist daher vielleicht überraschend, aber richtig.

Praxistipp

Auftraggeber sollten prüfen, ob die von Ihnen für die Durchführung der Vergabe ausgewählte Ausschreibungsplattform spezielle Anforderungen vorsieht und in den eigenen Vergabeunterlagen ausreichende Hinweise für die Bedienung vorgesehen sind. Bieter haben grundsätzlich selbst dafür zu sorgen, dass sie ihre Angebote rechtzeitig einreichen. Sollte dies jedoch aufgrund technischer Probleme nicht möglich gewesen sein, lohnt ein genauer Blick auf die technischen Probleme und die Prüfung, ob diese ausnahmsweise dem Auftraggeber zuzurechnen sind. Wenn ja, muss unverzüglich gerügt werden.

Susanne Corinth

Frau Susanne Corinth ist Rechtsanwältin im Vergaberecht und sowie Bau- und Architektenrecht bei Kohl law Rechtsanwaltsgesellschaft mbH. Sie berät sowohl öffentliche Auftraggeber bei der Durchführung von Vergabeverfahren, wie auch Bieter bei der Geltendmachung ihrer Rechte insbesondere im Zusammenhang bei der Vergabe von Bau- und Planungsleistungen.

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