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Zitierangaben: Vergabeblog.de vom 17/06/2024 Nr. 56724

Worauf müssen öffentliche Auftraggeber im Rahmen der Preisaufklärung achten? (VK Niedersachsen, Beschl. v. 15.11.2023 – VgK-32/2023)

EntscheidungDie Aufklärung ungewöhnlich niedriger Angebotspreise stellt öffentliche Auftraggeber regelmäßig vor große Herausforderungen, zumal diese verpflichtet sind, die Gründe für die Auswahlentscheidung nachvollziehbar zu dokumentieren (VK Bund, Beschluss vom 06.06.2023 – VK 1-39/23). Die vorliegende Entscheidung der Vergabekammer Niedersachsen zeigt, welche Anforderungen an die Preisaufklärung und Dokumentation zu stellen sind. Dabei geht die Vergabekammer davon aus, dass Gründe und Ermessenserwägungen grundsätzlich auch noch im Rahmen eines Vergabenachprüfungsverfahrens nachgeschoben werden können. Zudem stellt die Vergabekammer fest, dass leistungsbezogene Unterlagen, die wertungsrelevant sind, bei Bauvergaben gemäß § 16a EU Abs. 1 S. 1 VOB/A – anders als nach der VgV – nachgefordert werden können, da § 16a EU VOB/A keine § 56 Abs. 3 S. 1 VgV entsprechende Regelung enthält. Etwas anderes gilt, wenn der Auftraggeber gemäß § 16a EU Abs. 3 VOB/A in der Auftragsbekanntmachung oder den Vergabeunterlagen von vornherein festgelegt hat, dass er keine Unterlagen nachfordern wird.

§§ 16a EU Abs. 1 VOB/A, 16d EU Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 VOB/A

Sachverhalt

Ein öffentlicher Auftraggeber schrieb im Zusammenhang mit der Sanierung einer Schule europaweit Asbestbeseitigungsarbeiten im offenen Verfahren aus. Als Zuschlagskriterien waren der Preis mit 70 % und die Bewertung eines Sanierungskonzepts mit 30 % vorgegeben.

In der Erläuterung zu Formblatt 227 – Zuschlagskriterien – wurden die Bieter aufgefordert, mit ihrem Angebot ein entsprechendes Sanierungskonzept vorzulegen. Zudem wurde angegeben, dass die Nichtabgabe eines Konzepts zum Ausschluss vom Verfahren führt. In dem Dokument wurde den Bietern zugleich mitgeteilt, wie das Sanierungskonzept aufzubauen ist bzw. wie es bewertet wird. Unter Nr. 3.3. des Formblattes 211 EU war angegeben, dass fehlende Unterlagen, deren Vorlage mit dem Angebot gefordert war, vom Auftraggeber nachgefordert werden können.

Ein Fachunternehmen für Schadstoffsanierung, die spätere Antragstellerin, gab ebenso wie ein weiteres Fachunternehmen, die spätere Beigeladene, neben weiteren Bietern ein Angebot ab. Das Sanierungskonzept wurde von der Beigeladenen zunächst nicht beigefügt und von dem Auftraggeber nachgefordert.

Aufgrund spürbarer Preisunterschiede forderte der Auftraggeber die Antragstellerin und die Beigeladene im Rahmen der Angebotsprüfung jeweils zur Übermittlung der Formblätter 221/222 – Preisermittlung bei Zuschlagskalkulation – sowie des Formblattes 223 – Aufgliederung der Einheitspreise – auf, die von beiden fristgerecht übersandt wurden.

Der Auftraggeber prüfte die Unterlagen und kam zu dem Ergebnis, dass die Angebotspreise der Beigeladenen auf niedrigem, regional marktüblichem Niveau lägen, aber dennoch auskömmlich seien. Im Anschluss wurde die Antragstellerin mit Vorabinformationsschreiben darüber informiert, dass ihr Angebot nicht das wirtschaftlichste Angebot sei und der Auftraggeber beabsichtige, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen.

Die Antragstellerin rügte die beabsichtigte Zuschlagserteilung und trug vor, dass die Beigeladene ein offensichtlich unterkalkuliertes, unangemessen niedriges Preisangebot eingereicht habe.

Der Auftraggeber half der Rüge nicht ab, woraufhin die Antragstellerin ein Nachprüfungsverfahren einleitete. Während des laufenden Nachprüfungsverfahrens führte der Auftraggeber eine weitergehende Auskömmlichkeitsprüfung durch, die in einem fortgeführten Vergabevermerk dokumentiert wurde.

Die Entscheidung

Der Nachprüfungsantrag ist unbegründet. Die Wertung des Angebots der Beigeladenen war nach Ansicht der Vergabekammer nicht zu beanstanden. Ein Ausschluss des Angebots war nicht geboten.

Zulässige Nachforderung des Sanierungskonzepts gemäß § 16a EU Abs. 1 VOB/A

Die Nachforderung des Sanierungskonzepts der Beigeladenen war gemäß § 16a EU Abs. 1 VOB/A zulässig, obwohl dieses ausweislich der vorgegebenen Zuschlagskriterien wertungsrelevant war.

Zur Begründung führt die Vergabekammer aus, dass das Nachfordern wettbewerbsrelevanter Unterlagen in der VOB/A nach wie vor anders gehandhabt werde als in der VgV. § 16a EU VOB/A enthalte keine § 56 Abs. 3 S. 1 VgV entsprechende Regelung, wonach die Nachforderung von leistungsbezogenen Unterlagen, die die Wirtschaftlichkeitsbewertung der Angebote anhand der Zuschlagskriterien betreffen, ausgeschlossen sind. Folglich könnten im Anwendungsbereich der VOB/A auch solche Unterlagen nachgefordert werden, die in die Angebotsbewertung einfließen (Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht, 4. Auflage, § 16a EU VOB/A  Rn. 11). So seien beispielsweise fehlende oder unvollständige Produktangaben auch dann nachzufordern, wenn die zu benennenden Produkte in die Bewertung qualitativer Zuschlagskriterien eingingen. Nachzufordern seien demnach etwa fehlende oder unvollständige Konzepte (Ausführungskonzepte, Konzepte zur Kostenkontrolle usw.), wenn diese bei der Bewertung nichtpreislicher Zuschlagskriterien eine Rolle spielten (Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Auflage, § 16a EU VOB/A Rn. 18).

Zudem sei eine § 56 Abs. 3 VgV entsprechende Regelung in der VOB/A 2019 bewusst nicht verankert worden, um – wiederum vor dem Hintergrund des Erhalts eines möglichst umfassenden Wettbewerbs – das wirtschaftlichste Angebot im Sinne des optimalen Preis-Leistungs-Verhältnisses zu ermitteln (Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht, 4. Auflage, § 16a EU VOB/A  Rn. 11).

Der Auftraggeber habe in den Vergabeunterlagen einerseits die Abgabe des Sanierungskonzepts mit Angebotsabgabe festgelegt, sich andererseits aber die Möglichkeit der Nachforderung fehlender Unterlagen, deren Vorlage mit dem Angebot gefordert war, eingeräumt. Von seinem Recht, gemäß § 16a EU Abs. 3 VOB/A festzulegen, keine Unterlagen oder Preisangaben nachzufordern, habe der Auftraggeber folglich keinen Gebrauch gemacht.

Die Nachforderung des Sanierungskonzepts sei daher gemäß § 16a EU Abs. 1 VOB/A vergaberechtskonform erfolgt, weshalb ein Ausschluss des Angebots der Beigeladenen gemäß § 16 EU Nr. 3 S. 1 VOB/A nicht geboten war.

Angemessene Preisaufklärung gemäß § 16d EU Abs. 1 VOB/A

Der Ausschluss des Angebots der Beigeladenen war nach Ansicht der Vergabekammer auch nicht gemäß § 16d EU Abs. 1 VOB/A erforderlich, da der Auftraggeber den auffällig niedrigen Angebotspreis der Beigeladenen zu Recht überprüft habe und seine Entscheidung, der Angebotspreis sei auskömmlich, den Anforderungen an eine vergaberechtskonforme Ausübung des ihm zustehenden Ermessens genüge.

Insofern hat sich die Vergabekammer vertieft und nachvollziehbar mit den Anforderungen auseinandergesetzt, die ein Auftraggeber im Rahmen der Aufklärung eines unangemessen niedrig erscheinenden Angebotspreises gemäß § 16d EU Abs. 1 Nr. 2 VOB/A zu berücksichtigen hat.

Die Prüfung müsse danach darauf gerichtet sein, eine gesicherte Erkenntnisgrundlage für die zu treffende Entscheidung zu schaffen, indem der Auftraggeber von dem Bieter Erläuterungen zu den angebotenen Preisen verlange und ihm Gelegenheit gebe, die Seriosität seines Angebotes nachzuweisen (VK Bund, Beschluss vom 15.11.2021 – VK 1-112/21). Eine ordnungsgemäße Aufklärung nach erfolgter Vorlage von Unterlagen über die Preisermittlung erfordere zudem eine konkrete Auseinandersetzung mit den Angaben des Bieters im Sinne einer vertieften Überprüfung.

Maßgeblich für die Entscheidung, ob ein Angebotspreis tatsächlich unangemessen niedrig ist, sei dabei, ob der Auftraggeber nach Überprüfung der eingeholten Auskünfte so erhebliche Zweifel an einer ordnungsgemäßen Vertragserfüllung haben darf, dass ihm bei objektiver Betrachtung ein Zuschlag wegen der damit verbundenen Risiken nicht zugemutet werden könne. Die Erteilung des Zuschlages auf ein Unterkostenangebot sei dabei nicht per se unzulässig, solange die Prognose gerechtfertigt sei, der Bieter werde zum angebotenen Preis zuverlässig und vertragsgerecht leisten (Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht, 4. Auflage, § 16d EU VOB/A  Rn. 12).

Bei der Überprüfung der Entscheidung des Auftraggebers durch die Vergabekammer habe diese nicht zu bewerten, ob das Angebot tatsächlich auskömmlich sei, sondern ob die Entscheidung des Auftraggebers, das Angebot als auskömmlich zu bewerten, auf Basis eines zutreffend und hinreichend ermittelten Sachverhaltes und einer gesicherten Erkenntnisgrundlage getroffen wurde und im Ergebnis nachvollziehbar und vertretbar sei. Diese Prognoseentscheidung, bei der der Auftraggeber über einen Beurteilungsspielraum verfüge, unterliege nur einer eingeschränkten Nachprüfbarkeit durch die Nachprüfungsbehörden und Gerichte. Im Nachprüfungsverfahren sei dieser Beurteilungsspielraum daher nur auf etwaige Beurteilungsfehler hin zu überprüfen (VK Bund, Beschluss vom 24.11.2022 – VK 2-94/22; VK Sachsen, Beschluss vom 25.05.2022 – 1/SVK/005-22). Wenn dem Auftraggeber dabei so viele Anhaltspunkte vorlägen, dass diese in ihrer Gesamtheit stimmig für die Auskömmlichkeit des Angebots sprächen, bliebe die Entscheidung des Auftraggebers bestehen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.07.2018 – Verg 19/18).

Unter Berücksichtigung des vorgenannten Prüfungsmaßstabes gelangte die Vergabekammer zu der überzeugenden Ansicht, dass die Entscheidung des Auftraggebers, den Preis des Angebots der Beigeladenen als auskömmlich anzusehen, nachvollziehbar und nicht zu beanstanden sei.

Dabei wies die Vergabekammer darauf hin, dass der Auftraggeber auch berechtigt gewesen sei, im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens erneut in die Angebotsprüfung einzutreten und seine Dokumentation entsprechend zu ergänzen. Gründe bzw. Ermessenserwägungen könnten auch im Vergabenachprüfungsverfahren nachgeschoben werden, wobei der Dokumentationspflicht genügt werde, wenn dies in anwaltlichen Schriftsätzen erfolge (OLG Celle, Beschluss vom 13.01.2011 – 13 Verg 15/10). Die Nachholung der Dokumentationspflicht im Nachprüfungsverfahren sei zulässig, soweit die ergänzenden Erwägungen oder Erläuterungen sich auf Begründungen bezögen, die im Kern bereits im Vergabevermerk angelegt seien.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung der Vergabekammer überzeugt.

Nachfordern wertungsrelevanter Unterlagen ist bei Bauvergaben zulässig

Die Vergabekammer hat die Nachforderung des Sanierungskonzepts nachvollziehbar als zulässig erachtet.

Ausweislich Formblatt 211 EU, dort unter Nr. 3.3, hatte sich der Auftraggeber ausdrücklich vorbehalten, fehlende Unterlagen, deren Vorlage mit dem Angebot gefordert waren, nachzufordern. Entgegen § 16a EU Abs. 3 VOB/A hatte der Auftraggeber folglich gerade nicht festgelegt, dass er keine Unterlagen nachfordern würde.

Dabei wird nicht unberücksichtigt gelassen, dass in den Erläuterungen zu Formblatt 227 vorgegeben war, dass die Nichtabgabe eines Konzepts zum Ausschluss des Angebots führen sollte. Nach dem maßgeblichen Empfängerhorizont eines verständigen Bieters dürfte dies jedoch so zu verstehen sein, dass nur die endgültige Nichtabgabe eines Sanierungskonzepts zum Ausschluss führen sollte und sich der Auftraggeber bewusst das Nachfordern von Unterlagen unter Nr. 3.3 des Formblatts 211 EU vorbehalten hat. Dies vor dem Hintergrund, dass gemäß § 16a EU Abs. 1 S. 1 VOB/A grundsätzlich eine Nachforderungspflicht besteht, wenn der Auftraggeber nicht von der Möglichkeit gemäß § 16a EU Abs. 3 VOB/A Gebrauch gemacht hat, eine Nachforderung in der Auftragsbekanntmachung oder den Vergabeunterlagen von vornherein auszuschließen (Kapellmann/Messerschmidt, VOB Teil A/B, 8. Auflage, § 16a VOB/A Rn. 1).

Die Vergabekammer ist auch nachvollziehbar zu der Ansicht gelangt, dass es dem Nachfordern des Sanierungskonzepts nicht entgegenstand, dass dieses im Rahmen der Zuschlagskriterien zu berücksichtigen war und somit Wertungsrelevanz aufwies.

§ 56 Abs. 3 S. 1 VgV regelt, dass die Nachforderung von leistungsbezogenen Unterlagen, die die Wirtschaftlichkeitsbewertung der Angebote anhand der Zuschlagskriterien betreffen, ausgeschlossen ist. Diese Vorschrift findet auf die Vergabe von Bauaufträgen gemäß § 2 S. 1 VgV jedoch keine Anwendung. Das Nachfordern leistungsbezogener Nachweise, die wertungsrelevant sind, richtet sich bei Bauaufträgen demnach gemäß § 16a EU Abs. 1 S. 1 VOB/A. § 16a EU Abs. 1 S. 1 VOB/A enthält wiederum keine dem § 56 Abs. 3 S. 1 VgV entsprechende Regelung, sodass fehlende leistungsbezogene Unterlagen – wie von der Vergabekammer angenommen – auch dann nachzufordern sind, wenn sie wertungsrelevant sind.

Insofern wird etwa im Vergaberechtskommentar Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Auflage, § 16a EU VOB/A Rn. 18, überzeugend wie folgt ausgeführt:

,,Da § 16a EU VOB/A (2019) keine dem § 56 Abs. 3 S. 1 VgV entsprechende Regelung enthält, sind fehlende oder unvollständige leistungsbezogene Unterlagen auch dann nachzufordern, wenn sie wertungsrelevant sind, also z.B. bei der Bewertung qualitativer Zuschlagskriterien eine Rolle spielen. So sind z.B. fehlende oder unvollständige Produktangaben auch dann nachzufordern, wenn die zu benennenden Produkte in die Bewertung qualitativer Zuschlagskriterien eingehen. Nachzufordern wären beispielsweise auch fehlende oder unvollständige Konzepte (Ausführungskonzept, Konzept zur Kostenkontrolle etc.), wenn diese bei der Bewertung nichtpreislicher Zuschlagskriterien eine Rolle spielen.

Dieser Ansicht hat sich die Vergabekammer angeschlossen.

Entsprechendes wird auch in dem Erlass des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat (BMI) vom 26.02.2020 zur Auslegung und Anwendung von einzelnen Regelungen der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil A (Az. 70421/2#1 ff.) vertreten. Dort heißt es auf S. 4 zur Nachforderung von Unterlagen gemäß § 16a Abs. 1 VOB/A wie folgt:

,,Die jüngere rechtspolitische Entwicklung im Bauvergaberecht ist davon geprägt, im Interesse der Erhaltung eines möglichst umfassenden Wettbewerbs die Anzahl der am Wettbewerb teilnehmenden Angebote nicht unnötig wegen formaler Mängel zu reduzieren. Dem will die VOB/A 2019 ausdrücklich Rechnung tragen. Die dieser Auffassung entgegenstehende Rechtsprechung zur VOB/A ist zur alten Rechtslage ergangen und somit auf die VOB/A 2019 nicht ohne weiteres übertragbar. Da die Rechtsprechung aber auch gleichgelagerte Fälle im Anwendungsbereich der VgV erfasste, besteht ein Risiko, dass die Rechtsprechung auch die neue Vorschrift in bisheriger Weise und damit anders als hier vorgenommen auslegt. Dies bitte ich im Einzelfall abzuwägen. Aus den gleichen Erwägungen (zum Erhalt eines möglichst umfassenden Wettbewerbs) sind leistungsbezogene Unterlagen, die die Wirtschaftlichkeitsbewertung anhand der Zuschlagskriterien betreffen, im Rahmen von § 16a VOB/A nachzufordern. Auch hier geht es darum, das materiell beste, sprich wirtschaftlichste Angebot im Sinne des optimalen Preis-Leistungs-Verhältnisses zu ermitteln. Da der Bieter nicht weiß, welche Unterlagen seine Mitbewerber vorgelegt haben, kann er sein Angebot hierauf nicht ausrichten. Den Grundsätzen der Gleichbehandlung und der Transparenz wird daher Genüge getan. Eine § 56 Absatz 3 VgV vergleichbare Norm wurde in den Nachforderungsregelungen der VOB/A nicht verankert. Gleiches gilt sinngemäß für den zweiten und dritten Abschnitt der VOB/A.

Der Wortlaut des § 16a EU Abs. 1 S. 1 VOB/A lässt eine Nachforderung leistungsbezogener Unterlagen, die wertungsrelevant sind, ausdrücklich zu und es fehlt an einer planwidrigen Regelungslücke, sodass eine analoge Anwendung des § 56 Abs. 3 S. 1 VgV ausscheidet.

Vergaberechtskonforme Angebotsaufklärung gemäß § 16d EU Abs. 1 Nr. 2 VOB/A

Es überzeugt, wenn die Vergabekammer anhand des dargestellten Beurteilungsspielraums zu der Ansicht gelangt, dass der Angebotspreis der Beigeladenen von dem Auftraggeber entsprechend § 16d EU Abs. 1 Nr. 2 VOB/A vergaberechtskonform aufgeklärt wurde.

Im Hinblick auf den vom Auftraggeber gemäß § 16d EU Abs. 1 Nr. 2 VOB/A anzustellenden Prüfungsaufwand kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass dieser angesichts des vergaberechtlich bezweckten, möglichst raschen Abschlusses des Vergabeverfahrens sowie unter Berücksichtigung der nicht in unbegrenztem Umfang zu Gebote stehenden verwaltungsmäßigen und finanziellen Ressourcen von vornherein auf ein zumutbares Maß beschränkt ist (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17.02.2016 – Verg 28/15; Kapellmann/Messerschmidt, VOB-Kommentar, Teil A/B, 8. Auflage 2022, § 16d VOB/A Rn. 10).

Insofern hatte die Vergabekammer Niedersachsen bereits in einer vorangegangenen Entscheidung überzeugend festgestellt, dass es sich bei der Angemessenheitsprüfung um eine Plausibilitätsprüfung handelt und der Auftraggeber nicht per se gehindert ist, den Zuschlag sogar auf ein Unterkostenangebot zu erteilen, wenn der Bieter durch nachvollziehbare Angaben zur Aufklärung beigetragen hat. Entscheidend ist dabei, dass plausibel nachvollzogen werden kann, dass an einer ordnungsgemäßen Leistungsdurchführung keine Zweifel bestehen (VK Niedersachsen, Beschluss vom 18.06.2021 – VgK-17/2021).

Würde man die Anforderungen an eine entsprechende Plausibilitätsprüfung weiter überspannen, wäre eine entsprechende Preisprüfung für öffentliche Auftraggeber angesichts der personellen und zeitlichen Kapazitäten überdies nicht praktikabel. Da Bieter regelmäßig der „Fehlvorstellung“ unterliegen, ihr eigener Preis sei der „einzig wahre Marktpreis“, weshalb der niedrigere Preis des Erstplatzierten unangemessen niedrig sein müsse, könnten Vergabeverfahren zudem in einem unangemessenen Ausmaß torpediert werden, wenn man die Anforderungen an die Plausibilitätsprüfung weiter anheben würde. Dies erscheint nicht sachgerecht.

Weitergehende Angebotsaufklärung im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens

Es war nach Ansicht der Vergabekammer zulässig, eine weitergehende Preisprüfung erst während des laufenden Nachprüfungsverfahrens durchzuführen, selbst wenn dadurch dem Nachprüfungsantrag die Grundlage entzogen wird (VK Bund, Beschluss vom 26.03.2021 – VK-2-13/21; OLG Rostock, Beschluss vom 06.09.2019 – 17 Verg 6/18). Im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens sollten Auftraggeber und Bieter daher berücksichtigen, dass Gründe bzw. Ermessenserwägungen noch im Vergabenachprüfungsverfahren nachgeschoben werden können, wobei es hinsichtlich der Dokumentationspflicht grundsätzlich genügt, wenn dies in anwaltlichen Schriftsätzen erfolgt (OLG Celle, Beschluss vom 13.01.2011 – 13 Verg 15/10; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.07.2010 – Verg 19/10). In Anlehnung an § 114 S. 2 VwGO, wonach Ermessenserwägungen noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzt werden können, überzeugt diese Ansicht.

Praxistipp

Wann ein unangemessen niedriger Angebotspreis und somit eine Aufklärungspflicht des Auftraggebers vorliegt, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls. In der Rechtsprechung wird insofern überwiegend vertreten, dass bei einer preislichen Abweichung von mehr als 20 % zum nächsthöheren Angebot eine kritische Grenze überschritten wird, die eine Aufklärungspflicht des Auftraggebers begründet (VK Sachsen, Beschluss vom 25.05.2022 – 1/SVK/005-22; VK Niedersachsen, Beschluss vom 15.11.2023 – VgK-32/2023).

Erscheint ein Angebotspreis unangemessen niedrig, sind Auftraggeber verpflichtet, in die Preisaufklärung einzusteigen und die Auskömmlichkeit des Angebots zu überprüfen. Dabei ist es für Auftraggeber von hervorgehobener Bedeutung, die vertiefte Preisprüfung und Preisaufklärung umfassend zu dokumentieren. Bei Unterkostenangeboten ist der Auftraggeber insofern gehalten, sorgfältig zu prüfen, ob eine einwandfreie Leistungserbringung gesichert ist. Zugleich muss der Auftraggeber seine für die abschließende Entscheidung maßgeblichen Erwägungen so dokumentieren, dass nachvollziehbar ist, wie die Überprüfung der Kalkulation von ihm vorgenommen wurde. Die Begründung muss dabei sämtliche Informationen enthalten, die notwendig sind, um die Entscheidung nachvollziehen zu können (VK Bund, Beschluss vom 06.06.2023 – VK 1-39/23).

Anders als Bieter teilweise annehmen, überprüft die Vergabekammer jedoch nicht die tatsächliche Auskömmlichkeit der angebotenen Preise, sondern nur, ob das Verfahren des Auftraggebers, mit dem dieser die Auskömmlichkeit überprüft und bejaht hat, nachvollziehbar und sachgerecht durchgeführt wurde (VK Nordbayern, Beschluss vom 14.03.2019 – RMF-SG21-3194-4-5). Bei der Entscheidung, ob vermeintlich benachteiligte Bieter ein Nachprüfungsverfahren einleiten, sollten diese daher berücksichtigten, dass die Frage der Auskömmlichkeit von Angebotspreisen einer nur beschränkt von der Vergabekammer überprüfbaren Prognoseentscheidung des Auftraggebers unterliegt, weshalb die Hürden für ein erfolgreiches Nachprüfungsverfahren regelmäßig hoch sind.

Hinweis der Redaktion

Der Autor war an dem Nachprüfungsverfahren als Verfahrensbevollmächtigter beteiligt einfügen.

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Jan-Eric Smolarek

Der Autor Jan-Eric Smolarek ist Fachanwalt für Vergaberecht und Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht bei der Wirtschaftskanzlei Dr. Schackow & Partner in Bremen und Hamburg. Er berät öffentliche Auftraggeber und Bieter bei der Durchführung von nationalen und europaweiten Vergabeverfahren und vertritt deren Interessen bundesweit in Nachprüfungsverfahren vor den zuständigen Vergabekammern. Zudem veröffentlicht Herr Smolarek regelmäßig Fachbeiträge und führt Schulungen zum Vergaberecht durch.

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