Hohe Hürden für die Beteiligung an Vergabeverfahren, große kapazitive Aufwände für Unternehmen bei der Angebotserstellung bei gleichzeitigem Fachkräftemangel, ein Fokus öffentlicher Auftraggeber auf Preiswettbewerb und damit großer Preisdruck bei den Anbietern – sehr häufig beteiligen sich nur wenige, oftmals nur ein einziger Bieter an Vergabeverfahren. Was ist die Folge und wie können Auftraggeber gegensteuern?
Die Prüfer des Europäischen Rechnungshofs zeichnen in einem im Dezember 2023 veröffentlichten Bericht (siehe Vergabeblog.de vom 05/12/2023, Nr. 55127) ein ernüchterndes Bild: Der Wettbewerb in den meisten EU-Staaten ist zurückgegangen, es besteht ein abnehmendes Interesse bei Unternehmen, sich an öffentlichen Ausschreibungen zu beteiligen. Dabei ist die Anzahl der an Vergabeverfahren beteiligten Bieter ein zentraler Wettbewerbsindikator.
Denn mit einer geringen Bieterbeteiligung an Vergabevergabeverfahren und einem einhergehenden schwachen Wettbewerb steigt die Gefahr, dass die jeweiligen Beschaffungen nicht wirtschaftlich sind. So sorgt ein schwacher Bieterwettbewerb grundsätzlich für hohe Preise bei allenfalls mäßiger Qualität. Diese Konsequenz trifft Auftraggeber im Kern ihrer Aufgaben. Dass Auftraggeber am Ende des Vergabeverfahrens mit dem Zuschlag eine Auswahlentscheidung zu treffen haben, wird de facto zur Farce.
Das Ziel einer Steigerung der Bieterbeteiligung an Vergabeverfahren ist nur dann erreichbar, wenn an den Ursachen des geringen Bieterwettbewerbs angesetzt wird. Dabei beklagen Bieter etwa laut dem oben genannten Bericht des Europäischen Rechnungshofs die Dauer von Vergabeverfahren als zu lang, Vergabeverfahren als zu kompliziert und die Beteiligung hieran als zu aufwendig. Auch sei der niedrige Preis noch immer das bevorzugte Zuschlagskriterium, die Vergabe nach qualitativen, ökologischen, sozialen und/oder innovativen Kriterien habe nur nachrangige Bedeutung. Vor allem mit Blick auf ökologische und soziale Kriterien (Nachhaltigkeitskriterien) ist zu betonen, dass eine Vergabe hiernach gerade politisches Ziel ist und daher insbesondere klassische öffentliche Auftraggeber hier eine Leitbildfunktion haben (sollten).
Die fehlende Attraktivität öffentlicher Aufträge lässt sich dabei weiterhin konkret etwa auf hohe personelle und zeitliche Aufwände aufseiten der Unternehmen für die Angebotserstellung, zu hohe und nicht marktgerechte Leistungsanforderungen, oftmals schlechte Planung, Intransparenzen mit Blick auf die Leistungsbeschreibung und die Verfahrensgestaltung und Zugangsbarrieren zum Wettbewerb, etwa durch zu eng bestimmte Referenzvorgaben, zurückführen.
Ansatzpunkte und vergaberechtliche Hebel, den Kreis potenzieller Bieter zu erhöhen, sind dabei – ebenso wie die Ursachen der geringen Bieterbeteiligung – vielfältig.
Die erste Weichenstellung schafft der Auftraggeber durch ein Selbstverständnis des Einkaufs als strategischer Facheinkauf, der Vergabeverfahren nicht lediglich als Bestellbüro operativ durchpeitscht. Vielmehr sollte er mit dem Ziel wirtschaftlicher und bedarfsgerechter Beschaffungen und damit eines optimalen Kosten-Nutzen-Verhältnisses der jeweiligen Beschaffung einen echten Wertschöpfungsbeitrag für die Aufgabenerledigung des Auftraggebers leisten und damit auch konkrete Beschaffungsziele, aber auch konkrete Risiken und Hindernisse in das Vergabeverfahren implementieren und hier eine Steuerungsaufgabe übernehmen. Erst mit einem solchen Selbstverständnis lässt sich eine intrinsische Motivation des Einkaufs für das Ziel einer Intensivierung des Anbieterwettbewerbs ableiten.
Ein konkreter Anknüpfungspunkt für eine Vergrößerung von Wettbewerb ist etwa ein Abbau des Aufwands der Bieter, Teilnahmeanträge und Angebote einzureichen. Eine Steuerungsmöglichkeit hierfür ist die Vereinfachung und Standardisierung von Formblättern im Rahmen der Vergabeunterlagen. Diese sollten einfacher und übersichtlicher gestaltet werden, Redundanzen oder gar Widersprüche in quantitativer Hinsicht sollten „eingedampft“ und die Inhalte an die jeweils aktuelle Rechtslage angepasst werden. Zudem bietet es sich an, dafür zu sorgen, dass die Anbieter nicht zig separate Unterlagen/Dateien einreichen müssen, sondern die notwendigen Formblätter bzw. Angaben zu bündeln und hier einen Fokus auf die Abfrage von Eigenerklärungen mit Blick auf die Eignung und Ausschlussgründe zu setzen.
Eine weitere Zielstellung liegt darin, jeweils sinnvolle Vergabestrategien/-konzeptionen für Beschaffungen aufzusetzen – „Kenne deinen Markt“ ist hier oberste Prämisse. Denn der Markt wird vom Auftraggeber nur erreicht, wenn dieser ihn kennt, etwa in Bezug auf
Erst auf der Grundlage einer dezidierten Marktkenntnis kann der Auftraggeber eine fundierte Entscheidung treffen, ob er im Hinblick auf den Zugang von Unternehmen zum Bieterwettbewerb etwa Eignungskriterien bzw. Anforderungen an den Beschaffungsgegenstand, Ausschlusskriterien und qualitative Bewertungskriterien eher eng oder weit gestaltet. Auf diese Weise kann beispielsweise Start-ups und kleinen Unternehmen bei innovativen Beschaffungen Zugang zum Wettbewerb verschafft werden. Über eine entsprechende beschaffungsbezogene Markterkundung ist darüber hinaus – je nach Beschaffungsgegenstand – ein Marktdialog im Vorfeld des Vergabeverfahrens empfehlenswert. Denn der aktive Austausch mit dem Markt ist für den Auftraggeber ein probates Mittel, um sich das Know-how des Marktes nutzbar zu machen und auch im Vorfeld des Vergabeverfahrens die zeitliche Verfügbarkeit auf Anbieterseite zu klären. Dies hilft insgesamt, die vorgesehenen Anforderungen an den Beschaffungsgegenstand zu reflektieren und entsprechende Beschaffungsvorhaben für das Interesse der Unternehmen aufgrund der damit einhergehenden Publizität zu öffnen.
Die Nutzbarmachung von Bieter-Know-how und auch die Eingliederung von Bieterinteressen in die Leistungsbeschreibung lassen sich ebenfalls durch die Verfahrenswahl und die Gestaltung des Vergabeverfahrens sicherstellen. So ist die Einbringung von Bieterinteressen und deren Know-how ein wesentlicher Punkt, die Attraktivität einer Ausschreibung für Bieter zu erhöhen: Dass etwa das Aufdecken von Fehlern und/oder die Identifizierung von Optimierungspotenzial in der Leistungsbeschreibung im Rahmen der Angebotsbewertung bewertet werden können und damit zugleich das Potenzial späterer Nachträge deutlich verringert werden kann, sei hier nur beispielhaft erwähnt. Ebenso positiv wirkt sich – je nach Beschaffungsgegenstand – die Festlegung qualitativer Zuschlagskriterien aus, da ein reiner Preiskampf einer hohen Bieterbeteiligung nicht zuträglich ist. Ein weiteres Erfolgsrezept für die Intensivierung von Wettbewerb ist schließlich die Öffnung der Verfahren wie auch der jeweiligen ausgeschriebenen Verträge für mehr Flexibilität. Auch hierfür hält das Vergaberecht zahlreiche Instrumente bereit.
Zusammenfassend beinhaltet das Vergaberecht zahlreiche Regelungen und Ansatzmöglichkeiten, die gerade nicht nur verhindernd wirken und aufwendig sind, sondern als wichtige Hebel für eine strategische Beschaffung genutzt werden können und sollten. Insgesamt werden sich sämtliche Maßnahmen und Mittel zur Schaffung von Flexibilität und Öffnung positiv auf die Motivation von Unternehmen, sich an Vergabeverfahren zu beteiligen, und damit auf die Wirtschaftlichkeit der Beschaffung auswirken.
Die eingangs erwähnte Weichenstellung über das Selbstverständnis des Einkaufs als strategischer Facheinkauf ist zentral für die Etablierung einer auf Wirtschaftlichkeit ausgerichteten Beschaffungsstrategie. Dies erfordert bei vielen an das Vergaberecht gebundenen Auftraggebern einen Bewusstseinswandel und folglich eine Transformation des Einkaufs.
Zentrale Voraussetzung dafür, dass der Einkauf die entsprechend erforderlichen rechtlichen Hebel und Gestaltungsspielräume für zahlreiche Beschaffungsvorhaben systematisch und gezielt nutzen kann, ist neben einer sicheren Vergaberechtsexpertise eine Gewährleistung der Effizienz des Einkaufs. Hierfür sind insbesondere die einzelnen Prozesse im Einkauf optimal einzustellen, was etwa durch die Nutzung von Prozessbeschreibungen mit Checklisten (Vergabehandbüchern) gut gelingen kann. Für eine gute Aufstellung des Einkaufs für die Ziele einer strategischen Beschaffung mit einer Vergrößerung der Bieterbeteiligung ist daher eine gesamtheitliche Betrachtung zwischen rechtlichen und prozessbezogenen Hebeln notwendig.
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Die Autorin ist Rechtsanwältin und Senior Manager bei Ernst & Young Law GmbH, Rechtsanwaltsgesellschaft Steuerberatungsgesellschaft, Mannheim. Ihre Schwerpunkte in der vergaberechtlichen Beratung sind die Prüfung und Beratung komplexer vergaberechtlicher Fragestellungen sowie die Strukturierung, Konzeption und die Durchführung von Vergabeverfahren. Darüber hinaus berät und betreut sie komplexe Inhousegestaltungen in Bundes- und Landeseinrichtungen sowie bei Sektorenauftraggebern.
Ein großes Hindernis aus Sicht vieler Bieter ist die Vielzahl an Vergabeplattformen. Jede Vergabeplattform bedingt eine eigene Registrierung. Hier wäre eine zentrale Registrierungsstelle mit Zugriff auf alle Vergabeplattformen sinnvoll.