Verliert ein Bieter im laufenden Vergabenachprüfungsverfahren die Fähigkeit oder den Willen zur Erbringung der ausgeschriebenen Leistung, entfällt seine Antragsbefugnis. Das gilt auch im Fall einer Insolvenz, wenn der Insolvenzverwalter nicht konkret darlegen kann, dass das operative Geschäft weitergeführt werden soll und ein Interesse an der Erbringung der ausgeschriebenen Leistung besteht. Das OLG Dresden hat die diesbezügliche Obliegenheit der Insolvenzverwalter in einem aktuellen Beschluss nochmals hervorgehoben und zugleich dem Versuch, durch die Erhebung einer Anhörungsrüge eine weitere Nachprüfungsinstanz zu eröffnen, eine klare Absage erteilt.
Sachverhalt
Die Antragsgegnerin schrieb Rettungsdienstleitungen in vier Losen europaweit aus. Die Antragstellerin – eine Krankentransport-GmbH und Bestandsauftragnehmerin im Los 1 – beteiligte sich mit einem Angebot. Sie wurde jedoch wegen fehlender Eignung und wegen Änderung der Vergabeunterlagen vom Vergabeverfahren ausgeschlossen, da sie nach Meinung der Antragsgegnerin weder die geforderte Mindestliquidität nachweisen konnte und zudem veraltete Kalkulationsunterlagen eingereicht hatte. Eine diesbezüglich eingereichte Rüge blieb ohne Erfolg.
Daraufhin stellte die Antragstellerin Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer. Diese gab dem Antrag statt und ordnete die Rückversetzung des Vergabeverfahrens in den Stand vor der Auftragsbekanntmachung an. Die Antragsgegnerin sowie die Beigeladene legten hiergegen sofortige Beschwerde ein.
Während des laufenden Beschwerdeverfahrens wurde über das Vermögen der Antragstellerin das Insolvenzverfahren eröffnet. Der bestellte Insolvenzverwalter erklärte die Verfahrensfortführung und machte geltend, die Schuldnerin sei weiterhin am Auftrag interessiert; eine operative Fortführung sei grundsätzlich möglich.
Die Entscheidung
Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin und der Beigeladenen haben Erfolg! Mit Beschluss vom 19.12.2024 hob das OLG Dresden die Entscheidung der Vergabekammer auf und wies den Nachprüfungsantrag als unzulässig zurück, weil die Antragstellerin nicht (mehr) antragsbefugt sei.
Zur Begründung stellte der Senat klar, dass die Antragsbefugnis nach § 160 Abs. 2 GWB während des gesamten Nachprüfungsverfahrens fortbestehen muss und auch im Beschwerdeverfahren von Amts wegen zu prüfen ist. Entfällt im Laufe des Verfahrens das durch tatsächliche Leistungsfähigkeit getragene Interesse an der Zuschlagserteilung, so entfällt zugleich die Antragsbefugnis. Dies gilt insbesondere dann, wenn über das Vermögen der Antragstellerin das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Zwar tritt der Insolvenzverwalter in diesem Fall als Partei kraft Amtes in das Verfahren ein, die Antragsbefugnis geht dadurch jedoch nicht automatisch auf ihn über. Vielmehr muss der Insolvenzverwalter darlegen, dass das operative Geschäft trotz Insolvenz fortgeführt werden soll und ein konkretes Interesse an der Erbringung der ausgeschriebenen Leistung besteht. Ein bloß theoretisches oder künftiges Interesse reicht hierfür nicht aus.
Im vorliegenden Fall habe der Insolvenzverwalter jedoch keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür dargelegt, dass die Schuldnerin zur Erbringung der ausgeschriebenen Leistung in der Lage sei. Der Geschäftsbetrieb sei eingestellt, es fehle sowohl an Fachpersonal als auch an einer fachlich geeigneten Leitungsperson, und eine Wiederaufnahme der Tätigkeit sei weder konkret geplant noch vorbereitet gewesen. Ein pauschaler Verweis auf eine mögliche zukünftige Beteiligung an einem neuen Vergabeverfahren genüge den Anforderungen an die Antragsbefugnis nicht.
Gegen diesen Beschluss erhob der Insolvenzverwalter eine Anhörungsrüge, in der er u. a. rügte, dass der Vortrag zur Fortführung des Betriebs übergangen worden sei und es sich um eine Überraschungsentscheidung gehandelt habe. Zudem sei der Beschluss dem BGH wegen angeblicher Abweichung von der Rechtsprechung anderer Senate vorzulegen gewesen.
Mit Beschluss vom 17.03.2025 wies das OLG Dresden auch die Anhörungsrüge zurück. Der Senat begründete die Entscheidung wie folgt:
- Die Anhörungsrüge dient ausschließlich dem Schutz des rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG und findet keine Anwendung in Bezug auf andere Verfahrensgrundrechte. Soweit die Antragstellerin eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG geltend macht, weil aus ihrer Sicht eine Vorlagepflicht nach § 179 Abs. 2 GWB bestehe, sei der Anwendungsbereich der Anhörungsrüge nicht eröffnet.
- Ein Gehörsverstoß liege nur dann vor, wenn das Gericht entscheidungserhebliches Vorbringen nicht zur Kenntnisgenommen oder bei seiner Entscheidung nicht erwogen hat. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Der Vortrag sei gewürdigt, nur rechtlich anders bewertet worden. Die Anhörungsrüge eröffne keine weitere Nachprüfungsinstanz und könne auch nicht zur Überprüfung gerichtlicher Rechtsanwendung genutzt werden.
- Eine Überraschungsentscheidung sei nicht erkennbar. Insbesondere das Fehlen einer geeigneten Leitungsperson sei bereits im Verfahren thematisiert worden, wie sich auch aus der Sitzungsniederschrift ergebe.
Rechtliche Würdigung
Die Entscheidung des OLG Dresden zeigt nachdrücklich zwei Aspekte auf. Erstens: Die Antragsbefugnis nach § 160 Abs. 2 GWB im Rahmen eines Vergabenachprüfungsverfahrens stellt keine bloße „Förmelei“ dar, sondern ist an klare materielle Anforderungen geknüpft. Dies gilt insbesondere bei sich in Insolvenz befindenden Unternehmen. Zwar ist der Insolvenzverwalter als Rechtsnachfolger der Schuldnerin kraft Amtes an dem Verfahren beteiligt, dieser muss jedoch darlegen, dass ein reales Interesse an der Zuschlagserteilung besteht. Das erfordert i. d. R. einen fortbestehenden Geschäftsbetrieb, vorhandenes oder geplantes Personal, und vor allem eine nachvollziehbare Fortführungsstrategie bzw. einen (genehmigten) Insolvenzplan. Der pauschale Hinweis auf ein abstraktes Fortführungsinteresse genügt nicht – ebenso wenig wie ein bloßer Verweis auf etwaige zukünftige Möglichkeiten der Leistungserbringung.
Zweitens: Die Anhörungsrüge nach § 175 Abs. 2 GWB ist strikt begrenzt auf echte Gehörsverstöße. Sie ersetzt weder eine (nicht gegebene) weitere Instanz noch dient sie der Korrektur vermeintlich fehlerhafter materieller Rechtsanwendung. Ein bloßer Dissens in der juristischen Bewertung – etwa zur Frage der Antragsbefugnis – fällt nicht unter Art. 103 Abs. 1 GG. Ebenso wenig besteht eine Pflicht zur Divergenzvorlage, wenn sich das Gericht innerhalb der gefestigten obergerichtlichen Linie bewegt.
Praxistipp
Für Insolvenzverwalter, die ein laufendes Nachprüfungsverfahren fortführen möchten, gilt somit, dass frühzeitig und hinreichend konkret dargelegt werden sollte, dass die ausgeschriebene Leistung tatsächlich noch erbracht werden kann und erbracht werden soll. Insbesondere im Fall, dass der laufende Geschäftsbetrieb bereits eingestellt wurde, reicht die bloße Erklärung, man fühle sich an das ursprüngliche Angebot weiter gebunden und könne den Geschäftsbetrieb reaktivieren nicht aus.
Erforderlich ist vielmehr eine belastbare Darstellung der Fortführungsfähigkeit, auch mit Blick auf die personelle Ausstattung. So sollte etwa ein (genehmigter) Insolvenzplan vorliegen. Der Insolvenzverwalter sollte sich in solchen Fällen eng mit dem vorläufigen Gläubigerausschuss oder dem Insolvenzgericht abstimmen, vor allem, wenn ein Insolvenzplanverfahren angestrebt wird und ein öffentlicher Auftrag wesentlich zur Fortführung beitragen kann. Zudem sollte zur Aufrechterhaltung der Antragsbefugnis sichergestellt sein, dass – soweit für den ordnungsgemäßen Geschäftsbetrieb erforderlich – qualifiziertes Personal weiterhin verfügbar ist. Dies gilt etwa für Personen mit Meisterbrief, sofern ein Eintrag in die Handwerksrolle vorliegt, oder – wie im vorliegenden Fall – für eine zur Führung der Geschäfte qualifizierte, fachlich geeignete Person im Sinne von § 31 Abs. 4 Nr. 2 SächsBRKG.
Vergabestellen sind umgekehrt gehalten, wenn die Insolvenz eines Bieters bekannt wird, sorgfältig zu prüfen, ob die tatsächliche Leistungsfähigkeit insbesondere im Hinblick auf die personellen, organisatorischen und fachlichen Voraussetzungen noch gegeben ist. Es kann in diesen Fällen nicht unbesehen davon ausgegangen werden, dass das mit Angebotsabgabe gegebene Leistungsversprechen (noch) erfüllbar ist.
Schließlich gilt es, sich zu vergegenwärtigen, dass das Nachprüfungsverfahren mit Abschluss der Beschwerdeinstanz in der Regel beendet ist. Gegen die Entscheidung des OLG ist kein weiteres Rechtsmittel gegeben und auch die Anhörungsrüge kein Instrument zur nachträglichen Ergänzung versäumten Vorbringens oder zur Korrektur unzureichender Begründungen ist. Diese betrifft allein „echte“ Gehörsverstöße.

Sven Reinecke
Sven Reinecke ist Rechtsanwalt und berät im Vergabe-, Beihilfe- und Fördermittelrecht. Ein Schwerpunkt seiner Tätigkeit liegt auf der Unterstützung von Auftraggebern und Unternehmen in vergaberechtlichen Streitigkeiten sowie der Gestaltung und Umsetzung komplexer Beschaffungsvorhaben. Zudem berät er zur Vertragsgestaltung und zu rechtlichen Fragestellungen im Zusammenhang mit der Durchführung und Einhaltung laufender Verträge.
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