9 Minuten

Zitierangaben: Vergabeblog.de vom 21/07/2025 Nr. 71570

Alles kann, nichts muss – „freiwillige“ Anwendung des Vergaberechts beim Glasfaserausbau

VG Darmstadt, Beschl. v. 01.04.2025 – 7 L 2856/24.DA

EntscheidungIst das Kartellvergaberecht ausnahmsweise nicht anzuwenden (wie etwa beim Breitbandausbau nach § 116 Abs. 2 GWB bzw. § 149 Nr. 8 GWB), dürfen Vergabestellen für das Auswahlverfahren gleichwohl die VgV bzw. KonzVgV zugrunde legen. Bei gefördertem Breitbandausbau ist das in den meisten Fällen sogar zuwendungsrechtlich geboten, auch wenn das Kartellvergaberecht selbst die Anwendung nicht vorschreibt.

Sachverhalt

Eine Vergabestelle erhielt Fördermittel aus der Breitband-Bundesförderung für den Ausbau des Glasfasernetzes.

Der der Bundesförderung zugrundeliegende Zuwendungsbescheid schreibt die Beachtung der Vorgaben der §§ 5 bis 7 NGA-Rahmenregelung (sog. Rahmenregelung der Bundesrepublik Deutschland zur Unterstützung des Aufbaus einer flächendeckenden Next Generation Access (NGA)-Breitbandversorgung) und der Förderrichtlinie Breitbandausbau 2020 vor. Ziffer 5.3 dieser Förderrichtlinie verpflichtet zur sinngemäßen Anwendung der nationalen Vergabebestimmungen und insbesondere auch zur Beachtung der Grundsätze der Transparenz, der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung gemäß dem europäischen Vergaberecht. Ergänzend zur Bundesförderung erhielt die Vergabestelle Fördermittel durch die kofinanzierende Landesbank.

Der Zuwendungsbescheid der Landesbank bezog sich ausdrücklich auf die durch die Bundesförderung verfolgten Ziele. Zudem erlegte die Landesbank im Zuwendungsbescheid die Einhaltung der Bestimmungen der Allgemeinen Nebenbestimmungen zur Projektförderung für Zuwendungen (ANBest-P) und die (entsprechende) Anwendung der Vorgaben der VgV auf.

Die Vergabestelle schrieb auf dieser Grundlage den Glasfaserausbau aus und legte in den Vergabeunterlagen fest, dass sie das Auswahlverfahren § 12 Abs. 1 S. 2 KonzVgV entsprechend als Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb nach VgV ausgestalte. Bei der Angebotsauswertung war das Angebot eines Bieters aus Sicht der Vergabestelle ungewöhnlich niedrig. Sie führte daher eine § 60 VgV entsprechende Preisaufklärung durch. Innerhalb der Preisaufklärung erläuterte der Bieter, dass zu einigen Positionen – insbesondere zu den beträchtlichen Tiefbaupreisen – noch ein vorher nicht enthaltener „Sicherheitszuschlag“ komme. Daneben zeigte sich der Vergabestelle, dass das Angebot zusätzlich an einer falschen Kalkulationsgrundlage litt.

Die Vergabestelle schloss das ungewöhnlich niedrige Angebot nach §§ 57 Abs. 1 Nr. 4 bzw. Nr. 5 VgV aus, da es unzulässige Änderungen bzw. nicht die geforderten Preise hinsichtlich des nachträglich aufgenommenen Sicherheitszuschlags enthielt. Zudem schloss sie das Angebot nach § 60 Abs. 3 VgV aus, da sie angesichts der falschen Kalkulationsgrundlage nicht von der Auskömmlichkeit des Angebots ausging.

Der Bieter wandte sich gegen seinen Ausschluss im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren nach § 123 Abs. 1 S. 1 VwGO.

Entscheidung

Das VG Darmstadt hat den zulässigen Antrag als unbegründet abgelehnt.

Das Verwaltungsgericht sei zwar zuständig, da eine Ausnahme von der zwingenden Anwendung des Kartellvergaberechts nach §§ 149 Nr. 8 bzw. 116 Abs. 2 GWB gegeben (Ermöglichung der Bereitstellung und des Betriebs öffentlicher Kommunikationsnetze für die Öffentlichkeit) und die Vergabekammer mithin nicht zuständig sei.

Der Antrag sei jedoch unbegründet.

Es führt zur Unbegründetheit des Antrags unter ausdrücklichem Hinweis auf die Rechtsprechung des OVG Sachsen (Beschl. v. 13.10.2022 – 4 B 241/22) aus, dass die Vergabestelle trotz der Vergaberechtsfreiheit nach § 149 Nr. 8 GWB beim Breitbandausbau das Verfahren als Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb nach VgV durchführen durfte. Ihr sei das sogar durch die Zuwendungsauflagen aufgegeben worden. Durch den Hinweis in den Vergabeunterlagen auf § 12 Abs. 1 S. 2 KonzVgV, wonach der Konzessionsgeber das Verfahren an den Vorschriften der VgV zum Ablauf eines Verhandlungsverfahrens mit Teilnahmewettbewerb ausrichten dürfe, habe die Vergabestelle die Anwendung der VgV hinreichend transparent zum Ausdruck gebracht.

Entgegen der Auffassung der VK Südbayern (Beschl. v. 19.10.2023 – 3194.Z3-3_01-23-20) sei darüber hinaus nicht erforderlich, einzelne Ausschlusstatbestände nach der VgV in den Vergabeunterlagen oder gar der Bekanntmachung zu nennen. Das Angebot sei daher zurecht sowohl nach §§ 57 Abs. 1 Nr. 4 bzw. Nr. 5 als auch nach § 60 VgV ausgeschlossen worden.

Mit dem OVG Sachsen geht das VG Darmstadt davon aus, dass das wirtschaftlichste Angebot nur ein Angebot sein dürfe, das exakt den Vorgaben des Auftraggebers entspreche.

Rechtliche Würdigung

Der sich hier abzeichnenden Rechtsprechungslinie ist zuzustimmen.

Nach § 12 Abs. 1 S. 1 KonzVgV darf der Konzessionsgeber das Verfahren zur Vergabe einer dem Kartellvergaberecht unterfallenden Konzession weitgehend frei ausgestalten. § 12 Abs. 1 S. 2 KonzVgV stellt klar, dass ihm trotz dieser Privilegierung freistehe, das Verfahren als „formstrengeres“ Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb nach VgV durchzuführen.

Unterfällt die Konzession bzw. der Auftrag nicht dem (Kartell)-Vergaberecht, ist die Vergabestelle aus vergaberechtlicher Sicht bei der Ausgestaltung des Vergabeverfahrens noch freier. Dass sie das Verfahren nicht nach den Vorschriften der VgV durchführen muss, heißt nicht, dass sie das nicht darf. Entscheidend ist nach Auffassung des Autors einzig, dass das Auswahlverfahren hinreichend transparent dargestellt wird. Dann gilt „alles kann, nichts muss“. Die Vergabestelle darf das Auswahlverfahren „freiwillig“ als Verhandlungsverfahren nach VgV ausgestalten. Mit einem ausdrücklichen und den Wortlaut wiederholenden Hinweis auf § 12 Abs. 1 S. 2 KonzVgV in den Vergabeunterlagen ist dem Transparenzgebot Genüge getan.

Wenn wie in dem vorliegenden und von dem OVG Sachsen entschiedenen Fall die Anwendung der Vorschriften der VgV zudem in den Zuwendungsbescheiden auferlegt wird, bleibt ohnehin unverständlich, wie die Vergabestelle diese Auflagen anders erfüllen soll. Hat die Vergabestelle das Auswahlverfahren transparent als ein Verhandlungsverfahren nach der VgV ausgestaltet, greifen die dort normierten Ausschlussgründe. Soweit die VK Südbayern jedenfalls für einen § 60 VgV entsprechenden Ausschluss eines ungewöhnlich niedrigeren Angebots nach nicht zufriedenstellender Preisaufklärung zusätzlich die ausdrückliche Nennung dieser Vorschrift in den Vergabeunterlagen fordert, überzeugt das nicht.

Entgegen der Auffassung der VK Südbayern handelt es sich bei einem Ausschluss nach § 60 Abs. 3 VgV nicht um „eine Durchbrechung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit in Gestalt der Bezuschlagung des Angebots mit dem wirtschaftlichsten Gesamtvorteil“. § 60 VgV schützt die Vergabestelle vor einer im Ergebnis unwirtschaftlichen Beschaffung, die mit dem Zuschlag auf ein Angebot mit Ramschpreisen einhergeht. Der Zuschlag auf ein solches Angebot birgt nämlich unter anderem die Gefahr, dass der Vertragspartner nicht im Einklang mit den Vorgaben der Vergabestelle leistet. Die Wirtschaftlichkeit eines Angebots ist aber nur anzunehmen, wenn dieses zweifelslos den Vorgaben der Vergabestelle entspricht. Andernfalls wird die Wirtschaftlichkeitsprüfung fast schon zu einer philosophischen Frage.

Zudem ist ein fairer Wettbewerb ohne den Ausschluss solcher Angebote nicht möglich. Bieter, die trotz der Vorgaben der Vergabestelle bewusst zu niedrige Preise anbieten und dies später mit Nachträgen in der Auftragsausführung möglichst kompensieren möchten, würden dafür auch noch mit dem Zuschlag belohnt. Echter Wettbewerb herrscht nur, wenn Bieter davon ausgehen dürfen, dass alle nicht ausgeschlossenen Angebote die Vorgaben exakt einhalten. Nur so sind die Angebote vergleichbar.

Praxistipp

1. Tipps für Vergabestellen

Folgende Ratschläge sollten Vergabestellen bei der Vergabe des Glasfaserausbaus beherzigen.

a. Formalisiertes Verfahren

Vergabestellen ist zu empfehlen, ein formalisiertes Verfahren durchführen. Auch wenn das (Kartell-)Vergaberecht nicht zwingend anzuwenden ist, schaffen sie dadurch für sich aber auch für die Teilnehmer an dem Auswahlverfahren einen verlässlichen Rahmen. Bei geförderten Projekten werden sie ohnehin meistens mit entsprechenden Auflagen in den Zuwendungsbescheiden dazu verpflichtet. Gerade dann müssen sich Vergabestellen an die anwendbaren Verfahrensbestimmungen halten, denn schlimmstenfalls droht sonst die Rückforderung der Fördermittel.

b. Klare Hinweise in der Bekanntmachung

Vergabestellen sollten unbedingt den festgelegten Verfahrensablauf ausdrücklich und transparent kommunizieren. Da die Rechtsprechung derzeit noch uneinheitlich ist, sollte die Bekanntmachung diese Angaben enthalten.

Möchte die Vergabestelle das Verfahren als Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb nach der VgV ausgestalten, sollte sie das ausdrücklich in der Bekanntmachung angeben.

Für alle Fälle sollte angesichts der Auffassung der VK Südbayern in der Bekanntmachung § 60 VgV explizit genannt und klargestellt werden, dass die Angebote entsprechend § 60 VgV geprüft und ggf. ausgeschlossen werden. Denn aus ihrer Sicht stellt jedenfalls dieser Ausschlussgrund eine „Durchbrechung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit“ dar und muss explizit genannt werden.

c. Klare Leistungs- und Preispositionen

Sämtliche Leistungs- und Preispositionen müssen so klar wie möglich formuliert sein, damit die Angebote vergleichbar sind. Bieter, die die Vorgaben nicht einhalten und ausgeschlossen werden, berufen sich meistens prinzipiell darauf, dass die Vorgaben nicht hinreichend klar seien und der Ausschluss daher unzulässig sei.

Sind die Vorgaben tatsächlich nicht hinreichend klar, sind die Angebote nicht vergleichbar und das Verfahren zurückzuversetzen. Das sollten Vergabestellen vermeiden.

In sämtlichen der drei oben erwähnten Entscheidungen ging es um den Ausschluss der Angebote nach der Auskömmlichkeitsprüfung gem. § 60 VgV. Wäre der Umfang der Positionen nicht hinreichend klar durch die Vergabestelle vorgegeben worden, käme ein Ausschluss der Angebote nach § 60 Abs. 3 VgV nicht in Betracht.

Zudem sollte die Vergabestelle den Bietern in zumutbarem Umfang hinreichende Informationen für eine vernünftige Kalkulationsgrundlage bereitstellen.

d. Hinweis auf eröffneten Verwaltungsrechtsweg

Vergabestellen sollten vorsichtshalber zur Vermeidung von Kostenrisiken in der Bekanntmachung auf die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs und auf die Unzulässigkeit eines Nachprüfungsverfahrens vor den Vergabekammern aufgrund der Bereichsausnahme nach § 116 Abs. 2 GWB bzw. § 149 Nr. 8 GWB hinweisen.

Denn schreibt das Kartellvergaberecht selbst die eigene Anwendung nicht vor, sind die Vergabekammern nicht zuständig. Stattdessen ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet (vgl. hierzu die „parallele“ Entscheidung der VK Sachsen, Beschl. v. 2.9.2022 – 1/SVK/015-22).

2. Tipps für Teilnehmer

Teilnehmer an einem solchen Auswahlverfahren sollten Folgendes beachten:

a. Vorgaben der Vergabestelle

Die Bieter sollten sämtliche Vorgaben der Vergabestelle an das Angebot exakt einhalten, da andernfalls der Ausschluss droht. Im Zweifel sollten sie rechtzeitig nachfragen und notfalls nachbohren, um Unklarheiten zu beseitigen und überflüssige Streitigkeiten bei der Angebotsprüfung zu vermeiden.

b. Ordnungsgemäße Kalkulationsgrundlage

Bieter sollten ihr Angebot auf einer ordentlichen Grundlage und insbesondere auskömmlich kalkulieren. Im Zweifel gilt auch hier: Lieber nachfragen, als sich später rausreden! Insbesondere das beliebte Argument, irgendwie wäre man ja trotzdem billiger als die anderen, verfängt da zurecht nicht.

c. Richtiger Rechtsbehelf

Möchten sich Teilnehmer gegen ihren Ausschluss wenden, sollten sie beachten, dass der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet und daher ein Antrag im Wege des vorläufigen Rechtschutzes nach § 123 Abs. 1 VwGO statthaft ist. Es ist nur in dem seltensten bzw. hypothetischen Fall daneben ein (unzulässiger) Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer zu erwägen, falls etwa absehbar wäre, dass verwaltungsgerichtlicher Eilrechtsschutz zu spät käme. Durch die Weiterleitung des Nachprüfungsantrags an die Vergabestelle schützt das Zuschlagsverbot nach § 169 Abs. 1 GWB den Bieter (unter Umständen schneller) zunächst davor, dass die Vergabestelle mit der Zuschlagserteilung an den Kontrahenten vollendete Tatsachen schafft.

Avatar-Foto

Machmud Gadjisade

Machmud Gadjisade ist Rechtsanwalt in der Sozietät BHO Legal in Köln. Er ist seit Beginn seiner anwaltlichen Tätigkeit in einer Großkanzlei auf das Vergabe-, Verwaltungs- und IT-Recht spezialisiert und berät hierin Auftraggeber und Bieter. Er ist Autor in einem Praxiskommentar zum Vergaberecht und hat bereits eine Vielzahl von Schulungen durchgeführt

1 Stern2 Sterne3 Sterne4 Sterne5 Sterne (14 Bewertungen, durchschn.: 4,86aus 5)

Loading…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert