Ab und an blickt der Vergabeblog über den Tellerrand, so auch heute wieder einmal, diesmal geografisch: Vor dem Hintergrund der EU-Beitrittsverhandlungen hat Kroatien 2008 der Korruption bei der Vergabe staatlicher Aufträge den Kampf angesagt. Bislang offenbar wenig erfolgreich, wie nun eine Onlineplattform offenbart: Diese stellt für die Verwaltungsausgaben seit 01.07.2009 dar, welcher Staatsbedienstete wie viele Aufträge an welche Firmen vergegeben hat.
Die Plattform wurde initiiert von dem in Kroatien bekannten Polit-Blogger Marko Rakar. In etwa 1000 Arbeitsstunden sammelten er und seine Helfer Informationen über die Auftragsvergabe auf allen Ebenen der kroatischen Verwaltung. Unter http://nabava.vjetrenjaca.org/ hat er sie nun kostenlos zugänglich gemacht und jeder Leser kann die Informationen nun nach Unregelmäßigkeiten durchsuchen – anscheinend mit Erfolg.
Rakar wird nicht zum ersten Mal mit der Veröffentlichung von regierungskritischen Informationen in Verbindung gebracht. Auch an der Aufdeckung zweier großer Skandale im Zusammenhang mit Wahlbetrug und der Erschleichung von ungerechtfertigten Veteranenpensionen im großen Stil war er maßgeblich beteiligt.
Die Daten, die er jetzt in Kroatien zugänglich gemacht hat, betreffen die Ausgaben der Verwaltung seit dem 1. Juli 2009. Mit wenigen Handgriffen lässt sich feststellen, welcher Beamte wie viele Aufträge an welche Firmen gegeben hat. Erfasst sind alle öffentlichen Stellen, von der Regierung bis zu staatlichen Versorgungsbetrieben.
In den ersten 36 Stunden haben bereits rund 40.000 Nutzer die neue Plattform besucht. Schon jetzt wurden Unregelmäßigkeiten festgestellt und im Blog von Rakar (http://pollitika.com/) diskutiert. Einige Firmen scheinen beispielsweise nur für einzelne öffentliche Aufträge gegründet worden zu sein. Andere begünstigte Firmen gehören Politikern und wieder andere “haben unwahrscheinlich hohe Gewinne mit öffentlichen Aufträgen gemacht” – so berichtet die ©pressetext Nachrichtenagentur.
Korruption bei öffentlichen Aufträgen hat in Kroatien eine lange Geschichte. Ende 2007 hat Kroatiens Präsident Stjepan Mesic bei einem Deutschlandbesuch mit der Deutschen Welle über die bevorstehenden Wahlen in seinem Land und die mögliche Destabilisierung der Region durch ein unabhängiges Kosovo gesprochen. Auf die Frage „Warum gelingt es der kroatischen Regierung nicht, eine der größten Hürden für die europäische Integration des Landes aus dem Weg zu räumen – die Korruption?“ antwortete er:
„Der Kampf gelingt uns deshalb nicht, weil die Korruption ganz oben bei den öffentlichen Ausschreibungen und der öffentlichen Beschaffung beginnt. Und da ist der Staat, da sind die staatlichen Strukturen immer mit von der Partie. Und wenn man bei der Korruptionsbekämpfung tief durchgreifen würde, wären viele betroffen und keiner wüsste, wo das Ganze enden würde. Deshalb wird der Kampf gegen die Korruption eine der Hauptaufgaben der neuen Regierung nach diesen Wahlen. Denn sie ist offenkundig, man kann sie nicht wegreden. So werden beispielsweise offene Stellen ohne Ausschreibungen besetzt, Millionen schwere Aufträge werden jenseits des Wettbewerbs vergeben. Familiäre oder finanzielle Beziehungen oder Abhängigkeiten führen bis in die Staatsspitzen. Dem muss man nach den Wahlen ein Ende setzen. Anderenfalls gibt es keinen weiteren Fortschritt auf dem Weg in die EU.“
Seine gegebene Antwort „… keiner wüsste, wo das Ganze enden würde“ ist dann im August 2010 mit der staatsanwaltschaftlichen Ermittlung gegen den langjährigen Premier Ivo Sanader, der im gleichen Jahr verhaftet wurde, drastisch bestätigt worden. Ende der 90er Jahre soll Sanader als Parteichef 20% Provision für die Vermittlung eines 2 Mio. Euro Kredit erhalten haben. Auf mindestens 1,4 Millionen Kuna (200 Millionen Euro) bezifferte Mitte 2010 die Zeitung „Jutarnij List“ unter Berufung auf die Antikorruptionsbehörde USKOK den Schaden, den Kroatien allein durch die zehn größten Korruptionsfälle während der Amtszeit des Expremiers erlitten habe: Der gesamte Schaden für das Staatssäckel des EU-Anwärters durch Korruption in der früheren Regierungsspitze könne rund 16 Milliarden Kuna (2,2 Milliarden Euro) betragen.
Vor dem Hintergrund der Beitrittsverhandlungen zur EU hat Kroatien sodann 2008 der Korruption bei der Vergabe staatlicher Aufträge den Kampf angesagt. Das Wirtschaftsministerium unterzeichnete ein Abkommen mit der Handelskammer.
Wenn man sich die bereits jetzt gemeldeten Unregelmäßigkeiten der vorhandenen Daten seit Juli 2009 im Blog von Mirko Rakar vor Augen führt, scheint dieser Kampf verloren gegangen zu sein.
Michael Singer beschäftigt sich seit 1988 ausführlich mit der Thematik „Öffentliches Preisrecht und Preisprüfungen“. Er veranstaltet praxisorientierte Seminare zum öffentlichen Preisrecht und berät Unternehmen vor Preisprüfungen und auf dem Weg zu prüfsicheren öffentlichen Aufträgen (https://www.singer-preispruefung.de). Außerdem ist er Mitveranstalter des Deutschen Preisrechtstags, tritt als Referent bei Tagungen und Fachseminaren auf und veröffentlicht regelmäßig einschlägige Fachbeiträge.
Die Ausführungen von Herrn Singer lassen natürlich nachdenken, aber politische Entscheidungen wurden nun offenbar betroffen:
ec.europa.eu/deutschland/press/pr_releases/10353_de.htm
Aber auch in den Mitgliedsländern Bulgarien und Rumänien ist sicher auch noch nicht alles so, wie es vielleicht sein sollte.
Die generellen Ziele der Europäischen Erweiterung sind der eine Punkt, die Details sind natürlich der anderen Punkt.
Aber auch da ist Politik sicher das langsame Bohren vieler dicker Bretter !
Sie haben ganz recht mit Ihrem Hinweis auf Bulgarien und Rumänien. Im aktuellen Korruptionswahrnehmungsindex (veröffentlicht in der letzten Woche) liegt Kroatien auf Platz 66 – Rumänien auf 75 und Bulgarien sogar auf 86:
http://www.transparency.de/Corruption-Perceptions-Index-2.2017.0.html
Aber man braucht gar nicht so weit gehen – Italien (69) und Griechenland (80) liegen ebenfalls hinter Kroatien.
Deutschland hat einen vergleichsweise guten 14. Platz.