Das OLG Düsseldorf hat über einen Fall entschieden, in welchem eine gesetzliche Krankenkasse den Abschluss eines Rabattvertrags mit jedem interessierten Unternehmen ohne Vergabeverfahren angekündigt hatte (Beschlüsse vom 11.01.2012 – Verg 57/11; Verg 58/11; Verg 59/11). Der Senat stellte fest, dass dies im konkreten Fall unzulässig war, schloss die Möglichkeit einer vergaberechtsfreien Gestaltung aber ausdrücklich nicht aus. Eine Hintertür für Umgehungslösungen?
Der Sachverhalt
Arzneimittelrabattverträge sind auszuschreiben – diese Frage schien längst geklärt. Bis im letzten Jahr eine gesetzliche Krankenkasse jedem interessierten Unternehmen den Abschluss eines Rabattvertrags ohne vorangehendes Vergabeverfahren versprach. Sie argumentierte, dass sie bei der Wahl der Vertragspartner keine Auswahl durchführe und das Vergaberecht aufgrund dieses Kunstgriffes nicht anwendbar sei. Hiergegen wehrten sich mehrere Arzneimittelhersteller mit Nachprüfungsanträgen und erhielten von der Vergabekammer des Bundes Recht (Vergabeblog berichtete). Die Krankenkasse erhob sofortige Beschwerde, so dass sich das OLG Düsseldorf mit dem Thema befassen musste.
Auswahlentscheidung im konkreten Fall vorgesehen
Das OLG hat sich intensiv untersucht, ob das Vorgehen der Krankenkasse eine Auswahlentscheidung beinhaltete und diese Frage im Ergebnis bejaht. Es hob hervor, dass die Krankenkasse angekündigt hatte, mit Unternehmen in nicht näher definierten Einzelfällen über die Vertragskonditionen zu verhandeln. Auch wenn die ausgehandelten Bedingungen zugunsten sämtlicher Bieter gelten sollten, so sei „doch zu berücksichtigen, dass es einem der vielen Bieter gestattet ist, Verhandlungen mit der Antragsgegnerin zu führen und die Bedingungen damit nach seinen – des Bieters – Vorstellungen mitzugestalten, während dies anderen Bietern versagt ist.“
Anwendung des Vergaberechts nur bei Auswahlentscheidung?
Da im konkreten Fall eine Auswahl getroffen werden sollte, musste das Gericht nicht über zentrale Rechtsfrage des Falls nicht mehr prüfen: Es ließ offen, ob Auftraggeber dem Vergaberecht entgehen können, indem sie auf eine Auswahlentscheidung verzichten. Allerdings führt das OLG aus, dass es eine solche Flucht nicht per se für aussichtslos hält:
„Dem Senat erscheint es nicht von vornherein ausgeschlossen, dass bloße „Zulassungen“ nicht dem Vergaberecht unterfallen […] Kann jedes – geeignete – Unternehmen ohne Probleme einen Vertrag mit dem Auftraggeber schließen, fehlt es an einer Auswahl des Auftraggebers mit den damit verbunden Problemen der Diskriminierung unter den Bietern, der das Vergaberecht entgegen treten will.“
Keine Aussage zur Zulässigkeit bei anderen Gestaltungen
Daraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass das Gericht Verträge mit jedermann in anderen Gestaltungen für vergaberechtsfrei erklären würde. Hierzu stellt der Senat lediglich Überlegungen an, lässt jedoch keine Tendenz erkennen. Davon abgesehen müsste eine solche Frage ohnehin dem EuGH vorgelegt werden, was auch das OLG in seiner Entscheidung erwähnt.
Es bleibt daher abzuwarten, ob es zu weiteren Vorstößen in dieser Richtung kommt. Über den Endpunkt eines solchen Versuchs macht das OLG sich jedenfalls keine Illusionen – und führt aus: „Ob in einem derartigen Fall tatsächlich das Vergaberecht nicht gilt, ist gegebenenfalls in einem weiteren Nachprüfungsverfahren zu klären.“
Der Autor Dr. Karsten Lisch ist Rechtsanwalt der Sozietät Osborne Clarke, Köln. Er betreut Mandanten aus den Bereichen Informationstechnologie und Gesundheitswesen in Vergabeverfahren. Mehr Informationen finden Sie im Autorenverzeichnis.
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