Ein Gastbeitrag von RA Dr. Angela Dageförde
Dem öffentlichen Auftraggeber steht das Bestimmungsrecht zu, ob und welchen Gegenstand er wie beschaffen will. Solange er dabei die Grenzen beachtet und nicht – offen oder versteckt – ein bestimmtes Produkt bevorzugt (und andere Anbieter diskriminiert), ist er bei dieser Bestimmung im Grundsatz frei. Der Auftraggeber muss im Vorfeld seiner Ausschreibung auch grundsätzlich keine Markterforschung oder Markterkundung vornehmen, ob eine andere als die von ihm gewählte Lösung möglich ist. Dies hat der OLG Düsseldorf kürzlich in dem von einem pharmazeutischen Hersteller gegen die Einkaufsgemeinschaft der gesetzlichen Krankenkassen eines Bundeslandes angestrengten Nachprüfungsverfahren klargestellt (Beschluss vom 27.6.2012 – VII Verg 7/12).
Sachverhalt
Dieser Zusammenschluss von Krankenkassen hatte den Abschluss einer Rabattvereinbarung gemäß § 132 e Abs. 2 i.V.m. § 130 a Abs. 8 SGB V über die Lieferung von Anti-Grippe-Impfstoffen für die Impfung von Versicherten ab dem vollendeten sechsten Lebensmonat für die Saison 2012/2013 EU-weit ausgeschrieben. Der Impfstoff sollte in Fertigspritzen entweder ohne Kanüle oder mit abnehmbarer Kanüle geliefert werden, um es den an der Grippeschutzimpfung teilnehmenden Ärzten zu ermöglichen, Kanülen ihrer Wahl einzusetzen.
Die Ausschreibung wurde sodann von einem Anbieter beanstandet, der seinen Impfstoff nur in Fertigspritzen mit feststehender Kanüle in Verkehr bringt und deshalb kein der Leistungsbeschreibung entsprechendes Angebot abgeben konnte. Der Rüge des Anbieters, die dieser mit einem Verstoß gegen das Gebot der Produktneutralität begründete, halfen die Auftraggeber nicht ab. Den daraufhin erhobenen Nachprüfungsantrag wies die 2. Vergabekammer des Bundes am 1. März.2012 (VK 2- 5/12), die hiergegen gerichtete Sofortige Beschwerde das OLG Düsseldorf am 27.6.2012 (VII Verg 7/12) zurück.
Die Entscheidung des OLG Düsseldorf
Die Leistungsbeschreibung der Auftraggeber beschreibe lediglich technische Anforderungen in Form von Leistungs- und Funktionsanforderungen (§ 8 EG Abs. 2 Nr. 2 VOL/A, Art. 23 Abs. 3 lit. b der Richtlinie 2004/18/EG). Normen im Sinne von § 8 EG Abs. 4 VOL/A(= Art. 23 Abs. 5 Richtlinie 2004/18/EG) seien nicht ersichtlich; auch ein Verstoß gegen § 8 EG Abs. 7 VOL/A (=Art. 23 Abs. 8 Richtlinie 2004/18/EG) liege nicht vor. Solange die Anforderung des Auftraggebers nicht dazu führt, dass die Ausschreibung faktisch auf ein oder wenige Produkte zugeschnitten ist und die Anforderung objektiv sach- und auftragsbezogen ist, werde dem Grundsatz der Vergabe im Wettbewerb und der Wahrung der Bietervielfalt hinreichend Rechnung getragen. Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte Jena und Celle, die vom Auftraggeber fordern, dass er sich vor der Ausschreibung einen Marktüberblick verschaffen und dann begründen muss, warum eine andere als die von ihm gewählte Lösung nicht in Betracht komme, schränke – so das OLG Düsseldorf in seiner Entscheidungsbegründung – das Bestimmungsrecht des Auftraggebers zu sehr ein.
Keine marktbeherrschende Stellung
Und auch die gegen die gemeinsame Ausschreibung der beteiligten Krankenkassen und -verbände angeführten kartellrechtlichen Einwände der Antragstellerin hielt das OLG Düsseldorf nicht für durchgreifend. Das Gericht ließ offen, ob derartige Einwände in einem – dem Beschleunigungsgebot unterliegenden – Vergabenachprüfungsverfahren zu prüfen sind. Durch den Zusammenschluss der einzelnen Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft der Gesetzlichen Kassen und Verbände werde jedenfalls keine marktbeherrschende oder marktstarke Stellung aufgebaut, da der Marktanteil – gemessen an dem in räumlicher Hinsicht bundesweit abzugrenzenden Markt – zu gering sei.
Auch die Tatsache, dass in anderen Bundesländern möglicherweise parallele Ausschreibungen mit identischem Konzept durchgeführt werden, hielt der Senat nicht für kartellrechtswidrig. Selbst wenn über die Ausschreibung Gespräche zwischen den Kassen der einzelnen Bundesländer geführt worden seien, könne hieraus noch nicht hergeleitet werden, dass diese sich gegenseitig zum Ausschluss von bestimmten Fertigspritzen (nämlich denen mit feststehender Kanüle) verpflichtet hätten.
Die Autorin Dr. Angela Dageförde ist als Fachanwältin für Verwaltungsrecht sowie für Bau- und Architektenrecht in eigener Kanzlei in Hannover in den drei Kompetenzfeldern Öffentliche Hand, Bau und Vergabe sowie Gesundheitswesen tätig. Sie begleitet laufend öffentliche Auftraggeber bei EU-weiten Ausschreibungen. Frau Dr. Dageförde ist ferner Lehrbeauftragte der Leibniz Universität Hannover im Vergaberecht und hat kürzlich den Praxisleitfaden „Umweltschutz im öffentlichen Vergabeverfahren“ im Erich Schmidt-Verlag veröffentlicht.
Ein sehr interessanter und ergiebiger Beitrag! MfG