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Erkannte Vergaberechtsverstöße sind zu rügen: Nicht unverzüglich, aber immer noch vor dem Nachprüfungsverfahren (VK Südbayern, Beschl. v. 18.03.2015 – Z3-3-3194-1-62-12/14)

EntscheidungDie meisten Vergabekammern und -senate halten wohl inzwischen das Erfordernis der unverzüglichen Rüge wegen seiner zeitlichen Unbestimmtheit für gemeinschaftsrechtswidrig und wenden § 107 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GWB deswegen entweder gar nicht oder so großzügig an, dass er im konkreten Fall keine Präklusionswirkung entfaltet.

Bislang schien es daher so, als ob damit das Erfordernis der Rüge für positiv erkannte Vergaberechtsverstöße entfallen wäre. Das wirkt sich vor allem für Verfahrensmängel nach Ablauf der Angebotsfrist aus, wie etwa in der Verhandlungsphase oder bei der Angebotswertung. Darauf sollten sich Bieter nach einer aktuellen Entscheidung der Vergabekammer Südbayern allerdings wohl besser nicht mehr verlassen.

§ 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB

Leitsatz

  1. Das Tatbestandsmerkmal der Unverzüglichkeit der Rüge gemäß § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB verstößt gegen europäisches Recht und ist bis zu einer europarechtskonformen Neuregelung mit einer konkret in Tagen bemessenen Frist nicht anzuwenden.
  2. Es kommt darauf an, dass eine Rüge vor Stellung des Nachprüfungsantrages gegenüber der Antragsgegnerin erfolgt ist.

Sachverhalt

Bei einer europaweiten Vergabe von Gebäude- und Glasreinigung im Offenen Verfahren bestimmte der Auftraggeber neben dem Preis als weiteres Zuschlagskriterium die jährliche Ausführungszeit. Ein unterlegener Bieter rügte nach anwaltlicher Beratung lediglich die Mängel der Information gemäß § 101a GWB und die seiner Ansicht nach unzulässige Verknüpfung dienst- und werkvertraglicher Elemente in den Vergabeunterlagen. Nachdem er eine erneute Mitteilung gemäß § 101a GWB erhalten hatte, reichte er ohne weitere Rüge seinen Nachprüfungsantrag ein. In diesem bemängelte er erstmals Aspekte, welche die Methode der Angebotswertung betrafen. So machte er die fehlende eigenständige Bedeutung des Zuschlagskriteriums jährliche Ausführungszeit geltend und beanstandete außerdem dessen fehlenden Auftragszusammenhang. Nach Akteneinsicht erweiterte der Bieter seinen Vortrag in Bezug auf die angewendete Wertungsformel.

Die Entscheidung

Ohne Erfolg! Die gerügten Verstöße sah die Vergabekammer als unbegründet an.

Im Hinblick auf die erstmals im Nachprüfungsverfahren vorgebrachten Verstöße war der Bieter mangels rechtzeitiger Rüge präkludiert. Zwar ließ die Vergabekammer im Einzelnen offen, ob es sich wirklich um einen Fall positiv erkannter Vergaberechtstöße handelte, für die § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB dem Wortlaut nach eine unverzügliche Rüge vorschreibt, oder ob eine Präklusion sogar schon gemäß § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB wegen des rügelosen Ablaufs der Angebotsfrist vorlag, da die Fehler bereits in den Vergabeunterlagen erkennbar waren. Dennoch führte sie in diesem Zusammenhang umfangreich aus, dass lediglich das Tatbestandsmerkmal der Unverzüglichkeit gemäß § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB als europarechtswidrig unangewendet bleiben müsse. An dem grundsätzlichen Erfordernis der Rüge erkannter Vergaberechtsverstöße auf Basis des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB hielt sie indes fest und erklärte, dass es darauf ankomme, dass eine Rüge vor Stellung des Nachprüfungsantrags gegenüber dem Auftraggeber erfolgt sei.

Sie ging davon aus, dass der Verfahrensbevollmächtigte die erforderliche Kenntnis auch in Bezug auf die angewendete Wertungsformel – schon im Vorfeld des Nachprüfungsantrags gehabt habe. Mangels rechtzeitiger Rüge wurde die Vorgehensweise des Auftraggebers jedenfalls im Verhältnis zu diesem Bieter als vergaberechtskonform fingiert.

Rechtliche Würdigung

Anders als noch die Vergabekammer Hamburg (vgl. VK Hamburg, Beschluss vom 07.04.2010, Az.: VK BSU 2/10) scheint die Vergabekammer Südbayern Raum für eine europarechtskonforme Auslegung des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB zu sehen. Bemerkenswert ist, dass Ihre Auslegung dabei im Ergebnis dem nun vorliegenden Referentenentwurf für ein Vergaberechtsmodernisierungsgesetz (vgl. § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB-R) entspricht. Eine rechtliche Herleitung dafür vermisst man allerdings in der Entscheidung.
Denkbar wäre insoweit die Argumentation mit Sinn und Zweck der Rüge, im Interesse der Verfahrenseffizienz dem Aufraggeber Gelegenheit zur Selbstkorrektur zu geben. Konsequenterweise müsste man dann allerdings wohl außer bei drohendem Zuschlag auch verlangen, dass die Rüge so rechtzeitig vor dem Nachprüfungsantrag erfolgt, dass ihm dafür hinreichend Zeit bleibt (vgl. dazu schon VK Bund, Beschluss vom 09.04.2001, Az.: VK 1-7/01). Welcher Zeitraum hier angemessen ist, dürfte von den Umständen des Einzelfalls abhängen und damit immer noch vor ziemlich intransparent sein.

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Praxistipp

Ob auch andere Spruchkörper demnächst § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB im Sinne des Referentenentwurfs auslegen oder eher doch die Neuregelung durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes abwarten (vgl. zu den Hintergründen auch den Beitrag von Herrn Eydner, vergabeblog.de vom 08.04.2014, Nr. 18763), wird sich noch zeigen. Bietern ist bis dahin zu raten, vorsichtshalber alle erkannten Vergaberechtsverstöße möglichst frühzeitig vor Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens zu rügen.

Anmerkung der Redaktion

Die Vergaberechtsreform ist das Schwerpunktthema des 2. Deutschen Vergabetages 2015 – ausführliches Programm und Anmeldemöglichkeit hier.

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Über Dr. Valeska Pfarr, MLE

Die Autorin Dr. Valeska Pfarr, MLE, ist Rechtsanwältin bei Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Sie ist auf das Vergaberecht spezialisiert, ein Schwerpunkt liegt hierbei auf der Beratung der öffentlichen Hand.

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