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Zitierangaben: Vergabeblog.de vom 23/07/2015 Nr. 23096

Quo vadis Preisrecht VO PR 30/53?

Kommt sie jetzt schon bald: die Novellierung der Verordnung PR Nr. 30/53 über die Preise bei öffentlichen Aufträgen – auch als Öffentliches Preisrecht bekannt?

Zu diesem Zweck hatte das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) ein Gutachten zur Bedeutung und Erforderlichkeit des Preisrechts bei öffentlichen Aufträgen erstellen lassen, das inzwischen vorliegt. Es beleuchtet – so das BMWi – „die Relevanz der Preisverordnung (PreisVO) vor dem Hintergrund der rechtlichen und tatsächlichen Entwicklungen seit Erlass der Verordnung im Jahr 1953, insbesondere im Vergaberecht„.

Fast zeitgleich mit diesem Gutachten hat Dr. Greiffenhagen seine Programmatischen Überlegungen zu einer möglichen Reform der Preisverordnung für öffentliche Aufträge beim Bundesverband der Preisprüfer und Wirtschaftssachverständigen (BVdPW) veröffentlicht.

Nachfolgend sollen die Leitsätze und Thesen der beiden Werke sowie deren Unterschiede und Gemeinsamkeiten in kompakter Form dargestellt werden.

Thesen Gutachten Prof. Dörr / Prof. Hoffjan:

1. Die PreisVO erfüllt weiterhin den Zweck des Vorrangs der marktwirtschaftlichen Preisbildung, leistet unter den heutigen Rahmenbedingungen zum originären Normzweck – der Aufrechterhaltung des Preisstandes – nur noch einen geringeren Beitrag.

2. Gleichwohl kann aus volkswirtschaftlicher Perspektive die zuweilen geringe Rationalität des öffentlichen Auftraggebers eine hoheitliche preisrechtliche Vorgabe einschließlich einer neutralen Prüfungsbehörde als externes Kontrollorgan rechtfertigen.

3. Die PreisVO wird infolge der geringen Kenntnisse einiger öffentliche Auftraggeber oftmals nicht beim Beschaffungsprozess beachtet.

4. Praxisrelevanz entfaltet das Preisrecht wenn Ausschreibungen nicht zu mehreren Geboten führen oder wenn unmittelbare Vergaben stattfinden. Die größte Bedeutung erlangt es bei Forschungs- und Verteidigungsaufträgen sowie institutionell auf Bundesebene.

5. Bei der konkreten Ausgestaltung des Preisrechts sind Feinjustierungen vorzunehmen. Die Verbesserungspotentiale betreffen den Mittelstand, Dienstleistungsaufträge, alternative Beschaffungskonzepte, die Übernahme von HGB-Wertansätzen, die Marktpreisdefinition sowie die Organisation der Preisprüfung.

6. Die PreisVO verursacht einen moderaten Bürokratieaufwand, vornehmlich durch die Selbstkostenpreisberechnung und die Grundsatzprüfung. Dieser würde nicht durch eine Abschaffung reduziert, individuelle Vereinbarungen bedingen dann erhöhte Transaktionskosten.

7. Neben ihrem historischen Regelungszweck erfüllt die PreisVO infolge ihrer Inbezugnahme durch andere Teile der Rechtsordnung eine objektive Referenz- und Sicherungsfunktion, die im Falle einer Aufhebung der Verordnung nach gegenwärtiger Rechtslage unbesetzt bliebe.

8. Trotz eines identischen Bezugspunkts ihrer Regelungen stehen das Preisbildungsrecht und das Vergaberecht i.e.S. als selbständige Rechtsregime inhaltlich überschneidungsfrei nebeneinander. Sie enthalten gegenseitige Bezugnahmen aufeinander, die allerdings regelungstechnisch und inhaltlich unklar sind.

9. Die PreisVO verstößt weder gegen das EU-Beihilferecht, noch werden ihre wesentlichen Funktionen durch dieses erfüllt.

10. Die wesentlichen Funktionen der PreisVO können nicht insgesamt durch das deutsche Kartellrecht erfüllt werden, zumal sie ohnehin nur auf marktbeherrschende Anbieter anwendbar sind. Weiter finden die speziellen Entgeltregelungen des GWB nur auf die Energie- und Wasserwirtschaft Anwendung und bleiben in puncto Klarheit und Vorhersehbarkeit hinter den Regeln der LSP zurück. Die Gewährleistung der Selbstkostenpreise durch die PreisVO kann theoretisch mit dem allgemeinen Verbot des Ausbeutungsmissbrauchs (§ 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB) in Konflikt geraten.

11. Die PreisVO ist in ihrer gegenwärtigen Gestalt sowohl mit deutschem Verfassungsrecht als auch mit europäischem Unionsrecht vereinbar. Der in der neuen EU-Vergaberechtlinie 2014/24/EU enthaltene, ausdrückliche Vorbehalt zugunsten des nationalen Preisrechts der Mitgliedstaaten macht deutlich, dass dieses vom harmonisierten Vergaberecht nicht erfasst – und somit auch regelungssystematisch zu unterscheiden – ist.

12. Auch wenn das Preisbildungsrecht weiterhin einen legitimen Regelungsgegenstand des deutschen öffentlichen Wirtschaftsrechts bildet, ist das Rechtsregime der PreisVO weder durch Verfassungs- noch durch EU-Recht geboten und steht damit zur Disposition des deutschen Gesetz- und Verordnungsgebers, der hierüber nach Maßgabe der politischen Willensbildung entscheiden kann.

13. Sollte letztere für eine grundsätzliche Beibehaltung des Preisbildungsrechts ausfallen, so empfehlen sich eine Reihe von Veränderungen in Bezug auf seine grundsätzliche Regelungsstruktur und seine Verknüpfung mit dem Vergaberecht i.e.S. Hinsichtlich letzterer sollte vor allem die Bedeutung des Beachtensgebots in § 2 Abs. 4 VOL/A, § 2 EG Abs. 4 VOL/A, § 10 Abs. 5 VSVgV sowie der Auftragsbegriff des Preisbildungsrechts klargestellt werden. Eine Ausdehnung des Preisbildungsrechts auf öffentlich finanzierte, aber privatrechtlich organisierte Auftraggeber entspräche seinem originären Regelungszweck.

14. Sollte ein autonomes Preisbildungsrechts beibehalten werden, empfehlen sich u.a. folgende inhaltlichen Modernisierungen:

  • Für die Kalkulation der Selbstkostenpreise von KMU sind größenabhängige Vereinfachungen vorzusehen.
  • Die Marktpreisbildung muss bei Ausschreibungen und Vorliegen echter Konkurrenzangebote erleichtert werden.
  • Die Preisprüfung orientiert sich an verbindlichen Prüfungsstandards sowie -fristen und richtet mit einer zentralen Schiedsstelle eine zweite Instanz ein.
  • Für Dienstleistungsaufträge werden spezielle Kalkulationsschemata anerkannt.
  • LSP-Kostenpositionen werden stärker in Höhe der handelsrechtlichen Ansätze übernommen, insb. bei den Pensionsrückstellungen.
  • Bei wesentlichen Unterauftragnehmeranteilen (>80%) ist die VO PR 30/53 verpflichtend anzuwenden.

Leitsätze Programmatische Überlegungen Dr. Greiffenhagen

1. Die Preisverordnung ist notwendig. Sie dient dem Ziel der Aufrechterhaltung des Preisstandes gleich Stabilität des Preisniveaus. Dieses Ziel ist durch das Bundesverfassungsgericht sanktioniert worden sowie im Grundgesetz und im Europarecht festgeschrieben.

2. Zur Aufrechterhaltung des Preisstandes bedarf es der Preisprüfer. Diese müssen als Neutrale tätig, in gehöriger Anzahl vorhanden, in ihren Befugnissen nicht eingeschränkt und von Weisungen unabhängig organisiert sein.

3. Die Rechtsgrundlage für eine Änderungsverordnung ist vorhanden.

4. Eine Erstreckung der VO PR Nr. 30/53 auf nicht-erwerbswirtschaftlich tätige Unternehmen des Privatrechts als Auftraggeber ist möglich.

5. Eine Erstreckung der VO PR Nr. 30/53 auf wesentliche mittelbare Leistungen ist möglich.

6. Eine Erstreckung der VO PR Nr. 30/53 auf internationale Auftraggeber ist grundsätzlich möglich.

7. Die Schaffung eines „Wettbewerbspreises“ ist überflüssig. Ein solcher Preistyp ist durch § 4 VO abgedeckt.

8. Für freiberufliche Tätigkeiten sollte ein „Festpreis“ geschaffen werden.

9. Einzelheiten für Dienstleistungen und für kleine und mittlere Unternehmen bedürfen keiner Änderung der LSP, sondern können in Verwaltungsvorschriften geregelt werden. Diese müssen von Ländern und Gemeinden übernommen werden.

10. Das Problem der Pensionsrückstellungen bedarf keiner Änderung im LSP-Bereich.

Weitgehende Gemeinsamkeiten:

1. Grundsatz:
Beide sehen das Preisrecht im Grundsatz weiterhin notwendig, keinen Verstoß gegen andere Rechte und Gesetze und auch nicht überholt durch andere Regelungen. Während Dr. Greiffenhagen die absolute Notwendigkeit wegen der Aufrechterhaltung des Preisstandes betont, sehen Prof. Dörr und Prof. Hoffjan zwar auch die Notwendigkeit des Preisrechts, aber dieses streng genommen als nicht verfassungs- und EU-rechtlich geboten und somit grundsätzlich disponibel für den Verordnungsgeber.

2. Preisprüfer:
Beide sehen das Vorhandensein und die Stärkung der Neutralität und Unabhängigkeit sowie der Befugnisse der Prüfungsbehörden als unbedingte Voraussetzung und fordern, dass dafür auch genügend Preisprüfer vorhanden sein müssen.

3. Ausdehnung des Preisrechts auf andere Auftraggeber:
Dr. Greiffenhagen bejaht eine Ausdehnung auf nicht-erwerbswirtschaftlich tätige Unternehmen des Privatrechts als Auftraggeber; Prof. Dörr und Prof. Hoffjan merken an, dass eine Ausdehnung des Preisbildungsrechts auf öffentlich finanzierte, aber privatrechtlich organisierte Auftraggeber seinem originären Regelungszweck entspräche.

4. Anwendung Preisrecht bei Unteraufträgen:
Für wesentliche Unterauftragnehmeranteile (>80%) schlagen Prof. Dörr und Prof. Hoffjan vor, die VO PR 30/53 verpflichtend anzuwenden; Dr. Greiffenhagen empfiehlt dies ebenfalls, zieht die Grenze der Wesentlichkeit unter Hinweis auf die Rechtsprechung zum Preisrecht bei 10% der Summe des Hauptauftrages.

5. Ressortabkommen und vertragliches Preisprüfungsrecht des BAAINBw:
Dr. Greiffenhagen empfiehlt für künftige Abkommen den Vorrang der Preisprüfungskompetenz der Preisüberwachungsbehörden stärker zu berücksichtigen; Prof. Dörr und Prof. Hoffjan sprechen sich zusätzlich dafür aus, eine weitere Verlängerung des Ressortabkommens (und damit des vertraglichen Preisprüfungsrechts des BAAINBw) kritisch zu prüfen.

Unterschiede:

1. Internationale Auftraggeber:
Dr. Greiffenhagen sieht es als grundsätzlich möglich, das Preisrecht auf Aufträge von internationalen Organisation anzuwenden, sofern das vertraglich vereinbart wird; Prof. Dörr und Prof. Hoffjan sprechen sich dafür aus, dass die Vergabe durch deutsche, öffentliche Auftraggeber auch dann der VO PR unterliegen soll, wenn der Sitz des Auftragnehmers im Ausland ist und empfiehlt auch, internationale Aufträge als Vergleichsaufträge bei der Marktpreisprüfung mit anzuerkennen.

2. KMU und Dienstleistungsaufträge:
Prof. Dörr und Prof. Hoffjan empfehlen größenabhängige Vereinfachungen für die Kalkulation der Selbstkostenpreise von KMU und Anerkennung von speziellen Kalkulationsschemata für Dienstleistungsaufträge als inhaltliche Modernisierung des Preisrechts. Dr. Greiffenhagen hält hier keine Änderung der LSP notwendig – Einzelheiten dazu könnten in Verwaltungsvorschriften geregelt werden.

3. Wettbewerbspreis:
Prof. Dörr und Prof. Hoffjan sehen es für die Erleichterung der Marktpreisbildung als möglich und evtl. förderlich an, den Wettbewerbspreis entweder generell oder zumindest in klar definierten Fällen als Marktpreis anzuerkennen. Dr. Greiffenhagen lehnt die Schaffung eines Wettbewerbspreises als überflüssig ab, da dieser Sachverhalt bereits durch § 4 VO PR 30/53 (Marktpreis) abgedeckt ist.

4. Pensionsrückstellungen:
Dr. Greiffenhagen sieht in Sachen Pensionsrückstellungen keinen Änderungsbedarf der LSP oder durch Verwaltungsvorschriften; Prof. Dörr und Prof. Hoffjan empfehlen hingegen, vor allem die Pensionsrückstellungen stärker in Höhe der Vorschriften des neuen Handelsrechts in die Vorschriften des neuen Preisrechts zu übernehmen

Einzelne Akzente:

1. Prof. Dörr und Prof. Hoffjan empfehlen

a. verbindliche Prüfungs- und Berichtsstandards und die Einrichtung einer zentralen Schiedsstelle (statt Preisbildungsstelle) als zweite Instanz zur Erhöhung der Qualität der Preisprüfungen sowie Prüfungs- und Verjährungsfristen und eine geringere Prüfungstiefe zur Verkürzung der Latenzzeiten.

b. die möglichst zeitnahe Schaffung von Rechtssicherheit über den zugrundeliegenden und finalen Preistyp – vorschlagsweise über eine Kurzprüfung bei Auftragsvergabe

2. Dr. Greiffenhagen spricht sich dafür aus, für freiberufliche Tätigkeiten einen „Festpreis“ in Anlehnung an den früheren sog. 22 b) – Preis zu schaffen, der keiner Selbstkostenpreisprüfung unterliegt.

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Stellungnahme BMWi zum Gutachten Prof. Dörr / Prof. Hoffjan:

„Die Gutachter zeigen Defizite bei der Rechtsklarheit sowie der praktischen Anwendung und Beachtung der PreisVO auf und geben Hinweise zu möglichem Änderungs- bzw. Anpassungsbedarf. Außerdem verweist das Gutachten auf die Referenzfunktion des Preisrechtes vor allem im europäischen Beihilferecht, dem kommunalen Abgaberecht (Gebührenberechnung bei Inanspruchnahme von Fremdleistungen) sowie im Zuwendungsbereich (Gewährung von Zuwendungen auf Kostenbasis).

Gleichwohl stellen die Gutachter klar, dass die PreisVO rechtlich nicht zwingend fortbestehen muss, sondern im Rahmen der politischen Willensbildung auch zur Disposition gestellt werden könnte.“

Trotz dieses Hinweises ist es jedoch so, dass sowohl Prof. Dörr und Prof. Hoffjan als auch Dr. Greiffenhagen das Preisrecht weiterhin als notwendig ansehen. Die Initiative für die weitere Entwicklung liegt jetzt beim BMWi – eine eingehendere Stellungnahme und der Anstoß zu einem Diskussionsprozess sind wahrscheinlich. Möglicherweise wird das jedoch erst nach der Reform des Vergaberechts auf Grundlage der EU-Vergaberichtlinien geschehen.

In den Diskussionsprozess werden mit Sicherheit auch die Preisprüfer, Verbände und weitere Experten mit eingebunden. Bisher gibt es aus dieser Richtung noch keine öffentlichen Stellungnahmen. Auf der Webseite des Bundesverbandes der Preisprüfer wird das Gutachten von Prof. Dörr und Prof. Hoffjan nicht erwähnt. Zu den programmatischen Überlegungen von Dr. Greiffenhagen heißt es:

„Unser Verbandsmitglied und Kommentator des Preisrechts, Herr Dr. Horst Greiffenhagen, hat mit dem Thema „Programmatische Überlegungen zu einer möglichen Reform der Preisverordnung für öffentliche Aufträge“ seine interessanten Anregungen zu einer Veränderung der Preisverordnung aufgezeigt.“

Über die weitere Entwicklung werden Sie hier, im DVNW und auf der Webseite www.preisrecht.info auf dem Laufenden gehalten.

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Michael Singer

Michael Singer beschäftigt sich seit 1988 ausführlich mit der Thematik „Öffentliches Preisrecht und Preisprüfungen“. Er veranstaltet praxisorientierte Seminare zum öffentlichen Preisrecht und berät Unternehmen vor Preisprüfungen und auf dem Weg zu prüfsicheren öffentlichen Aufträgen (https://www.singer-preispruefung.de). Außerdem ist er Mitveranstalter des Deutschen Preisrechtstags, tritt als Referent bei Tagungen und Fachseminaren auf und veröffentlicht regelmäßig einschlägige Fachbeiträge.

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