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IHKs sind keine öffentlichen Auftraggeber (VK Sachsen, Beschl. v. 12.11.2015 – 1/SVK/033-15)

EntscheidungNach Auffassung der VK Sachsen sind die deutschen Industrie- und Handelskammern (IHKs) nicht als öffentliche Auftraggeber im Sinne des Vergaberechts anzusehen.

Wie im Falle der Ärztekammern (vgl. EUGH, Urteil v. 12.09.2013 Rs. C-526/11) werden auch die IHKs weder überwiegend staatlich finanziert noch beaufsichtigt. Als Folge können die IHKs ihre Beschaffungsaufträge ohne Beachtung vergaberechtlicher Vorschriften vergeben; Unternehmen, die sich um Aufträge der IHKs bewerben, steht der Rechtsweg vor den vergaberechtlichen Nachprüfungsinstanzen nicht offen. In dem von der VK Sachsen am 12.11.2015 entschiedenen Fall hatte die betroffene Landes-IHK die Verfahrenskosten gleichwohl zu tragen.

§ 98 Nr. 2 GWB, IHKG

Sachverhalt

Die IHK eines Bundeslandes hat für die Modernisierung ihrer RZ-Infrastruktur die Lieferung, Installation und Wartung einer Server- und Speichervirtualisierung EU-weit ausgeschrieben. In der EU-Bekanntmachung hat die IHK die Vergabekammer Sachsen als zuständige Stelle für Rechtsbehelfs-/Nachprüfungsverfahren angegeben.

Gegen die sodann beabsichtigte Zuschlagserteilung hat sich ein Bieter per Nachprüfungsantrag an die Vergabekammer Sachsen gewandt. Auf den Hinweis der VK Sachsen, dass die IHK ihres Erachtens kein öffentlicher Auftraggeber sei und damit der Rechtsweg vor den vergaberechtlichen Nachprüfungsinstanzen nicht eröffnet wäre, nahm der Bieter seinen Nachprüfungsantrag zurück. In ihrem Beschluss vom 12.11.2015 hatte die VK Sachsen daher nur noch nach billigem Ermessen gemäß § 128 GWB über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden.

Die Entscheidung:

Die VK Sachsen bestätigte in dem Beschluss ihre Auffassung, dass der IHK die Eigenschaft eines öffentlichen Auftraggebers im Sinne des § 98 Nr. 2 GWB fehle. Dabei stützte sie sich im Wesentlichen auf das Urteil des EuGH (Urt. v. 12.09.2013, Rs C-526/11 , Vergabeblog.de vom 12/09/2013, Nr. 17018) zu den deutschen Ärztekammern. Anders als im Falle öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten (EuGH, Urt. v. 13.12.2007, Rs. C-337/06, Vergabeblog.de vom 21/12/2007, Nr. 51)  und gesetzlicher Krankenkassen (EuGH, Urt. v. 11.06.2009, Rs C-300/07, Vergabeblog.de vom 20/06/2009, Nr. 2625) kam der EuGH darin zu dem Ergebnis, dass die Ärztekammern weder im Sinne des Art. 1 Abs. 9 Unterabs. 2 Buchst. der RL 2004/18/EG überwiegend staatlich finanziert noch kontrolliert werden. Als Begründung führt der EuGH aus, dass das für die Ärztekammern maßgebliche HeilBerG den Ärztekammern eine erhebliche Autonomie

„bei der Bestimmung des Wesens, des Umfangs und der Durchführungsmodalitäten der von ihr zur Erfüllung ihrer Aufgaben ausgeübten Tätigkeiten, somit bei der Festsetzung des dafür erforderlichen Haushalts und infolgedessen bei der Festlegung der Höhe der Beiträge einräumt, die sie von ihren Mietgliedern erhebt.“

Die Autonomie werde dabei

„noch dadurch verstärkt, dass die besagte Regelung von einer Versammlung erlassen wird, die aus den Beitragspflichtigen selbst besteht.“

Diese vom EuGH hervorgehobenen Selbstbestimmungsrechte liegen, so die VK Sachsen, bei der IHK in vergleichbarer Form vor. Auch die IHK sei daher nicht als öffentlicher Auftraggeber gemäß § 98 Nr. 2 GWB anzusehen und der Rechtsweg vor den vergaberechtlichen Nachprüfungsinstanzen damit im vorliegenden Fall nicht eröffnet.

Gleichwohl kam die VK Sachsen in ihrem Beschluss zu dem Ergebnis, dass nicht der Bieter sondern die betroffenen Landes-IHK die Kosten des Verfahrens zu tragen hat, da diese den unzutreffenden Anschein gesetzt habe, dass das Verfahren der Kontrollmöglichkeit durch die Nachprüfungsinstanzen unterliege.

Rechtliche Würdigung

Die Einschätzung der VK Sachsen zur fehlenden öffentlichen Auftraggebereigenschaft der IHKs ist zutreffend. In den vom EuGH als wesentlich erachteten Punkten entsprechen die Selbstbestimmungsrechte der IHKs denen der deutschen Ärztekammern. Das insoweit maßgebliche Gesetz zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern (IHKG, Gesetze-im-internet.de) räumt den IHKs das Recht ein, ihren Wirtschaftsplan, die Gebührenordnung sowie Art und Höhe der von den Mitgliedern beizubringenden Beiträge selbst zu bestimmen (§ 4 IHKG). Dabei werden diese Bestimmungen auch hier durch die Vollversammlung getroffen, deren Mitglieder von den Kammerzugehörigen gewählt werden (§ 5 IHKG). Weder die gesetzlich geregelte Pflichtmitgliedschaft (§ 2 IHKG) noch die in § 11 IHKG vorgesehene staatliche Rechtsaufsicht steht diesem Ergebnis entgegen. Für die Ärztekammern enthält das HeilBrG entsprechende Vorschriften, ohne dass der EuGH daraus auf eine überwiegende staatliche Finanzierung oder Kontrolle dieser Körperschaften geschlossen hätte. Als Konsequenz ist die VK Sachsen zutreffend davon ausgegangen, dass der eingereichte Nachprüfungsantrag mangels Anwendbarkeit der für die Nachprüfungsverfahren maßgeblichen Regelungen des 4. Abschnitts des GWB unzulässig ist.

Auf den ersten Blick etwas überraschend erscheint, dass die VK Sachsen die Kosten des Verfahrens gleichwohl der IHK auferlegt hat. Mit der Wahl eines EU-weiten Verfahrens nebst Rechtsmittelbelehrung hatte sich die IHK offensichtlich gerade besonders rechtstreu verhalten wollen.

Allerdings wäre es tatsächlich noch weniger billig, das Risiko einer falschen vergaberechtlichen Selbsteinschätzung des Auftraggebers grundsätzlich den Bietern aufzuerlegen. Wie die VK Sachsen insoweit zutreffend feststellt, haben die Bieter

„in der Regel keine Veranlassung, bei einer europaweiten Ausschreibung und Nennung der Vergabekammer die Zuständigkeit der Vergabekammer in Frage zu stellen.“

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Praxistipp

Für die Praxis bleibt festzuhalten:

  • Bei der Frage, ob eine Körperschaft überwiegend staatlich finanziert und/oder kontrolliert wird, ist das Ausmaß ihrer Selbstbestimmungsrechte maßgeblich. Insbesondere wenn diese Selbstbestimmungsrechte durch ein von den Mitgliedern der Körperschaft gewähltes Gremium ausgeübt werden, wird es an der für einen öffentlichen Auftraggeber erforderlichen Staatsnähe fehlen.
  • Gesetzliche Bestimmungen zur Pflichtmitgliedschaft bei der Körperschaft und/oder zur staatlichen Rechtsaufsicht machen eine Körperschaft noch nicht zum öffentlichen Auftraggeber.
  • Das Prozesskostenrisiko einer unzutreffenden Angabe der vergaberechtlichen Nachprüfungsinstanzen trägt grundsätzlich der Auftraggeber. Gleichwohl sollte sich der Auftraggeber im Zweifelsfall zur Durchführung eines EU-weiten Verfahrens entschließen. Ohne Durchführung eines – letztlich ggf. doch gebotenen – EU-weiten Verfahrens ist ein erteilter Auftrag als vergaberechtswidrige de-facto-Vergabe unwirksam, was in der Regel deutlich weitreichendere Konsequenzen für den Auftraggeber hat.
  • Um in Zweifelsfällen dem Vorwurf der falschen Anscheinssetzung entgegen zu wirken, könnte der Auftraggeber in den Vergabeunterlagen darauf hinweisen, dass er nach seiner Einschätzung kein öffentlicher Aufraggeber ist und auf den Rechtsweg vor den vergaberechtlichen Nachprüfungsinstanz lediglich vorsorglich hinweist. Zumindest hätten die Bieter dann – anders als im vorliegenden Fall – eine gewisse Veranlassung, die Zuständigkeit der Vergabekammer zu hinterfragen.
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Über Julie Wiehler, LL.M.

Die Autorin Julie Wiehler, LL.M., ist Rechtsanwältin und Partnerin der Kanzlei Frhr. v.d. Bussche Lehnert Niemann Wiehler Rechtsanwälte & Notare. Sie berät und unterstützt Unternehmen und die öffentliche Hand bei öffentlichen Ausschreibungen sowie bei vergaberechtlichen Fragen in öffentlich geförderten Projekten.

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