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Bauleistungen

Eignungsnachweis: „Mit dem Angebot“ heißt „mit dem Angebot“ (OLG München, Beschl. v. 21.04.2017 – Verg 2/17)

EntscheidungDer Beschluss des OLG München ist in dreierlei Hinsicht interessant (und überzeugend): Erstens stellt das Gericht (jedenfalls im Leitsatz) klar, dass eine einmal in Gang gesetzte Rechtsmittelfrist nach § 160 Abs. 3 Nr. 4 GWB (15 Kalendertage nach Mitteilung über die Nichtabhilfe einer Rüge) nicht durch nachfolgende „Verhandlungen“ gehemmt werden kann. Zweitens muss ein „mit dem Angebot“ geforderter Eignungsnachweis (hier: Zertifizierung) zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe bestehen, es kommt nicht auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Vergabenachprüfungsverfahren an. Drittens kann eine Erklärung über Nachunternehmer oder eine Eignungsleihe nicht nachgefordert werden, weil dadurch das Angebot unzulässiger Weise geändert würde.

§ 160 Abs. 3 Nr. 4 GWB; § 16aEU GWB; § 6aEU VOB/A

Leitsätze

  1. Eine aufgrund einer Nichtabhilfemitteilung nach § 160 Abs. 3 Nr. 4 GWB angelaufene Frist wird durch nachfolgende Korrespondenz zwischen der Vergabestelle und dem Bieter regelmäßig nicht berührt.
  2. Verlangt die Vergabestelle, dass ein Bieter bei Angebotsabgabe über eine abfallrechtliche Zertifizierung verfügt, muss eine erst nach Angebotsabgabe erfolgte Zertifizierung unberücksichtigt bleiben.

Eine Zertifizierung nach Angebotsabgabe muss unberücksichtigt bleiben – Nachforderung von Erklärung über Nachunternehmer oder eine Eignungsleihe unzulässig – keine Hemmung der Rechtsmittelfristen nach § 160 Abs. 3 GWB durch Verhandlung.

Sachverhalt

1. Der Antragsgegner schrieb im Rahmen des Neubaus eines Strafjustizzentrums die Baumaßnahme „Baugrube Verbau“ aus. In der Bekanntmachung wurde – zur Entsorgung des Bodenmaterials – eine Bestätigung über die Zertifizierung als Entsorgungsfachbetrieb (nachfolgend: nur Zertifikat) gefordert, die nach den Ausschreibungsunterlagen mit dem Angebot vorzulegen war. Nach Auslegung des Gerichts konnte den Ausschreibungsunterlagen eindeutig entnommen werden, dass für sämtliche in der Leistungsbeschreibung genannten Entsorgungstätigkeiten ein Zertifikat vorzulegen war.

Nebenangebote waren nur für den Teil „Verbau“ zugelassen. Zuschlagskriterium war allein der Preis.

2. Die Beigeladene gab ein Hauptangebot und ein Nebenangebot mit Abweichungen im Teil „Verbau“ ab und legte mit ihrem Angebot Zertifikate von Unternehmen vor, die sie im Leistungsverzeichnis als Entsorgungsstellen für die Entsorgung von belastetem Bodenaushub genannt, nicht aber für sonstige Entsorgungsleistungen. Sie benannte in den – nach den Bewerbungsbedingungen bei Inanspruchnahme auszufüllenden – Formblättern keine Nachunternehmer oder keine Unternehmen zur Eignungsleihe für den Bereich Entsorgung.

Die Antragstellerin legte sowohl ein Haupt- als auch ein Nebenangebot vor.

3. Das Nebenangebot der Antragstellerin belegte in der Wertung rechnerisch Platz 1, gefolgt von dem Nebenangebot der Beigeladenen und dem Hauptangebot der Antragstellerin auf Platz 3.

4. Mit Schreiben vom 14.11.2016 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass ihr Nebenangebot ausgeschlossen werde, da es auch Bereiche außerhalb des Teils „Verbau“ abweichend anbiete. Nach Rüge durch die Antragstellerin, wurde die Antragsgegnerin am 16.11.2016 informiert, dass der Rüge nicht abgeholfen werde. Es folgten mehrere weitere Schreiben, u. a. Informationsschreiben nach § 134 GWB mit dem Inhalt, dass das Nebenangebot der Beigeladenen den Zuschlag erhalten sollte.

Mit Schreiben vom 21.11.2016 rügt die Antragstellerin unter anderem, dass die Beigeladene nicht über eine Zertifizierung als Entsorgungsfachbetrieb verfüge.

Die Antragsgegnerin wies diese erneute Rüge mit Schreiben vom 24.11.2016 zurück.

Mit Schriftsatz vom 02.12.2016 leitete die Antragstellerin ein Nachprüfungsverfahren ein.

Nach Anforderung durch die Antragsgegnerin übersandte die Beigeladene mit Email vom 22.12.2016 Formblätter, nach denen eines der Unternehmen, für die sie ein Zertifikat vorgelegt habe, sämtliche Entsorgungsleistungen übernehme und legte eine entsprechende Verpflichtungserklärung des Unternehmens vor.

Am 30.01.2017 legte die Beigeladene ein Zertifizierung als Entsorgungsfachbetrieb, ausgestellt am 27.01.2017, vor.

Die Entscheidung

Die gegen die ablehnende Entscheidung der Vergabekammer eingelegte sofortige Beschwerde hatte Erfolg.

1. Zwar war der Nachprüfungsantrag verfristet, soweit er sich auf die Rüge des Ausschlusses des Nebenangebots der Antragstellerin bezog. Die Frist von 15 Kalendertagen nach (erstmaliger) Zurückweisung der Rüge war zum Zeitpunkt der Einleitung des Nachprüfungsverfahrens bereits abgelaufen. Von der Zurückweisung der Rüge habe die Antragsgegnerin auch nachfolgend nicht wieder Abstand genommen. Eine Kommunikation nach Zurückweisung der Rüge hemme die Frist grundsätzlich nicht, so das Gericht im Leitsatz der Entscheidung.

2. Das (Neben-)Angebot der Beigeladenen hätte aber nicht gewertet werden dürfen: Es fehle an dem als Eignungsnachweis geforderten Zertifikat.

Mit dem Angebot habe die Beigeladene lediglich ein Zertifikat für zwei Unternehmen vorgelegt, die sie als Entsorgungsstellen benannt hat. Dass diese Unternehmen auch für andere Entsorgungsleistungen, für die ebenfalls ein Zertifikat gefordert war, habe dem Angebot nicht entnommen werden können.

Die Antragsgegnerin durfte entsprechende Erklärungen zur Nachunternehmerbenennung oder zur Eignungsleihe auch nicht nach § 16aEU VOB/A nachfordern oder das Angebot gemäß § 15EU VOB/A aufklären, da hierdurch das Angebot verändert werde, was dem Nachverhandlungsverbot aus § 15EU Abs. 3 VOB/A widerspreche.

Schließlich ändere auch das nachgereichte – nach Angebotsabgabe erstellte – Zertifikat nichts, da die Antragsgegnerin das Zertifikat bereits zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe gefordert habe, woran sie gebunden sei. Ein Abstellen auf den Tag der mündlichen Verhandlung würde zu Wettbewerbsverzerrungen führen. Anderes könne nur für den Bereich der Zuverlässigkeit bzw. des Vorliegens von Ausschlussgründen und einer anschließenden Selbstreinigung gelten, nicht aber im Bereich der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit, wenn ein öffentlicher Auftraggeber vorgebe, dass die Eignung zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe vorliegen müsse. In diesem Bereich sehe das Gesetz – außer der Nachforderung von Unterlagen – kein Nachholen der Eignungsvoraussetzungen vor.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung überzeugt.

Eine Hemmung von Rechtsmittelfristen kommt nicht in Betracht, da hierdurch Streit über das Fristende vorprogrammiert wäre und das Gesetz eine Hemmung nicht vorsieht. Nur wenn die Vergabestelle der Rüge im Nachhinein doch noch abhilft, muss zur Fristwahrung kein Nachprüfungsverfahren eingeleitet werden, da sich die Rüge dann erledigt hat.

Richtig ist auch, dass die Nachunternehmererklärung und Erklärungen zur Eignungsleihe, jedenfalls im vorliegenden Fall, nicht nachgeholt werden können. Bei der Nachunternehmererklärung ist dies zweifelsfrei, da hierdurch das Angebot im Hinblick darauf abgeändert wird, wer die Leistung ausführt. Bei der Eignungsleihe ist dies nicht so eindeutig: Es ist nicht zwingend, dass das verleihende Unternehmen auch die Leistungen ausführt, es muss nur die Kapazitäten zur Verfügung stellen können. Sonst wäre das verleihende Unternehmen Nachunternehmer. Bei einem Entsorgungszertifikat ist es allerdings zwingend, dass gerade das ausführende Unternehmen das Zertifikat besitzt, da hierdurch die ordnungsgemäße Entsorgung durch das leistende Unternehmen sichergestellt werden soll. Rechtsgrundlage hierfür dürfte im Ergebnis § 6dEU S. 3 sein. Jedenfalls dann kann eine Erklärung zur Eignungsleihe nicht nachgefordert werden.

Das Gericht geht zutreffend davon aus, dass das Zertifikat bereits zur Angebotsabgabe vorgelegt werden musste. Das Gericht musste dabei nicht problematisieren, ob diese Anforderung in der Ausschreibung vorliegend gerechtfertigt war, da die Antragstellerin diese Anforderung nicht gerügt hatte. Materiell spricht allerdings viel dafür, dass die Vergabestelle jedenfalls hätte zulassen müssen, dass die Bieter statt des Zertifikats die für das Erlangen des Zertifikats geltenden Anforderungen nachweist: Auch damit besteht ausreichend Gewähr dafür, dass das Unternehmen zum Zeitpunkt der Ausführung der Leistung über das entsprechende Zertifikat verfügt. Dass ein Bieter bereits vor Angebotsabgabe eine Zertifizierung durchführen lässt, erscheint hingegen aufgrund der kurzen Frist und der Kosten unzumutbar und nicht erforderlich.

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Praxistipp

1. Keinesfalls sollten sich Bieter darauf verlassen, dass sie Nachweise und Erklärungen nachliefern können: Es besteht jedenfalls das Risiko, dass der Nachweis oder die Erklärung Auswirkungen auf das Angebot haben und daher ein Nachfordern unzulässig ist.

2. Bei Nichtabhilfe von Rügen sollte stets rechtzeitig ein Nachprüfungsverfahren eingeleitet werden, vorsorglich selbst dann, wenn die Vergabestelle eine nochmalige Überprüfung zusagt. Vergabestellen sollten daher die Nichtabhilfe von Rügen gründlich prüfen.

3. Um mehrere Nachprüfungsverfahren zu verschiedenen Zeitpunkten zu vermeiden, kann eine Vergabestelle sämtliche Rügen zum gleichen Zeitpunkt bescheiden. Ob dies angezeigt ist, ist eine taktische Frage.

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Über Dr. Peter Neusüß

Der Autor Dr. Peter Neusüß ist Rechtsanwalt der Sozietät Sparwasser & Heilshorn Rechtsanwälte, Freiburg. Herr Dr. Peter Neusüß berät im Bereich des Vergabe-, Bau-, Abfall- und Energierechts insbesondere die öffentliche Hand, aber auch private Unternehmen. Er begleitet  und unterstützt öffentliche Auftraggeber im Vergabeverfahren von der Vorbereitung einschließlich der Einbindung der (kommunalen) Gremien über die Erstellungder Vergabeunterlagen und Bieterinformationen bis hin zur Zuschlagserteilung und vertritt sie, soweit erforderlich, in Nachprüfungsverfahren vor den Vergabekammern und den Oberlandesgerichten.

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