Bei Unterschwellenvergaben gilt das europäische Primärrecht, wenn an den öffentlichen Aufträgen ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse besteht. In diesem Fall sind die Grundregeln des AEUV zu beachten, vor allem Art. 49 AEUV (Niederlassungsfreiheit) und Art. 56 AEUV (Dienstleistungsfreiheit), sowie die sich daraus ergebenden allgemeinen Grundsätze der Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung und Transparenz. Liegt ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse vor, stellt sich die Frage nach den hieraus folgenden Verfahrensanforderungen. Dazu zählt seit jeher z.B. die Pflicht zur Gewährleistung eines angemessenen Grades an Öffentlichkeit, sprich zur Bekanntmachung. Für europarechtswidrig haben die Luxemburger Richter aber jüngst die Anforderung eingeordnet, dass die ausgeschriebenen Leistungen auch hauptsächlich vom Auftragnehmer auszuführen sind.
Art. 49 und 56 AEUV
Bei einem öffentlichen Auftrag, der nicht in den Anwendungsbereich der europäischen Vergaberichtlinien fällt, an dem allerdings ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse besteht, sind die Art. 49 und 56 AEUV dahin auszulegen, dass sie einer Regelung entgegenstehen, die für den Fall eines Unterauftragnehmereinsatzes die Erbringung der Hauptleistung durch den Auftragnehmer selbst vorsieht.
Das Vorabentscheidungsersuchen erging im Rahmen eines Rechtsstreits wegen der Rechtmäßigkeit der Vergabeunterlagen für einen öffentlichen Bauauftrag zur Erneuerung der Kaianlagen im litauischen Klaipeda. Darin war u.a. geregelt, dass die vom Auftraggeber angegebene Hauptleistung bei einem Unterauftragnehmereinsatz vom Auftragnehmer selbst erbracht werden muss. Gegen diese Forderung wandte sich das Unternehmen Borta und ersuchte deshalb um Rechtsschutz.
Die Grundregeln und die allgemeinen Grundsätze der Gleichbehandlung sowie der Nichtdiskriminierung, insbesondere das sich hieraus ergebende Transparenzgebot, sind auch bei öffentlichen Aufträgen zu beachten, die wegen ihres Wertes nicht in den Anwendungsbereich des EU-Vergaberechts (hier: RL 2004/17/EG) fallen, sofern an diesen Aufträgen ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse besteht (Rdnr. 44). Ein solches Interesse liegt hier vor, weil der Auftragswert relativ hoch, der Seehafen für die nationale Sicherheit strategisch bedeutsam ist und zwei ausländische Bieter an der Ausschreibung teilnahmen (Rdnr. 45).
Bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, die nicht unter die europäischen Vergaberichtlinien fallen, liegt es im Interesse der EU einen möglichst umfassenden Wettbewerb sicherzustellen. Der Einsatz von Unterauftragnehmern, der den Zugang kleinerer und mittlerer Unternehmen zu öffentlichen Aufträgen fördern kann, trägt zur Erreichung dieses Ziels bei (Rdnr. 48). Die verfahrensgegenständliche Regelung hindert die Unternehmen jedoch daran, die vom Auftraggeber als Hauptleistung eingestuften Arbeiten ganz oder teilweise an Unterauftragnehmer zu vergeben oder für diesen Teil der Arbeiten ihre Leistungen als Unterauftragnehmer anzubieten (Rdnr. 49). Eine solche Bestimmung stellt daher eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs dar (Rdnr. 50). Sie kann nur dann gerechtfertigt sein, wenn sie ein legitimes Ziel des Allgemeininteresses verfolgt und soweit sie den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wahrt, d.h. geeignet ist, die Erreichung dieses Ziels zu gewährleisten, und nicht über das hinausgeht, was hierzu erforderlich ist (Rdnr. 51).
Das Verbot, Unterauftragnehmer für die Hauptleistung des öffentlichen Auftrages einzusetzen, ist nach Ansicht des EuGH zur Erreichung des Ziels der korrekten Ausführung der ausgeschriebenen Arbeiten nicht erforderlich, weil das Verbot u.a. keinen Raum für eine Einzelfallprüfung durch den Auftraggeber vorsieht. Zudem bleibt z.B. unberücksichtigt, welche Qualifikationen die Unterauftragnehmer vorweisen können (Rdnr. 55). Nach Ansicht der Luxemburger Richter wäre eine mildere Regelung ausreichend gewesen, wie etwa in der verpflichtenden Angabe der Bieter, welchen Anteil am Auftrag und welche Arbeiten sie an Unterauftragnehmer vergeben möchten, welche Unterauftragnehmer sie vorschlagen und welche Kapazitäten diese besitzen. In Betracht käme auch eine dem Auftraggeber eingeräumte Möglichkeit, den Austausch von Unterauftragnehmern zu untersagen, wenn er zuvor nicht die Identität und Kapazitäten der Unterauftragnehmer überprüfen konnte (Rdnr. 57). Das Verbot, alle vom Auftraggeber als Hauptleistung bezeichneten Arbeiten an Dritte zu delegieren, selbst wenn die übertragenen Aufgaben nur einen verhältnismäßig geringen Teil dieser Arbeiten ausmachen, geht aber über das Erforderliche hinaus, so der EuGH (Rdnr. 58).
Die Entscheidung des EuGH ist auftraggeberunfreundlich. Sie engt die Handlungsmöglichkeiten öffentlicher Aufraggeber unnötig ein. Denn die aus den Grundsätzen der Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung und Transparenz folgende Pflicht zur Gewährleistung eines fairen und unparteiischen Verfahrens erfordert kein grundsätzliches Verbot der Forderung nach Selbstausführung durch den Auftragnehmer. Ein überwiegender oder fast vollständiger Unterauftragnehmereinsatz führt in der Beschaffungspraxis häufig zu Qualitätsbeeinträchtigungen und nicht ordnungsgemäßer Leistungserbringung. Diese nachteiligen Folgen (wenigstens) im Unterschwellenbereich zu vermeiden, ist ein legitimes Ziel der Auftraggeber. Es darf deshalb bezweifelt werden, ob der EuGH einen wenigstens in den zeitlichen Anwendungsbereich der RL 2014/24/EU oder RL 2014/25/EU unterfallenden Sachverhalt wieder so entscheiden würde. Denn Art. 63 Abs. 2 RL 2014/24/EU und Art. 82 Abs. 3 RL 2014/25/EU sehen – anders als noch die RL 2004/17/EG und RL 2004/18/EG die auftraggeberseitige Möglichkeit vor, zumindest bestimmte kritische Aufgaben bei Bau- und Dienstleistungsaufträgen vom Bieter selbst ausführen zu lassen. Es wäre insoweit kaum überzeugend, wenn der EuGH im richtlinienfreien Unterschwellenbereich an die Auftraggeber höhere Verfahrensanforderungen stellen würde als im vergaberegulierten Oberschwellenbereich.
Bis zu einer von diesem Urteil abweichenden EuGH-Entscheidung dürften Auftraggeber bei Unterschwellenvergaben mit Binnenmarktbezug vorerst gut beraten sein, den Einsatz von Unterauftragnehmern nicht in Gänze auszuschließen. Vielmehr sollte im Einzelfall erwogen werden, welche milderen Regelungen (vgl. oben Rdnr. 57 des Urteils) bei der Selbstausführung zielführend und sinnvoll erscheinen.
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht Holger Schröder verantwortet als Partner bei Rödl & Partner in Nürnberg den Bereich der vergaberechtlichen Beratung. Er betreut seit vielen Jahren zahlreiche Verfahren öffentlicher Auftraggeber, Sektorenauftraggeber und Konzessionsgeber zur Beschaffung von Bau-, Liefer- und Dienstleistungen von der Bekanntmachung bis zur Zuschlagserteilung. Er ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichungen und und referiert regelmäßig zu vergaberechtlichen Themen. Herr Schröder ist Lehrbeauftragter für Vergaberecht an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen und ständiges Mitglied im gemeinsamen Prüfungsausschuss "Fachanwalt für Vergaberecht" der Rechtsanwaltskammern Nürnberg und Bamberg.
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