Marina Köhn hielt auf dem 4. IT-Vergabetag am 15. Mai 2019 (Rückblick s. ) als Vertreterin des Umweltbundesamtes einen Vortrag mit dem „Der erste Leitfaden für die Beschaffung von umweltverträglicher Software liegt vor – Energie- und Ressourcenverbrauch von Software ist mess- und bewertbar!“. Zu dem neuen Leitfaden haben wir Frau Köhn im Nachgang einige Fragen gestellt.
Marina Köhn ist Informatikerin und seit 1992 im Umweltbundesamt tätig, derzeit in der Beratungsstelle nachhaltige Informations- und Kommunikationstechnik. Ihre Arbeitsschwerpunkte bilden die Themen der umwelt- und ressourcenschonenden Informations- und Kommunikationstechnik (IKT). Aus dieser Arbeit heraus sind Forschungsprojekte entstanden, welche die Potenziale der Ressourceninanspruchnahmen in der IKT ermitteln und Handlungsalternativen zu ihrer Aktivierung entwerfen. Im Rahmen dieser Tätigkeit ist auch der Blaue Engel für den energieeffizienten Rechenzentrumsbetrieb entstanden.
Vergabeblog: Sehr geehrte Frau Köhn, auf dem 4. IT-Vergabetag des DVNW haben Sie einen beachtenswerten Vortrag mit dem Titel „Der erste Leitfaden für die Beschaffung von umweltverträglicher Software liegt vor …“ gehalten. Worum ging es?
Marina Köhn: Herzlichen Dank für Ihre Einschätzung zum Vortrag. Auf Ihre Frage zu antworten, in erster Linie geht es mir darum, aufmerksam zu machen, dass die Software einen großen Einfluss auf den Energieverbrauch der Hardware hat und dass sie im schlimmsten Fall darüber entscheidet, dass Hardware nicht mehr weiterbetrieben werden kann. Das heißt, schlecht programmierte Software belastet das Klima und verschwendet wertvolle Rohstoffe.
Wir haben gemeinsam mit den Forscher*innen des Umweltcampus Birkenfeld und des Öko-Institut insgesamt 11 Softwareprodukte auf ihre Umweltverträglichkeit untersucht, anhand von uns entwickelter Kriterien. Darüber hinaus haben wir im Labor nicht nur den Energieverbrauch der Software gemessen und sondern auch, wie intensiv die Hardwareressourcen dabei genutzt werden. Also, wie hoch die CPU-Auslastung, die Belastung des Arbeitsspeichers und die Netzbelastung bei einem vorgegebenen Nutzungsszenario sind. Mit den Ergebnissen können wir die These bestätigen, dass die Software einen großen Einfluss auf den Energieverbrauch der Hardware hat und das Software Einfluss darauf hat, welche Hardwareleistungen zum Ausführen der Software notwendig sind. Unsere Messungen in der Forschung haben gezeigt, dass ein Softwareprogramm u.U. viermal so viel Energie verbrauchen und eine viermal höhere Prozessorauslastung haben kann als ein vergleichbares Softwareprodukt.
Vergabeblog: Warum hat es solange gedauert, bis das UBA sich dieses Themas angenommen hat?
Marina Köhn: Wir haben uns schon länger mit dem Thema beschäftigt. Bereits mit der Forschung an den Umweltauswirkungen von Computer, Notebook und Monitoren im Jahr 2012 haben wir in einem Fachgespräch auf das Thema aufmerksam gemacht. Ziel des Fachgesprächs war es, den Stand der Forschung zu ermitteln. Wir mussten zu der Zeit feststellen, dass nur sehr wenig im Bereich der Umweltauswirkungen von Software geforscht wird. Somit hatten wir keine Vorkenntnisse, auf denen wir aufbauen konnten. Das ist der Grund, warum wir lange gebraucht haben, um geeignete Kriterien, eine richtungssichere Methode und Messtools zur Ermittlung der Umweltbelastung von Software präsentieren zu können.
Vergabeblog: Worin bestanden die Herausforderungen einen solchen Leitfaden inklusive Wertungskriterien zu entwickeln?
Marina Köhn: Die größte Herausforderung besteht darin, Beschaffer*innen zu motivieren, auch bei der Beschaffung oder Beauftragung der Entwicklung von Software Umweltkriterien anzuwenden. Da es keine Erfahrungen gibt, auf die wir verweisen können, kann ich die Sorgen der Beschaffer*innen verstehen. Es ist daher sehr wichtig, dass die großen Beschaffungsstellen die Vorreiter sind und dass bei zukünftiger Ausschreibungen von Softwareentwicklung und –beschaffung ganze selbstverständlich die Einhaltung der Umweltkriterien verlangt werden.
Der Leitfaden spricht unterschiedliche Themen an, die die Qualität des Softwareproduktes erhöhen. So enthält der Kriterienkatalog auch Themen, die auf dem ersten Blick nicht als Umweltkriterien erkennbar sind, wie bspw. dass Sicherheitsupdates garantiert werden müssen. Mein Appell ist, bitte schauen Sie sich die Kriterien an und entscheiden Sie, welche unbedenklich gefordert werden können oder welche Sie für ihre Softwarebeschaffung anpassen müssen. Im Leitfaden haben wir viele Kriterien zunächst als Bewertungskriterien formuliert und nicht als Ausschlusskriterium. Damit wird kein Bieter ausgeschlossen, jedoch die Software mit besseren Umwelteigenschaften erhält eine höhere Bewertung.
Die Herausforderung bestand aber auch darin, dass sehr viele unterschiedliche Softwareprodukte und – architekturen existieren. Für diese Vielzahl an Softwareprodukten mussten wir allgemeingültige Anforderungen entwickeln. Vor diesem Hintergrund geben wir in der Tabelle 1 des Leitfadens eine Empfehlung, welche Kriterien für welches der vier typischen Softwarekategorien genutzt werden sollten und ob es sich bei diesen Kriterien um ein Ausschluss- oder Bewertungskriterium handeln sollte. Der Leitfaden zur umweltfreundlichen öffentlichen Beschaffung von Software steht unter dem folgendem Link kostenlos zum Download bereit: https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/leitfaden-zur-umweltfreundlichen-oeffentlichen-21
Vergabeblog: Das UBA bringt ja bekanntlich seit vielen Jahren Leitfäden für die Beschaffung verschiedenster Leistungen heraus. Gibt es Untersuchungen dazu, wie oft und in welcher Güte die angebotenen Vorlagen genutzt werden?
Marina Köhn: Eine vor einigen Jahren durchgeführte Evaluation zu unserem Themenportal www.beschaffung-info.de bezog sich auf die Nutzerbedarfe. Die Ergebnisse wurden in den Relaunch unseres Internetangebots einbezogen. Zahlen zur Anwendung der Leitfäden zur umweltfreundlichen öffentlichen Beschaffung des Umweltbundesamtes lassen sich angesichts der ca. 30.000 Beschaffungsstellen in Deutschland kaum erheben. Allerdings ist das Feedback, das wir zur Website und zu den Leitfäden bekommen, sehr positiv. Wir nehmen Anregungen gern auf und entwickeln unsere Ausschreibungsempfehlungen ständig weiter.
Vergabeblog: Ein von unterschiedlichen Seiten immer wieder gern vorgebrachter Vorwurf ist ja, dass insbesondere umwelt-, sozial- und nachhaltigkeitsbezogene Kriterien in Vergabeverfahren, einen zu hohen fachlichen und personellen Aufwand bei den Auftraggebern erzeugen und auf Seite der Bieter ebenfalls zu hohen Aufwänden führen, deren Nutzen nicht im Verhältnis stehen. Was entgegnen Sie den Kritikern?
Marina Köhn: In der Tat, das ist ein Vorwurf, der immer wieder vorgebracht wird. Unter anderem auch aus diesem Grund haben wir die Frage – ob die Beschaffung von umweltverträglicheren IT-Produkten unwirtschaftlich ist – wissenschaftlich untersucht. Wir haben dabei die ökologischen und ökonomischen Auswirkungen am Beispiel von drei verschiedenen Arbeitsplatzlösungen (Desktop-PC, Notebook, Mini-PC) untersucht. Dabei wurde für die Berechnung der CO2-Emissionen der gesamte Lebenszyklus von der Herstellung über den Transport und der Nutzungsphase bis zur Entsorgung betrachtet. Für die Berechnung der Kosten haben wir die Investition, die Kosten in der Nutzung und die Kosten für das Ausrollen der Technik einbezogen. Das Ergebnis ist eindeutig, umweltverträgliche Computer und Notebooks entlasten die Umwelt und sparen zudem Kosten. Ein Aspekt dabei ist, dass qualitativ hochwertige, umweltverträgliche Computer und Notebook, die bspw. die Kriterien des Blauen Engels erfüllen, eine lange Nutzungsdauer ermöglichen. Das ist die Voraussetzung, dass die Technik länger genutzt werden kann. Durch längere Beschaffungszyklen ergeben sich ein geringerer Verwaltungsaufwand und damit auch eine deutliche Kostenreduzierung. Umweltverträgliche Produkte sind nicht teurer, denn sie leben länger, das können wir damit beweisen.
Auf Basis dieser Forschung haben wir ein Tool entwickelt, mit dem die Kosten und CO2-Emissionen verschiedene Computervarianten für die Arbeitsplätze in der Verwaltung miteinander verglichen werden können. Wir haben Default-Werte hinterlegt, aber die Nutzer*in des Tools kann die eigenen Daten, wie die Nutzerprofile, die Personal- und Anschaffungskosten, die Anzahl der Geräte, die Nutzungsdauer oder die Energieverbräuche der IT eintragen. Anhand automatisch erzeugter Grafiken und Tabellen werden die Treibhauseffekt (in kg CO2-Äquivalent), die Lebenszykluskosten (in Euro) und jährlichen Kosten über einen Betrachtungszeitraum von bis zu 12 Jahren dargestellt. Den Öko-Vergleichsrechner für Arbeitsplatzcomputer stellen wir kostenlos zur Verfügung. Die Datei steht unter dem folgenden Link zum Download bereit: https://www.umweltbundesamt.de/dokument/oeko-vergleichsrechner-fuer-arbeitsplatzcomputer
Vergabeblog: Für die Bundesverwaltung wird der Leitfaden zur umweltfreundlichen öffentlichen Beschaffung von Software und Anwendung der Kriterien verbindlich. Verbirgt sich daher also die Erkenntnis, dass Umweltschutz und Nachhaltigkeit nur so Niederschlag in den Vergabeverfahren finden.
Marina Köhn: Ich würde das nicht so negativ sehen wollen. Mit der IT-Beschaffungsstrategie des Bundes liegt für die zentralen IT-Beschaffungsstellen der Bundesverwaltung ein rechtssicheres, von allen Ministerien abgestimmtes und mitgetragenes Vorgehen vor. Das heißt, dass eine IT Beschaffer*in damit eine Handreichung hat, in der nicht nur verankert ist, welche Aspekte beim jeweiligen Beschaffungsgegenstand zu berücksichtigen sind, sondern auch, wie sie angewendet werden müssen, um im Beschaffungsprozess rechtssicher zu sein. Und ganz wichtig, sie weiß, dass die Berücksichtigung der Umweltkriterien von der Amtsleitung unterstützt wird. In den Gesprächen mit Beschaffer*innen wird nicht selten geäußert, dass sie in diesem Punkt keine Unterstützung durch die Vorgesetzten hätten.
Vergabeblog: Wie sieht die Lage außerhalb der Bundesverwaltung aus?
Marina Köhn: Ich habe nur punktuellen Einblick in die Beschaffungsprozesse von Land und Kommunen. Erfreulich ist jedoch, dass auf der Umweltministerkonferenz am 10. Mai 2019 in Hamburg [1] beschlossen wurde, dass die Länder analog zur Green-IT-Initiative der Bundesverwaltung, eine Initiative implementieren sollen, die ein konkretes und ambitioniertes Einsparziel für die Reduktion des Energieverbrauchs der Landes-IKT enthält. Meine Hoffnung ist sehr groß, dass somit auch das Ziel, der Beschaffung umweltverträglicher IT enthalten ist, denn es ist auch ein Teilziel in der Green-IT-Initiative der Bundesverwaltung.
Vergabeblog: Gibt es bereits neue Projekte des UBA für das öffentliche Beschaffungswesen?
Marina Köhn: Ja, die gibt es. Wir werden noch diesem Jahr die Leitfäden für Computer und Rechenzentrumsdienstleistung aktualisieren. Im nächsten Jahr werden wir erstmalig Beschaffungsleitfäden für Server und Speichertechnik veröffentlichen. Darüber hinaus entwickeln wir unsere Leitfäden ständig weiter. Dabei berücksichtigen wir auch die Fragen und Anregungen der Beschaffer*innen, die uns erreichen.
Vergabeblog: Vielen Dank für das Interview. Wir freuen uns darauf, im nächsten Jahr mehr zu den Beschaffungsleitfäden für Server und Speichertechnik von Ihnen zu erfahren.
Das Interview führte Jan Buchholz vom DVNW.
[1] https://www.umweltministerkonferenz.de/documents/protokoll-92-umk_1560263808.pdf
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