Die Corona-Pandemie hat unser aller Leben und Alltag fortwährend fest im Griff. Im Frühjahr diesen Jahres war für das Deutsche Vergabenetzwerk (DVNW) klar, dass die Überführung aller drei jährlich ausgerichteten Tagungen (Deutscher Vergabetag, IT- und Bau-Vergabetag) in ein digitales Format geboten ist, um diese nicht der Gefahr der Nichtdurchführbarkeit auszusetzen. Der 4. Bau-Vergabetag 2020 digital am 16.09.2020 stellte die Premiere dar – ein kurzer Rückblick.
Die Überführung einer Präsenztagung in eine Onlinetagung ist kein leichtes Unterfangen, soviel kann aus Sicht der Organisation gesagt werden. Insbesondere der Wunsch sich die Technik Untertan zu machen, scheitert bekanntlich oft an der Wirklichkeit. Daher gebührt zunächst allen Beteiligten in der Vorbereitung und Durchführung großer Dank für das Engagement, aber auch ganz herzlichen Dank für das Nachsehen der Teilnehmenden für die Dinge, die leider nicht an jeder Stelle immer einwandfrei funktionierten.
Ziel aller Onlinetagungen 2020 des DVNW ist es, möglichst viele Inhalte live und interaktiv für die Teilnehmenden zu präsentieren und dabei keine Abstriche bei der Programmqualität zu machen. Auch wenn das persönliche Zusammentreffen, das ein ganz besonderer Wert der Tagungen ist, sich im Onlineformat nicht hinreichend kompensieren lässt, so kann aber auf einen Mehrwert verwiesen werden: Mehr Inhalte verfolgen und nichts verpassen. Alle Inhalte des Bau-Vergabetags wurden aufgezeichnet und nach dem Livetermin zum Nachschauen auf der digitalen Tagungsplattform zur Verfügung gestellt. Dies geschieht bei allen Onlinetagungen des DVNW.
Im altehrwürdigen Theater im Delphi in Berlin-Weißensee, das auch gern als Filmkulisse genutzt wird (u.a. für die Erfolgsserie Babylon Berlin), wurde am 16.09.2020 das Hauptprogramm unter Corona-Schutzmaßnahmen vor Ort live auf die digitale Tagungsplattform gestreamt, über die sich über 200 Teilnehmende eingeloggt hatten.
Fachpanel Teil 1
Nach der Eröffnung durch Jan Buchholz, Leiter der DVNW Geschäftsstelle, der auch durch den Tag führte, war es wie bei den letzten Bau-Vergabetagen Reinhard Janssen, Ministerialrat, Unterabteilung Bauwesen und Bauwirtschaft, Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, der zu den aktuellen Themen aus dem Ministerium informierte, die natürlich einerseits von Corona geprägt waren, aber auch das so wichtige Thema Building Information Modeling (BIM) umfasste. Janssen konnte darauf verweisen, dass nun seit Januar 2020 die Geschäftsstelle „BIM Deutschland“ (Zentrum Digitalisierung des Bauwesens in Deutschland) als gemeinsames Projekt des BMI und des BMVI in Betrieb ist. Ziel ist es ein offenes BIM-Portal mit eine hoher Informationsdichte anzubieten.
Anschließend referierte Dr. Volker Schnepel, stellvertretender Geschäftsführer der Bundesarchitektenkammer, zum Thema „Das EuGH-Urteil zur HOAI – eine Bewertung“, das bekanntlich in der Fachwelt seit längerer Zeit für Gesprächsstoff sorgt. Am 5.6.2020 wurde durch das BMWi der Referentenentwurf zur Änderung des Gesetzes zur Regelung von Ingenieur- und Architektenleistungen (ArchLGÄndG) vorgelegt, der sich nun als Regierungsentwurf des Bundeskabinetts vom 2.7.2020 im parlamentarischen Verfahren befindet. Hierzu hatte Volker Schnepel bereits Ende August einen Beitrag für die BAK im Vergabeblog veröffentlicht (siehe hier). In seinem Vortrag appelierte er, im Sinne eines kleinen Fazits an die öffentlichen Auftraggeber, die rechtlichen Rahmenbedingungen für eine qualitätvolle und wirtschaftlich auskömmliche Planung auch zu nutzen.
Dr. Bettina Krug aus dem Referat IB6 – Öffentliche Aufträge, Vergabeprüfstelle, Immobilienwirtschaft im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, welches in Abstimmung mit allen zu beteiligten Ressorts für die HOAI verantwortlich ist, gab anschließend eine Stellungnahme zur deren Zukunft ab und erläuterte die vielen anzupassenden rechtlichen Regelungen und deren Weg durch die Beratung und Gesetzgebung. Krug machte deutlich, dass die HOAI weiterhin eine verlässliche Grundlage für die Honorarermittlung und Vergütungsregelung bleiben soll, auch wenn deren frühere Verbindlichkeit in dieser Form nicht fortbesteht.
Weitere Informationen zum Thema finden Sie auf den Seiten des BMWi hier.
Podiumsdiskussion
Auf der beeindruckenden Bühne des Theater im Delphi, welche sich noch weitgehend im Originalzustand der 1920er Jahre befindet, kam die Runde der Diskutierenden der Podiumsdiskussion „Miteinander statt gegeneinander – angstfreie und erfolgreiche Vergabe“ zusammen. Die Moderation lag bei Nicolai Blank, Chefredakteur, competitionline.com, competitionline Verlags GmbH. Mit ihm auf der Bühne waren:
Emanula Boretzki, Regionalgruppenleitung Leipzig des Bundesverbandes MEDIATION, Dipl.-Ing. Landschaftsarchitektur und Umweltplanung (FH), Mediatorin
Doreen Behrendt, Sachgebietsleiterin Bauvergaben, Landeshauptstadt Dresden, Geschäftsbereich Finanzen, Personal und Recht, Zentrales Vergabebüro
Franz Damm, Landschaftsarchitekt, Stadtplaner, Bayr. Architektenkammer, Vorstandskooperator „Honorar, Rechts u. Digitalisierung“ und „Vergabe und Wettbewerbe“, Gesellschafter und Geschäftsführer Keller Damm und Kollegen GmbH
Matthias Wolf, Leiter Vergabe- und Vertragsmanagement, Berliner Wasserbetriebe AöR
Die Runde arbeitete Gründe heraus, warum Vergabeverfahren manchmal einfach nicht rund laufen wollen, obwohl es doch im Interesse aller Beteiligten liegen sollte. Selbstverständlich wurde auch über Lösungsmöglichkeiten gesprochen. Einer der wohl wichtigsten Lösungsansatz: (Mehr) miteinander reden. Leicht gesagt, kann man natürlich einwenden, da ja auch deutlich wurde wie schwierig dies sein kann. Unter anderem fachliche Schwächen bei an der Vergabe Beteiligten, mangelndes Kommunikationsvermögen, aber auch der ganz wesentliche Faktor Zeit gehören dazu. Vergaben grundlich vorzubereiten, bedarf zunächst auf Seiten der Auftraggeber ausreichend Zeit für ein ordentliches Zusammenwirken von Bedarfsträger und Vergabestelle, sofern eine funktionale Aufgabenverteilung vorgesehen ist.
Das Publikum an den Bildschirmen konnte interaktiv über den Chat, Fragen in die Runde einbringen und sich an einer Blitzumfrage beteiligen, deren Ergebnis live präsentiert wurde. Das Ergebnis der Umfrage war für die Runde nicht ganz überraschend. Rollenklarheit, gute Kommunikation, aber wie Matthias Wolf auch noch einmal deutlich machte, seien ausreichende Personalkapazitäten eine Grundvoraussetzung für das interne Funktionieren der Vergabe, welches sich dann auch positiv in den Markt weitertragen würde.
Fachpanel Teil 2
Nach einer Pause von 30 Minuten setzte dann das Fachpanel in bewährter Weise mit der „Aktuellen vergaberechtlichen Rechtsprechung“ fort – diese präsentiert von Matthias Steck, Vorsitzender der Vergabekammer Südbayern.
„Aktuelle Herausforderungen bei öffentlichen Bauprojekten aus Planersicht“ hatte Dr.-Ing. Werner Weigl, 2. Vizepräsident der Bayrischen Ingenieurekammer und Leiter des Arbeitskreises Vergabe der Bundesingenieurkammer, seinen Vortrag überschrieben, in welchem er sich auf unterschiedlichste Aspekte öffentlicher Vergaben nach geltendem Recht bezog, die aus Sicht der Planung oft wenig praktikabel, bisweilen gar wettbewerbseinschränkend seien. Kriteriensysteme täuschten manchmal schlicht nur Wettbewerb vor und entsprächen mehr theoretischen Überlegungen der Vergabestellen als tatsächlich praktisch relevanter Erwägungen. Weigl erneuerte dabei teilweise seine Kritik an der oft gelebten Vergabepraxis, die er bereits beim 2. Bau-Vergabetag 2018 vortragen hatte.
Mit dem Vortrag „Partnering-Modell – Vergabestrategie der Zukunft oder Momentaufnahme der Marktsituation?“ lieferte Dipl.-Ing. Arch. Remus Grolle-Hüging, 1. Vorsitzender des Vorstands, DVP Deutscher Verband für Projektmanagement in der Bau- und Immobilienwirtschaft e.V., eine kritische Analyse dieses kooperativen Ansatzes, der aufgrund der sich verengenden Marktsituation nun stärker nachgefragt werde. Die Ziele des Modells seien grundsätzlich positiv, würden aber in der Realität von althergebrachten Rollenverständnissen der beteiligten Parteien und mangelndem Vertrauen konterkariert, so Grolle-Hüging. Ersparte Kosten auf der Planerseite würden durch den GU wieder beaufschlagt, womit es nicht günstiger würde. Auch dürfe eine Verkürzung der Ausführungszeiten im Hinblick auf die Terminsituation nicht überbewertet werden. Das Partnering-Modell ist für Grolle-Hüging eine Erscheinung der Zeit – er empfahl mehr Zeit und Energie in Mehrparteienverträge zu investieren.
Praxisworkshops und Fachausstellung
Mit dieser Empfehlung endete das live übertragene Programm aus Berlin. Anschließend konnte die Zeit von den Teilnehmenden genutzt werden, um eine Mittagspause einzulegen sowie die Informationsangebote der virtuellen Fachausstellung mit eigenen Live-Sessions zu verschiedenen Themen und Produkten zu erkunden.
Um 13:00 Uhr wurden zudem die maximal 45 Minuten langen Vortragsvideos der Praxisworkshops A.1 bis A.4 freigeschaltet. Das Konzept, der bei Präsenztagungen 90 Minuten dauernden Praxisworkshops, wurde für das Onlineformat (auch Deutscher Vergabetag und IT-Vergabetag) insofern verändert, dass nun der erste Teil des Workshops immer aus einem durch die Workshopausrichter vorproduzierten Videostream besteht und sich dann anschließend in einer live übertragenen Frage-Antwort-Session die Vortragenden den Fragen und Meinungsbeiträgen der Teilnehmenden via Chat annehmen, aber auch noch weitere Informationen zum Thema angeboten werden können. Die ebenfalls 45 Minuten dauernden Frage-Antwort-Sessions werden bei allen Tagungen aufgezeichnet und zum Nachschauen bereitgestellt.
Dem 4. Bau-Vergabetag 2020 digital folgte am 29. & 30.10.20 der 7. Deutsche Vergabetag 2020 digital, dessen Rückblick folgt demnächst.
Den Abschluss der DVNW-Onlinetagungen in diesem Jahr macht der 5. IT-Vergabetag 2020 digital am 17.11.2020 – das Programm und die Anmeldemöglichkeit finden Sie hier.
0 Kommentare