Öffentliche Auftraggeber müssen die von ihnen aufgestellten Eignungskriterien nach § 122 Abs. 4 S. 2 GWB in der Auftragsbekanntmachung, der Vorinformation oder der Aufforderung zur Interessenbestätigung benennen. Die Vergabekammer des Landes Berlin hatte sich nunmehr mit der Frage zu befassen, ob nicht ordnungsgemäß benannte Eignungskriterien in Ausführungsbedingungen umgedeutet werden können.
§ 122 Abs. 4 S. 2 GWB; § 16b EU Abs. 1 VOB/A; § 63 VgV
Im Ergebnis schiebt die Vergabekammer einer solchen Umdeutung einen Riegel vor. Fehlt es an einer wirksamen Aufstellung von Eignungskriterien, darf der Auftraggeber einem Bieter nicht die Eignung absprechen. Ferner kommt nach Auffassung der Vergabekammer keine geltungserhaltende Umdeutung in eine Ausführungsbedingung in Betracht.
Im August 2020 leitete ein öffentlicher Auftraggeber ein offenes Verfahren mit dem Ziel ein, einen Auftrag bezüglich Abbruch-, Rückbau- und Entsorgungsleistungen zu vergeben.
Die Auftragsbekanntmachung enthielt in den für die Eignung vorgesehenen Feldern umfangreiche Ausführungen. Zum Thema „Entsorgungsfachbetrieb“ machte der Auftraggeber an dieser Stelle jedoch keine Vorgaben. Stattdessen wurde das Thema in den Vergabeunterlagen aufgegriffen.
Nach Ablauf der Angebotsfrist teilte der Auftraggeber der Antragstellerin mit, dass in ihrem Angebot folgende Unterlagen fehlen:
„zu V124HF- Nachreichung aller in diesem Formblatt geforderten Nachweise, Belege und Unbedenklichkeitsbescheinigungen
– V223HF-Aufgliederung der Einheitspreise
– V 221.H F Preisermittlung bei Zuschlagskalkulation oder
– V 222.H F Preisermittlung bei Kalkulation über Endsumme
– V2411F Abfall-Formblatt-1-Seite1 und 2 ausfüllen, und alle erforderlichen Nachweise / Zertifikate für Transporteur und Behandlungs-/ Verwertungs-Beseitigungsunternehmen für die jeweils genannten Abfallarten
– V 2413 F Erklärung Beauftragung Entsorgungsfachbetrieb in Verbindung mit Formblatt 1“
Der Auftraggeber forderte die Antragstellerin zugleich auf, diese Unterlagen innerhalb einer festgelegten Frist einzureichen. Die Antragstellerin legte fristgemäß unter anderem das Abfall-Formblatt 1 vor, bei dem sie auf Seite 1 für den Transport und die Behandlung/ Verwertung/ Beseitigung ein drittes Unternehmen und auf Seite 2 als Transporteur ganz überwiegend sich selbst und in einer Position erneut das dritte Unternehmen angab.
Ferner reichte die Antragstellerin auch die unterzeichnete Erklärung gemäß V 2413 F über die Beauftragung von Entsorgungsfachbetrieben ein. Wörtlich führt sie dort unter anderem Folgendes aus:
„Hiermit wird erklärt, dass zur Erfüllung der Anforderungen gemäß ‚Ausführungsvorschriften zur Vergabe von Bauabfallentsorgungsleistungen an zertifizierte Entsorgungsfachbetriebe durch die öffentliche Hand‘ vom 24. Mai 2011 (ABl. S. 1263) im Auftragsfall ausschließlich Entsorgungsunternehmen für die Bauabfallentsorgungsleistungen beauftragt werden, die nach der Entsorgungsfachbetriebeverordnung zertifiziert sind.
Falls […] unser Angebot in die engere Wahl kommt, […] werden wir die erforderlichen Angaben zum Entsorgungsweg der anfallenden Abfälle über Entsorgungsfachbetriebe unter Nutzung des Formblatt 1 (V 2411 F – Abfall-Formblatt 1) und Beifügung der geforderten Zertifikate unverzüglich vorlegen.“
Die Antragstellerin legte ferner eine Erlaubnis vor, nach der ihr gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 KrWG das Sammeln und Befördern bestimmter gefährlicher Abfälle erlaubt ist. Ebenso reichte sie das Zertifikat des von ihr im Formblatt benannten dritten Unternehmens vor, welches dieses als Entsorgungsfachbetrieb nach § 56 KrWG ausweist.
In einem zur Vergabeakte genommenen Vermerk ist zur Eignungsprüfung der Antragstellerin unter anderem Folgendes festgehalten worden:
„Der Bieter und dessen Unterauftrag-/Nachunternehmer bzw. sind geeignet:
[ ] Ja, der Bieter bleibt in der Wertung
[x] Nein, der Bieter wird wegen fehlender Eignung nicht berücksichtigt […]
Begründung:
Der Bieter ist nicht nach der Entsorgungsfachbetriebeverordnung zertifiziert und kann somit nicht als Beförderer tätig werden“
In einem weiteren zur Vergabeakte genommenen Vermerk wurde ferner Folgendes festgehalten:
„Bei der weiteren Prüfung des eingereichten Formblattes V 2411 F […] hat sich der Bieter Nr. 16 selbst als Transporteur der Gefährlichen Abfälle eingetragen. Das Unternehmen […] ist jedoch für die abfallwirtschaftliche Tätigkeit ‚Befördern‘ (Transporteur) nicht nach Entsorgungsfachbetriebeverordnung zertifiziert und scheidet somit als Beförderer für die Gefährlichen Abfälle aus. […]
Der Bieter Nr. 16 … ist aufgrund dessen nicht geeignet, die ausgeschriebenen Leistungen auszuführen und wird aus der weiteren Wertung ausgeschlossen.“
Anschließend teilte der Auftraggeber der Antragstellerin mit, dass ihr Angebot aufgrund eines Ausschlusses nicht berücksichtigt werden soll.
Dagegen ging die Antragstellerin vor. Nach einer entsprechenden Rügezurückweisung durch den Auftraggeber stellte die Antragstellerin einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer.
Mit Erfolg! Der Auftraggeber war nach Auffassung der Vergabekammer nicht berechtigt, das Angebot der Antragstellerin auszuschließen.
Nach § 16b EU Abs. 1 VOB/A sei die Eignung der Bieter zu prüfen, wobei anhand der vorgelegten Nachweise die Angebote der Bieter auszuwählen seien, deren Eignung die für die Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen notwendigen Sicherheiten bietet. Gemäß § 122 Abs. 2 S. 1 GWB sei ein Unternehmen geeignet, wenn es die durch den öffentlichen Auftraggeber im Einzelnen zur ordnungsgemäßen Ausführung des öffentlichen Auftrags festgelegten Kriterien (Eignungskriterien) erfüllt. Nach § 122 Abs. 4 S. 2 GWB seien die Eignungskriterien in der Auftragsbekanntmachung aufzuführen. Auf dieser Grundlage könne der Antragstellerin die Eignung nicht abgesprochen werden, da es vorliegend an entsprechenden Eignungskriterien in der Auftragsbekanntmachung fehle.
Sodann arbeitet die Vergabekammer heraus, warum nach ihrer Einschätzung ein unwirksames Eignungskriterium auch nicht geltungserhaltend in eine besondere Ausführungsbedingung umgedeutet werden kann. Hierfür nimmt sie zunächst eine Abgrenzung zwischen Eignungskriterien und Ausführungsbedingungen vor. Sofern sich das Kriterium auf generelle Fähigkeiten und Fertigkeiten des Unternehmen stützt, sei von einem Eignungskriterium auszugehen. Sofern sich das Kriterium jedoch auf Angaben stützt, die nur für den konkreten Auftrag Bedeutung erlangen, sei eine Ausführungsbedingung anzunehmen. Vorliegend gehe es um eine Zertifizierung als Entsorgungsfachbetrieb, die nicht auftragsbezogen durchgeführt werde, sondern die generelle Fähigkeit des Unternehmens betreffe. Insofern könne die Forderung nach einer entsprechenden Zertifizierung nicht in eine Ausführungsbedingung umgedeutet werden.
Die Entscheidung der Vergabekammer ist richtig.
Zutreffend hat sie herausgearbeitet, dass eine bloße Nennung von Eignungskriterien in den Vergabeunterlagen in Anbetracht von § 122 Abs. 4 S. 2 GWB nicht ausreichend ist. Fehlt es vor diesem Hintergrund an einer wirksamen Aufstellung von Eignungskriterien, kann ein Bieter nicht mangels Eignung ausgeschlossen werden.
Ferner hat die Vergabekammer zutreffend klargestellt, dass ein – mangels Bekanntmachung – unwirksames Eignungskriterium nicht geltungserhaltend in eine besondere Ausführungsbestimmung umgedeutet werden kann. Denn Eignungskriterien und Ausführungsbedingungen sind inhaltlich voneinander zu trennen. Überdies bestünde die Gefahr einer Aushöhlung der Regelung in § 122 Abs. 4 S. 2 GWB.
Im Ergebnis verdeutlicht die Entscheidung der Vergabekammer, dass ein unwirksames Eignungskriterium zu unliebsamen Konsequenzen für Auftraggeber führen kann. Der Ausschluss eines Bieters, der das gewünschte und dennoch nicht wirksam aufgestellte Eignungskriterium nicht erfüllt, wäre rechtswidrig. Mithin könnte ein „nur“ aus formellen Gründen geeigneter Bieter nach der Angebotsprüfung und -wertung auf dem ersten Rang liegen. Dass ein Auftraggeber einen solchen Bieter tatsächlich bezuschlagen will, erscheint zweifelhaft. Auch eine Rettung in die rechtmäßige Aufhebung erscheint problematisch, da es regelmäßig an dem erforderlichen Grund für eine rechtmäßige Aufhebung fehlen dürfte (vgl. z.B. § 63 Abs. 1 S. 1 VgV). Eine dennoch vorgenommene Aufhebung kann dann empfindliche Schadensersatzansprüche nach sich ziehen.
Für öffentliche Auftraggeber steht nicht erst seit der Entscheidung der Vergabekammer fest, dass sie die Regelung in § 122 Abs. 4 S. 2 GWB beherzigen müssen. An der Norm hat sich nichts geändert. Auftraggeber müssen weiterhin bei der Vorbereitung des Vergabeverfahrens entscheiden, anhand welcher Kriterien die Eignung gemessen werden soll und diese Eignungskriterien dann auch wirksam aufstellen.
Bieter sollten die Auftragsbekanntmachung und die Vergabeunterlagen im Hinblick auf Eignungskriterien und Vergabeunterlagen eingehend prüfen. In kritischen Fällen kann es sich lohnen, den Auftraggeber frühzeitig auf nicht wirksam aufgestellte Eignungskriterien hinzuweisen, damit der Auftraggeber dies korrigieren kann. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass ein „ungeeigneter“ Wettbewerber nicht ausgeschlossen werden kann.
Fabian Winters, LL.M., ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Vergaberecht und Partner bei LEXTON Rechtsanwälte. Er berät vornehmlich öffentliche Auftraggeber bei der Vorbereitung und Durchführung von Vergabeverfahren zur Beschaffung von Bau-, Liefer- und Dienstleistungen. Darüber hinaus vertritt er die öffentliche Hand in Nachprüfungsverfahren vor den Vergabekammern, den Vergabesenaten der Oberlandesgerichte und sonstigen Nachprüfungsstellen. Des Weiteren berät er Bieter bei der Angebotserstellung und Durchsetzung ihrer Rechte sowie nationale und internationale Unternehmen im IT- und Datenschutzrecht sowie bei baurechtlichen Fragestellungen.
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