Private Auftraggeber sind gemäß § 99 Nr. 4 GWB bei bestimmten oberschwelligen Bauvorhaben der Daseinsvorsorge an das EU-Vergaberecht gebunden, wenn diese überwiegend staatlich finanziert werden. Doch was gilt, wenn bei einem solchen Gesamtprojekt nur die zugehörigen Planungsleistungen oberhalb der Schwellenwerte liegen?
GWB § 99 Nr. 2, 4, § 106 Abs. 2; Richtlinie 2014/24/EU Art. 13 Satz 1; VgV § 3 Abs. 1
Vergibt ein privater Auftraggeber Planungsleistungen und erhält er von einem öffentlichen Auftraggeber für das Bauvorhaben Zuwendungen, muss der (oberschwellige) Planungsauftrag nur dann öffentlich ausgeschrieben werden, wenn auch der mit dem Planungsauftrag funktional verbundene Bauauftrag den Schwellenwert für Bauaufträge erreicht bzw. überschreitet und zu mehr als 50 % von einem öffentlichen Auftraggeber subventioniert wird (sog. doppelte Akzessorietät).
Eine private, nicht-staatliche Gesundheitseinrichtung beabsichtigte, OP-Säle an bisher zwei Standorten zusammenzulegen. Das Projektbudget im Umfang von insgesamt 6.Mio. € brutto für diese Umstrukturierung sollte vollständig aus Mitteln der Freien und Hansestadt Hamburg gestellt werden. Die hierfür erforderlichen Planungsdienstleistungen schrieb die Gesundheitseinrichtung europaweit aus, da der Auftragswert oberhalb der EU Schwellenwerte lag. Ein unterlegener Wettbewerber griff die Angebotswertung mit einem Nachprüfungsverfahren an.
Ohne Erfolg!
Die Vergabekammer Hamburg stellte fest, dass die betroffenen Leistungen nicht dem Anwendungsbereich des EU-Vergaberechts unterfielen, so dass der Nachprüfungsantrag bereits unzulässig war. Insbesondere war die Gesundheitseinrichtung trotz der überwiegenden Projektfinanzierung durch die Stadt kein öffentlicher Auftraggeber im Sinne des § 99 Nr. 4 GWB. Nach dieser Vorschrift sind juristische Personen des privaten Rechts als öffentlicher Auftraggeber im Sinne des EU-Vergaberechts einzuordnen, wenn sie insbesondere für
„(…) die Errichtung von Krankenhäusern (…) oder für damit in Verbindung stehende Dienstleistungen und Wettbewerbe (…) von klassischen Auftraggebern wie der Stadt Hamburg (…) Mittel erhalten, mit denen diese Vorhaben zu mehr als 50 % subventioniert werden.“
Zwar sei der Begriff der Errichtung von Krankenhäusern weit zu verstehen und umfasse daher außer Krankenhäusern im engeren Sinne alle Einrichtungen, die zumindest auch der Erbringung von medizinischen Leistungen dienen. Außerdem meine die Vorschrift nicht nur die Errichtung im Sinne eines Neubaus, sondern auch alle anderen Baumaßnahmen, die den Bestand schaffen, halten oder verändern. Daher seien im Prinzip auch die hier vorgesehenen Umbaumaßnahmen grundsätzlich als Errichtung von Krankenhäusern im Sinne der Vorschrift anzusehen.
Weitere Voraussetzung des § 99 Nr. 4 GWB sei aber, dass nicht nur die betreffende Dienstleistung, sondern auch die zugrunde liegende Baumaßnahme den jeweils einschlägigen EU-Schwellenwert überschreite. Die Formulierung oder für damit in Verbindung stehende Dienstleistungen könnte zwar wegen des Worts oder auf den ersten Blick dafür sprechen, dass es ausreicht, wenn allein der Auftragswert der Dienstleistung den EU-Schwellenwert überschreitet. Allerdings müsse die Dienstleistung mit der Baumaßnahme in Verbindung stehen. Diese Formulierung verdeutliche ein festes Vorrang- und Akzessorietätsverhältnis zwischen Bauauftrag einerseits und zugehörigem Dienstleistungsauftrag/Wettbewerb andererseits. Dieses Verhältnis beziehe sich auch auf den Auftragswert im Sinne einer doppelten Akzessorietät, d. h. einer doppelten Überschreitung der Schwellenwerte.
Zum Beleg verwies die Kammer auf den insoweit eindeutigen Wortlaut in Art. 13 S. 1 lit. b) der zugrunde liegenden EU-Richtlinie RL 2014/24/EU. Diese Vorschrift regelt ausdrücklich, dass überwiegend staatlich finanzierte, oberschwellige Dienstleistungsaufträge privater Auftraggeber nur dann in den Anwendungsbereich des EU-Vergaberechts fallen, wenn diese Aufträge mit einem Bauauftrag gemäß Buchstabe a) verbunden sind – also einem Bauauftrag, der seinerseits den EU-Schwellenwert überschreitet. Wie sich auch aus den Gesetzesmaterialien ergebe, sei die sprachlich unglückliche Umsetzung in deutsches Recht nicht darauf zurückzuführen, dass der Gesetzgeber den Anwendungsbereich des EU-Vergaberechts weiter ausdehnen wollte, als in der Vergaberichtlinie vorgesehen.
Der Auftragswert für die Bauleistungen lag im konkreten Fall jedoch unterhalb des einschlägigen EU-Schwellenwert von 5,35 Millionen € netto. Daher war der Anwendungsbereich des EU-Vergaberechts nicht eröffnet.
Unschädlich war es, dass der Auftraggeber durch die europaweite Auftragsbekanntmachung den Rechtsschein einer Ausschreibung im Anwendungsbereich des EU-Vergaberechts geschaffen hatte. Lediglich im Rahmen der Kostenschätzung führte dies dazu, dass ihm gemäß § 182 Abs. 3 GWB die Hälfte der Verfahrenskosten auferlegt wurde.
Während die in § 99 Nr. 4 GWB erfassten Baumaßnahmen traditionell sehr weit ausgelegt werden, begrenzt die Vergabekammer Hamburg den Anwendungsbereich des § 99 Nr. 4 GWB richtlinienkonform im Sinne der doppelten Akzessorietät.
Anzumerken ist ergänzend, dass die Rechtsprechung zwar keine völlig anderen Baumaßnahmen als die in § 99 Nr. 4 GWB genannten dem EU-Vergaberecht unterwirft. Sie erfasst aber durchaus auch Gebäude, die in untrennbarem oder engem Zusammenhang mit den aufgezählten Bauwerken stehen, soweit sie auch Teil der staatlichen Daseinsvorsorge auf dem Gebiet der betroffenen Bauwerke sind. So hat das OLG München beispielsweise auch Studentenwohnheime unter den Begriff der Hochschulgebäude gefasst (vgl. OLG München, Beschluss vom 10.11.2010 – Verg 19/10). Für den Fall, dass in dem betroffenen Gesamtkomplex noch andere, abgrenzbare Vorhaben realisiert werden, die nicht zu den in § 99 Nr. 4 GWB aufgezählten Alternativen zählen, werden diese weiteren Vorhaben bei der 50%-Schwelle allerdings nicht berücksichtigt (vgl. OLG München, Beschluss vom 10.11.2010 – Verg 19/10).
Ob EU-Vergaberecht Anwendung findet oder nicht, richtet sich allein nach objektivem Vergaberecht. Ist die Anwendbarkeit des EU-Vergaberechts zweifelhaft, sollten Auftraggeber dies durch entsprechenden Hinweis in einer etwaigen EU-Bekanntmachung offenlegen.
Doch Vorsicht: auch außerhalb des EU-Vergaberechts können sich unter dem Gesichtspunkt der Selbstbindung vergaberechtliche Pflichten ergeben, die bei Missachtung zivilrechtliche Schadensersatzansprüche auslösen können. Auch können Nebenbestimmungen in Zuwendungsbescheiden zur Einhaltung des Vergaberechts verpflichten – mit gravierenden Rückforderungsrisiken im Falle der Missachtung.
Die Autorin Dr. Valeska Pfarr, MLE, ist Rechtsanwältin bei Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Sie ist auf das Vergaberecht spezialisiert, ein Schwerpunkt liegt hierbei auf der Beratung der öffentlichen Hand.
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