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Kann die Neuausschreibung eines nichtigen Direktauftrags mit den Mitteln des Verwaltungszwangs durchgesetzt werden? (BayObLG, Beschl. v. 14.03.2023 – Verg 1/23)

EntscheidungEntscheidungen der Vergabekammer ergehen als Verwaltungsakt und können daher grundsätzlich mit den Mitteln des Verwaltungszwangs durchgesetzt werden. Auch bei als vergaberechtswidrig erklärten Direktvergaben folgt aber aus der Entscheidung der Vergabekammer kein rechtlicher oder tatsächlicher Ausschreibungszwang.

Die Vollstreckung von Entscheidungen der Vergabakammern richtet sich gemäß § 168 Abs. 3 Satz 2 GWB auch gegen einen öffentlichen Auftraggeber als Hoheitsträger nach den Verwaltungsvollstreckungsgesetzen des Bundes und der Länder. Das folgt aus Art. 2 Abs. 8 der Richtlinie 89/665/EWG (Rechtsmittelrichtlinie), wonach die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die Entscheidungen der Nachprüfungsstellen wirksam durchgesetzt werden können. Für eine zwangsweise Durchsetzung kommt es aber darauf an, was die Vergabekammer im Tenor und in den Beschlussgründen der Entscheidung dem öffentlichen Auftraggeber aufgegeben hat. Ein Kontrahierungszwang liegt grundsätzlich außerhalb der Entscheidungskompetenz der Vergabekammern.

§§ 135, 168 Abs 3 S 1 GWB, § 168 Abs 3 S 2 GWB, Art 29 Abs 1 BayVwZVG

Leitsatz

Zur Zwangsvollstreckung einer Entscheidung der Vergabekammer

Sachverhalt

In einem ersten Nachprüfungsverfahren wurde der Antragsgegnerin aufgegeben, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht die streitgegenständliche Leistung unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer in einem vergaberechtskonformen Verfahren auszuschreiben. Die Antragsgegnerin hatte einen Auftrag zur Installation labortechnischer Anlagen aus technischen Gründen in einem Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung an einen Wettbewerber der Antragstellerin vergeben. Weil der Direktvergabe keine ordnungsgemäß durchgeführte Markterkundung zugrundelag, erachtete die Vergabekammer den Auftrag als vergaberechtswidrig.

Nachdem diese Entscheidung rechtskräftig geworden war, forderte die Antragstellerin die Antragsgegnerin dazu auf, den Vollzug der von der Vergabekammer für unwirksam erklärten Verträge zu unterlassen und bis zu einem bestimmten Zeitpunkt ein vergaberechtskonformes Verfahren einzuleiten. Die Antragsgegnerin antwortete hierauf, sie bereite die Herstellung eines vergaberechtskonformen Zustands durch Durchführung eines neuen, vergaberechtskonformen Verfahrens vor. Die Antragsstellerin gab sich hiermit nicht zufrieden und strengte ein weiteres Nachprüfungsverfahren an. Hierin beantragte sie die Feststezung eines Zwangsgelds in angemessener Höhe für den Fall, dass die Antragsgegnerin nicht innerhalb einer bestimmten Frist ein Vergabeverfahren über die Leistungen, die Gegenstand des Beschlusses der Vergabekammer sind, einleitet.

Die Entscheidung

Die Vergabekammer wies den Nachprüfungsantrag zurück. Auch die sofortige Beschwerde hatte keinen Erfolg.

Verfahrenrechtlich ist zunächst von Interesse, dass das BayObLG die sofortige Beschwerde als statthaft ansah, obwohl nach § 38 Abs. 1 Satz 1 BayVwZVG ein Rechtsmittel nur gegen die positive Androhung eines Zwangsmittels vorgesehen ist. Das BayObLG folgte aber der Rechtsprechung, wonach wegen der Besonderheiten des Vergaberechts die sofortige Beschwerde auch gegen die Ablehnung eines Nachprüfungsantrags auf Vollstreckungsmaßnahmen eröffnet ist. Das Rechtsschutzziel einer Vollstreckung der Entscheidung der Vergabekammer dient in gleicher Weise dem Schutz des Bieterinteresses wie ein Nachprüfungsantrag, der sich auf den Auftrag selbst bezieht und für welchen die sofortige Beschwerde eröffnet ist.

Das änderte aber nach Auffassung des Senats nichts daran, dass sich die sofortige Beschwerde nur gegen eine Entscheidung der Vergabekammer in einem Nebenverfahren richtete. Daher gelte § 175 Abs. 2 i.V. m. § 65 Abs. 1 GWB nicht, so dass eine mündliche Verhandlung, die auch nach den Regelungen des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes (BayVwZVG) nicht vorgeschrieben ist, entbehrlich gewesen sei.

In der Sache hatte die sofortige Beschwerde keinen Erfolg. Das beruhte auch auf der limitierten Antragsstellung, die es dem Senat verwehrte, auf die Frage einzugehen, ob durch die von der Vergabekammer gemäß § 135 Abs. 1 GWB getroffene Entscheidung zur unzulässigen Direktvergabe hinreichend effektiver Primärrechtsschutz gewährt wird, wenn nicht zugleich die Möglichkeit offensteht, die Vergabestelle zur Beachtung der Entscheidung durch Zwangsmittel anzuhalten. Denn die Antragstellerin wollte weitergehend erreichen, dass die Antragsgegnerin bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zur Veröffentlichung einer Auftragsbekanntmachung angehalten wird.

Im Ausgangspunkt bekräftigte der Senat, dass die als Verwaltungsakt ergangene Entscheidung der Vergabekammer im ersten Nachprüfungsverfahren grundsätzlich gemäß § 168 Abs. 3 Satz 2 GWB i.V. m. Art. 29 ff. BayVwZVG vollstreckungsfähig sei. Nach Art. 29 Abs. 1 BayVwZVG können Verwaltungsakte, mit denen die Vornahme einer Handlung gefordert wird, mit Zwangsmitteln, insbesondere Zwangsgeld, vollstreckt werden. Der Senat erkennt auch an, dass bei der Anwendung des § 168 Abs. 3 GWB der europarechtlichen Verpflichtung der Mitgliedstaaten in Art. 2 Abs. 8 der Richtlinie 89/665/EWG in der Fassung der Richtlinie 2007/66/EG Rechnung zu tragen ist. Danach haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass die Entscheidungen der Nachprüfungsstellen wirksam durchgesetzt werden können.

Allerdings hatte die Vergabekammer der Antragsgegnerin nicht aufgegeben, die streitgegenständlichen Leistungen zu beschaffen und zu diesem Zweck eine Auftragsbekanntmachung zu veröffentlichen. Das ergab sich weder aus dem Tenor noch aus den Gründen des Beschlusses. Die Handlung, welche die Antragstellerin mit den Mitteln des Verwaltungszwangs durchsetzen lassen will, entsprach mithin nicht der Handlung, zu welcher die Antragsgegnerin durch die Entscheidung der Vergabekammer angehalten worden war. Nach dem Beschluss war der Antragsgegnerin lediglich aufgegeben worden, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht die streitgegenständliche Leistung unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer in einem vergaberechtskonformen Verfahren auszuschreiben. Ein solches vergaberechtskonformes Verfahren kann ein Interessenbekundungsverfahren nach § 38 Abs. 4 VgV beinhalten, aber auch eine Direktbeauftragung im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb, wenn die von der Vergabekammer im ersten Durchgang beanstandete Markterkundung ordnungsgemäß durchgeführt wird und im Ergebnis die Voraussetzungen für eine Direktvergabe nach § 14 Abs. 4 bis 6 VgV vorliegen. Als einzige vergaberechtskonforme Handlungsweise eine Ausschreibung anzuerkennen, liefe auf einen Kontrahierungszwang hinaus, den anzuordnen aber, so der Senat im Einklang mit der herrschenden Meinung, nicht in der Kompetenz der Vergabekammern liegt und der sich auch nicht aus der zugrundeliegenden Entscheidung der Vergabekammer Südbayern ergab.

Der Senat hielt es nicht für gänzlich ausgeschlossen, dass eine mit der Nichtigkeitsfolge des § 135 Abs. 1 GWB versehene Vergabekammerentscheidung mit den Mitteln des Verwaltungszwangs durchgesetzt werden kann. Das Gericht sah sich aber an den dezidierten Vollstreckungsantrag gebunden, der über den Inhalt der zugrundeliegenden Entscheidung hinausging. Grundsätzlich denkbar wäre also, dass eine bestimmte Handlung, Duldung oder Unterlassung zwangsweise durchgesetzt werden kann, wenn ein öffentlicher Auftraggeber die zu einer unzulässigen Direktvergabe getroffene Entscheidung ignoriert. Hierzu bestehen allerdings zwei Einschränkungen. Erstens müssen zumindest konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Entscheidung der Vergabekammer nicht befolgt oder ihr zuwidergehandelt wird. Solche Anhaltspunkte bestanden im vorliegenden Fall nach dem Erklärungsverhalten der Antragsgegnerin nicht. Zweitens wären sowohl eine möglicherweise vergaberechtswidrige Interimsvergabe als auch etwaige Unzulänglichkeiten bei dem eingeleiteten Verfahren zur Neuvergabe des nichtigen Direktauftrags in gesonderten Nachprüfungsverfahren zu überprüfen und nicht Gegenstand des Vollstreckungsverfahrens in Bezug auf das Nachprüfungsverfahren über die vergaberechtswidrige Direktvergabe.

Rechtliche Würdigung

Entscheidungen über die Vollstreckung von Beschlüssen der Vergabekammern sind selten. Die Vollstreckbarkeit ist gesetzlich verankert, stößt aber in der Praxis an Grenzen. Dass die Veröffentlichung einer EU-Bekanntmachung nicht erzwungen werden kann, weil es bereits außerhalb der Kompetenz der Vergabekammern liegt, eine solche Verpflichtung aufzuerlegen, entspricht herrschender Meinung. Das OLG Düsseldorf hatte bereits 2014 sehr hart formuliert, dass jedwede vorbeugende, nicht in einem Vergabeverfahren ergehende und auf ein künftiges Beschaffungsverhalten des Auftraggebers gerichtete Entscheidung der Vergabekammer (sowie dem Beschwerdegericht) untersagt sei (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10. März 2014 – Verg 11/14). Das BayObLG ließ aber die Tür zur Vollstreckung von Entscheidungen, aus denen gemäß § 135 Abs. 1 GWB die Nichtigkeit eines Auftrags folgt, offen. Hätte im konkreten Fall die Antragsgegnerin entgegen der Entscheidung der Vergabekammer an dem nichtigen Direktauftrag festgehalten und hätte die Antragstellerin die Unterlassung einer fortgesetzten Vertragserfüllung verlangt, wären hierfür durchaus Zwangsmittel in Betracht gekommen.

Praxistipp

Bieter, die versuchen wollen, einen ihnen günstigen Beschluss der Vergabekammer mit den Mitteln des Verwaltungszwangs durchzusetzen, sollten zunächst genauen Aufschluss darüber erlangen, wozu genau der unterlegene Auftraggeber verpflichtet worden ist. Tenor und Entscheidungsgründe bilden den Grund und die Grenze für etwaige Vollstreckungsanträge. Sodann sollte ein Vollstreckungsantrag nicht ohne konkrete Anhaltspunkte dafür in Betracht gezogen werden, dass der Auftraggeber die gegen ihn ergangene Entscheidung überhaupt missachtet; das dürfte rechtstatsächlich die deutliche Ausnahme sein. Schließlich ist genau abzugrenzen, ob der gebotene Rechtsschutz tatsächlich in einem Vollstreckungsantrag der bereits ergangenen Entscheidung besteht oder in einem weiteren Nachprüfungsantrag.

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Über Dr. Frank Roth

Dr. Frank Roth ist Partner und Rechtsanwalt bei DLA Piper UK LLP in Köln. Er ist auf den Gebieten des Vergaberechts, des öffentlichen Preisrechts und der Streitbeilegung tätig. Er hat sich seit Einführung des Kartellvergaberechts im Jahr 1998 auf die Beratung bei der Vorbereitung von und der Teilnahme an Vergabeverfahren öffentlicher Auftraggeber spezialisiert und verfügt über branchenspezifische Erfahrungen insbesondere auf den Gebieten Energie, Informationstechnologie und Infrastruktur, Food & Healthcare. Einen wichtigen Bestandteil der vergaberechtlichen Beratung bildet die Vertretung in vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren. Auch über diesen Bereich hinaus weist Dr. Frank Roth eine langjährige Erfahrung bei der Vertretung in streitigen Angelegenheiten vor staatlichen Gerichten und Schiedsgerichten auf. Dr. Frank Roth veröffentlicht regelmäßig zu vergaberechtlichen Themen.

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