Aufgrund des vergaberechtlichen Instanzenzugs nimmt der BGH äußerst selten zu vergaberechtlichen Fragen Stellung. Grund genug, die Entscheidungen genau zu analysieren und die zentralen Aussagen für die Praxis einzuordnen. Zwar betrifft die Entscheidung zunächst einmal nur den Unterschwellenbereich, doch verdeutlicht der BGH im Urteil selbst den Gleichlauf zwischen der VOB/A EU und der VOB/A.
In der Vergangenheit nahm der BGH mit seiner Entscheidung vom 18. Juni 2019 (X ZR 86/17) noch eine großzügigere Position hinsichtlich der Angebotsabgabe ein und sah gar offensichtliche Änderungen an den Vergabeunterlagen nicht als Ausschlussgrund im Sinne von § 16 EU Abs. 1b) i.V.m. § 13 EU ABs. 1 Nr. 5 Satz 1 VOB/A an. Vielerorts wurde diese Entscheidung als Abkehr von der Formenstrenge des Vergaberechts und als Hinwendung zu einem lockereren Umgang mit Formalia begrüßt. Abweichungen von den Vergabeunterlagen sollten nach dieser Rechtsprechung nicht mehr automatisch zu einem Ausschluss führen, dies jedenfalls im Hinblick auf abweichende AGB des Bieters. Ein Ausschluss unter formaljuristischen Gesichtspunkten sollte der Wahl des wirtschaftlichsten Angebotes nicht entgegenstehen, so dass stets dann auf die Rechtsprechung des zehnten Senates Bezug genommen wurde, wann immer der Ausschluss vor dem Hintergrund der Tragweite der Abweichungen unverhältnismäßig erschien.
Dieser Großzügigkeit des zehnten Senats folgt nunmehr eine Rückkehr zur Strenge, welche der dreizehnte Senat bereits mit seinem Urteil vom 8. Dezember 2020 (XIII ZR 19/19) aufzeigte. Entgegen der vorgenannten weichen Linie, hält der BGH nunmehr auch bei einer bloßen Abweichung von vorgegebenen Datei-Formaten einen Ausschluss für möglich. Dies selbst dann, wenn die grundsätzlich geforderten Angaben durch Übersendung eines anderen Datei-Formats grundsätzlich vollständig beim Auftraggeber vorliegen.
§§ 11, 11a, 13 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1, 16 Abs. 1 Nr. 2 VOB/A
Mit einer auf Schadensersatz gerichteten Klage ging die Klägerin der Sache nach gegen ihren Ausschluss in einer Vergabe nach der VOB/A im Unterschwellenbereich vor. Die Angebotsabgabe sollte in elektronischer Form erfolgen, wobei der Beklagte die Abgabe des bepreisten Leistungsverzeichnisses als GAEB-Datei forderte. Die Klägerin reichte die Angebotsunterlagen lediglich als PDF-Datei ein. Ob auch die entsprechende GAEB-Datei eingereicht wurde, war zwischen den Parteien streitig. Die Klägerin gab das günstigste Angebot ab, wurde jedoch aufgrund der Verwendung des falschen Datei-Formats (PDF-Datei) auf Grundlage von §§ 16 Abs. 1 Nr. 2, 13 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1, 11, 11a VOB/A ausgeschlossen. Gegen diesen Ausschluss wandte sich die Klägerin, verlangte den Ersatz des ihr entgangenen Gewinns und drang damit noch in der Berufungsinstanz durch. Hiergegen wandte sich der beklagte Auftraggeber mit seiner Revision.
Mit Erfolg! Der BGH hielt die Revision für begründet. Nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 VOB/A liege die Entscheidung über die Form und die bei der Angebotsabgabe zu verwendenden Mittel allein beim Auftraggeber. Der in § 13 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 VOB/A 2016 verwandte Begriff der „Form“ der Angebotsabgabe beinhalte auch die Vorgabe der zur Angebotsabgabe zu verwendenden elektronischen Mittel. Dies umfasse nicht zuletzt die Entscheidung zugunsten bestimmter Dateiformate. § 13 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 VOB/A 2016 sei im Zusammenhang mit den §§ 11, 11a VOB/A zu lesen, so dass der Auftraggeber das Recht habe, die bei der Einreichung der Angebote zu verwendenden elektronischen Mittel zu bestimmen und entsprechende Dateiformate vorzugeben.
Der Ausschluss bei Nichtbeachtung vorgegebener Datei-Formate sei überdies grundsätzlich auch gerechtfertigt. § 13 VOB/A diene einem ordnungsgemäßen Wettbewerb und solle die Chancengleichheit und Transparenz gewährleisten sowie der Vergleichbarkeit der Angebote in der Wertungsphase dienen. Gleiche Dateiformate ermöglichten eine (auch elektronische) bessere Vergleichbarkeit und verminderten den Prüfaufwand beim Auftraggeber, so dass im Sinne der Effizienz und Transparenz grundsätzlich die Festlegung bestimmter Formate möglich sei. Sei das Angebot nicht unter Verwendung der entsprechenden Dateiformate abgegeben, könne ein Ausschluss grundsätzlich gerechtfertigt sein.
Ob dies im vorliegenden Falle zutreffe, sei abschließend jedoch nicht durch den BGH selbst, sondern – nach Rückverweisung – vielmehr durch das Berufungsgericht zu prüfen. Dieses habe insbesondere zu prüfen, ob die Vorgabe der elektronischen Mittel im konkreten Fall die Voraussetzungen von § 11a VOB/A erfülle.
Eine harte, aber durchaus nachvollziehbare Entscheidung des BGH, die jedoch nur bedingt verallgemeinerungsfähig ist. Öffentliche Auftraggeber sollten sich daher davor hüten, überzogene Anforderungen an die Angebotsabgabe zu stellen, bzw. davon auszugehen, dass jegliche Vorgabe auf Basis der Entscheidung des BGH gerechtfertigt sei. Zum einen betrifft die Entscheidung des BGH tatsächlich nur die Angebotsabgabe und die hierbei zu verwendenden Mittel im Sinne von § 13 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 VOB/A bzw. die äquivalenten Vorschriften in anderen Verfahrensordnungen; bspw. § 13 EU Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 VOB/A oder § 53 VgV.
Nicht entschieden wurde damit etwa die Vorgabe besonderer sicherheitsbedingter Anforderungen an die Form der einzureichenden Angebote nach § 13 EU Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 VOB/A, bzw. § 53 Abs. 3 VgV. Eine solche ist weiterhin nur unter eigens anhand der besonderen Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu prüfenden, gesonderten Voraussetzungen, insbesondere eines erhöhten, feststellbaren Sicherheitsbedürfnisses zulässig.
Zudem – und das ist für den vorliegenden Fall weitaus relevanter – hat der BGH nicht beantwortet, ob die Vorgabe des GAEB-Formats im vorliegenden Fall überhaupt rechtmäßig war, sondern diese Prüfung dem Berufungsgericht überlassen. Im letzten Satz des Urteils heißt es: „Dabei wird das Berufungsgericht gegebenenfalls unter Berücksichtigung des im Revisionsverfahren erfolgten Vortrags Feststellungen dazu zu treffen sowie zu bewerten haben, ob das vom Beklagten vorgegebene Softwareprogramm die Anforderungen von § 11a VOB/A erfüllt.“ Nach § 11a EU Abs. 1 Satz 1 VOB/A dürfen die geforderten elektronischen Mittel nicht zu einer Diskriminierung einzelner Bieter führen. Für den vorliegenden Fall bedeutet dies die Notwendigkeit der Prüfung, ob der geforderte GAEB-Standard den Anforderungen an § 11a VOB/A 2016 gerecht wird.
Der GAEB-Standard selbst ist jedoch eine Entwicklung des Gemeinsamen Ausschuss Elektronik im Bauwesen, welche ein Dateiformat zum Austausch von Leistungsverzeichnissen und Angeboten zwischen Auftragnehmer und Auftraggeber beschreibt. Der Gemeinsame Ausschuss wiederum ist einer der vier Hauptausschüsse des Deutschen Vergabe- und Vertragsausschusses für Bauleistungen (DVA). Die gesamte Systemarchitektur ist damit zunächst auf den deutschen Markt und den deutschsprachigen Nutzer ausgerichtet. Interessierte Unternehmen aus dem (EU)-Ausland sind damit gezwungen, mit einer ihnen unvertrauten Software in deutscher Sprache zu arbeiten und auf dieser Grundlage verbindliche Angebote zu erstellen. Dies allein kann zu einem Hemmnis bei der Entscheidung über das Für und Wider einer Angebotsabgabe und damit zu einem Hindernis eines ungestörten Marktzugangs für Bieter aus dem Ausland führen.
Nach § 11a Abs. 1 Satz 1 VOB/A sind daher bspw. solche elektronischen Mittel unzulässig, die „außerhalb üblicher Standards liegen und deshalb nur für einen eingeschränkten Kreis von Nutzern verwendbar sind“ (Planker, in: Kapellmann/Messerschmidt (Hrsg.), VOB/A, 8. Aufl. 2020, § 11a Rn. 2). Vieles spricht aufgrund der rein deutschen Entwicklung und Nutzung für einen solch eingeschränkten Nutzerkreis. So ist die Programmieroberfläche bspw. bereits nur auf Deutsch, Englisch, Französisch und Polnisch verfügbar und die Verwendung des GAEB-Datei-Standards außerhalb der Bundesrepublik zumindest unüblich. Aufgrund dieser Unüblichkeit und der daraus folgenden Notwendigkeit, sich mit einem nicht vertrauten Programm auseinandersetzen zu müssen, könnten Bieter von einer Beteiligung an Vergabeverfahren in Deutschland absehen. Diesen Umstand wird das Berufungsgericht genau prüfen müssen. Ein schlichter Hinweis auf den Verbreitungsgrad innerhalb der deutschen Bauindustrie wird jedenfalls kaum ausreichen.
Darüber hinaus unterliegen Auftraggeber bei der Festlegung derartiger Datei-Standards dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Auch dieser unterwirft die Festlegung etwaiger Datei-Standards einer erhöhten Prüfungsdichte, so dass Auftraggeber ihr pflichtgemäßes Ermessen ausüben und etwaige formale Vorgaben auf ihren praktischen und rechtlichen Mehrwert vor dem Hintergrund der damit einhergehenden zusätzlichen Belastung der Unternehmen mit formalen Anforderungen im ohnehin zeitlich oftmals knappen Angebotserstellungsprozess prüfen müssen.
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Der BGH gibt Auftraggebern mit seiner Entscheidung gerade keinen Freibrief zur Vorgabe zusätzlich einzuhaltender formaler Standards bei der Angebotsabgabe. Vielmehr sieht auch er die Notwendigkeit einer eingehenden Prüfung der Voraussetzungen solcher Vorgaben, was er mit seinem Hinweis im letzten Satz der Entscheidung klar unterstreicht. Öffentliche Auftraggeber müssen daher auch künftig ein besonderes Augenmerk auf die kritische Prüfung der Voraussetzungen für die Vorgabe formaler Anforderungen legen. Keinesfalls sollten strenge formale Anforderungen leichtfertig vorgegeben werden, ohne Prüfung ihres paktischen/rechtlichen Mehrwerts und ihrer Erforderlichkeit. Es darf mit Spannung erwartet werden, wie das OLG Köln mit diesen Vorgaben umgehen und welchen Maßstab es an die Vorgabe etwaiger elektronischer Mittel im Sinne von § 11a VOB/A ansetzen wird.
Dr. Nikolas Graichen ist Rechtsanwalt bei LANGWIESER RECHTSANWÄLTE Partnerschaft mbB. Er berät sowohl öffentliche Auftraggeber als auch Unternehmen zu allen Fragen des Vergaberechts. Er betreut und begleitet öffentliche Auftraggeber bei der Planung und Durchführung von Vergabeverfahren und berät zu allen damit verbundenen vergaberechtlichen Fragestellungen. Auf der anderen Seite berät Dr. Nikolas Graichen Unternehmen zur rechtssicheren und chancenwahrenden Teilnahme an Vergabeverfahren. Zu seinen Tätigkeiten gehört auch die Vertretung seiner Mandanten in Rechtsschutzverfahren vor den vergaberechtlichen Nachprüfungsinstanzen und vor Behörden und Gerichten.
Wenn man Artikel über das GAEB-Format schreibt, sollte man „GAEB“ auch richtig schreiben und nicht wie in den oberen Absätzen als „GEAB“ 🙂
Vielen Dank für Ihren Hinweis. Den Typo haben wir nachträglich bereinigt.
Haben Sie Dank für den Hinweis.
Herzliche Grüße