Nach den Erwägungsgründen für die EU-Richtlinie 2014/24/EU vom 26. Februar 2014 sollten elektronische Informations- und Kommunikationsmittel zum Standard der Kommunikation in Vergabeverfahren werden. Nach nunmehr über neun Jahren und einige Vergaberechtsmodernisierungen später, ist auch die öffentliche Beschaffung weitestgehend im digitalen Zeitalter angelangt. Eine Vielzahl von Vergabeplattformen sowie Vergabemanagementsystemen unterstützen die vielen Vergabepraktiker.
Die Grundsätze der elektronischen Kommunikation sind dabei unter anderem in § 97 Abs. 5 GWB, § 9 VgV und § 11 EU VOB/A verankert. Die Erfahrung zeigt, dass die Einkäufer:innen von Kommunen, Bund und Ländern eine Vielzahl von Vergabeportalen und Vergabeplattformen im Rahmen ihrer Beschaffungsvorgänge nutzen und dabei nur im Ausnahmefall und oftmals im Unterschwellenbereich auf die Verwendung elektronsicher Mittel verzichten. Die elektronische Vergabe scheint grundsätzlich angekommen zu sein.
Mittlerweile erfolgt auch die Kommunikation während der Teilnahme- oder Angebotsphase weitestgehend elektronisch. Auch das Stellen von Fragen zum Verfahren läuft überwiegend über ein Kommunikations-Tool der verschiedenen Vergabeportale. Nicht selten kommt es dabei aber zu Missverständnissen, die teils gravierende Auswirkungen auf die Einreichung und Auswertung der Angebote haben können. Häufig werden Bieterfragen, aber auch die Antworten der Auftraggeber, nicht präzise genug formuliert. Nicht selten entstehen aus der Beantwortung von Bieterfragen weitere Fragen und es kommt zu einem “Fragen-Ping-Pong“. Manchmal werden ähnliche Fragestellungen auch unterschiedlich beantwortet, was dann zur kompletten Verwirrung aller Beteiligten führt.
Bieterkolloquien könnten für mehr Klarheit sorgen und damit die Qualität der Angebote erheblich verbessern. Bieterkolloquien sollen dem Auftraggeber die Möglichkeit geben, die in den Vergabeunterlagen enthaltenen Anforderungen, Kriterien und die Erwartungshaltung des Auftraggebers zu erläutern und eine Reaktion seitens der Bieter zu ermöglichen. Dabei kann es im Einzelnen um augenscheinlich profane Dinge gehen, wie beispielsweise die Frage, wie die elektronische Einreichung des Angebotes funktioniert, wenn Bieter teilnehmen, die sich nur sehr selten an öffentlichen Ausschreibungen beteiligen. Andererseits könnten auch technische Details der Leistungsbeschreibung Gegenstand der Bieterkolloquien sein. Hierbei kann ein Bieterkolloquium dazu führen, ein einheitliches Verständnis des Leistungsgegenstandes zu schaffen, was wohlmöglich dazu führen könnte, das Nachtragsrisiko zu minimieren.
Der nationale Gesetzgeber hat insbesondere im Zusammenhang mit § 9 Abs. 2 VgV und § 11 EU Abs. 7 VOB/A die Möglichkeit der mündlichen Kommunikation geschaffen, die in jeder Verfahrensart zulässig ist. Von Aufklärungs-, Verhandlungs- und Präsentationsgesprächen abgesehen, bilden sogenannte „Marktweckrufe“ und eben die „Bieterkolloquien“ die wesentlichen Instrumente der mündlichen Kommunikation. Dabei bedarf es jedoch seitens des öffentlichen Auftraggebers Feingefühl, um die Vorgaben nach § 9 Abs. 2 VgV und § 11 EU Abs. 7 VOB/A sowie den Grundsatz des fairen Wettbewerbs nach § 97 Abs. 2 GWB zu erfüllen.
Bieterkolloquien sind vergaberechtlich streng von Aufklärungen, Nachforderungen oder gar Verhandlungen abzugrenzen. Die vorbenannten Instrumente werden zeitlich nach Einreichung der Teilnahmeanträge bzw. in der Angebotsphase angewendet. Außerdem gibt es für eben jene Instrumente vergaberechtliche Anwendungsbestimmungen inklusive Verboten, Dokumentations- und Mitteilungspflichten.
Nach dem Wortlaut des § 9 Abs. 2 VgV und des § 11 EU Abs. 7 VOB/A dürfe die mündliche Kommunikation nur erfolgen, wenn sie nicht die Vergabeunterlagen, die Teilnahmeanträge, die Interessenbestätigungen oder die Angebote „betrifft“. Bei strenger Auslegung wäre daher eine mündliche Kommunikation über den wesentlichen Inhalt eines Vergabeverfahrens ausgeschlossen. Zumeist geht es aber eben gerade um diese wesentlichen Inhalte. Leider ist der Wortlaut des § 9 Abs. 2 VgV und des § 11 EU Abs. 7 VOB/A etwas missglückt. Nach dem Sinn und Zweck der strengen Limitierung der mündlichen Kommunikation soll vor allem der Schutz bzw. die Gewährleistung der wesentlichen Vergabegrundsätze von Transparenz und Gleichbehandlung sichergestellt werden. Eine Ungleichbehandlung durch einseitigen Informationsfluss aufgrund von mündlichen Absprachen zwischen Auftraggeber und präferiertem Bieter soll ausgeschlossen werden.
Bei dem Bieterkolloquium handelt es sich zwar um ein mündliches Kommunikationsformat, das jedoch lediglich den elektronischen Bieterfragenprozess ergänzen soll. Der Auftraggeber muss sicherstellen, dass alle Bewerber bzw. Bieter über den gleichen Wissensstand verfügen. Daher sind die Ergebnisse des Bieterkolloquium über die elektronische Kommunikation zur Verfügung zu stellen. So werden sie im Ergebnis Bestandteil des „elektronischen“ Vergabeverfahrens“. Ergibt sich aus einem Bieterkolloquium, dass Vergabeunterlagen angepasst oder korrigiert werden müssen, sind diese Unterlagen in Form der Änderung der Vergabeunterlagen zur Verfügung zu stellen. Durch dieses Vorgehen wird der Grundsatz der Gleichbehandlung und Transparenz gewahrt. Demzufolge sind Bieterkolloquien als ein Instrument der mündlichen Kommunikation genauso zu behandeln, wie beispielsweise Aufklärungs- oder Verhandlungsgespräche, in denen auch über die Inhalte der Vergabeunterlagen oder Angebote mündlich kommuniziert werden darf (vgl. VK Bund 18.11.2022 – VK 1–87/22).
Es ist zu empfehlen, Bieterkolloquien erst während der Angebotsfrist anzubieten. Praktikabel ist ein Bieterkolloquium insbesondere im Verhandlungsverfahren, nachdem im Teilnahmewettbewerb ein beschränkter Kreis an Teilnehmern für die Angebotsphase gefunden wurde. Bei einem beschränkten Bieterkreis kann der Auftraggeber nicht Gefahr laufen, eine Vielzahl an Bieterkolloquien durchführen zu müssen, die wohlmöglich die Kapazitäten des Auftraggebers überstrapazieren würden. Die Bieterkolloquien müssen nämlich aufgrund des Grundsatzes des Geheimwettbewerbs individuell mit jedem Bieter durchgeführt werden, sofern ein Bieter daran Interesse hat.
In der Einladung zur Angebotseinreichung teilt der Auftraggeber den Bietern mit, dass die Möglichkeit zur Wahrnehmung eines Bieterkolloquiums besteht. Zu empfehlen ist dabei, dass bereits eine Kalenderwoche im ersten Drittel der Angebotsfrist benannt wird, in der die Bieterkolloquien stattfinden sollen. Es ist auch ratsam eine Frist zu setzen, bis wann sich die Bieter melden sollen, sofern sie ein Bieterkolloquium durchführen möchten.
Um den Anforderungen des § 9 Abs. 2 VgV und des § 11 EU Abs. 7 VOB/A gerecht zu werden, müssen hohe Anforderungen an die Dokumentation der Bieterkolloquien gestellt werden. Die Bieterkolloquien sind hinsichtlich der gestellten Fragen und Antworten zu protokollieren. Im Nachgang zu einem Bieterkolloquium sind alle Bieter auf den gleichen Informationsstand zu bringen.
Ein probates Mittel zur praktikablen Durchführung von Bieterkolloquien können Videokonferenzen sein. Dabei ist jedoch darauf zu achten, dass auch hierbei der Grundsatz des Geheimwettbewerbes gewahrt wird und entsprechende Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden. Eine Erleichterung hinsichtlich der Protokollierung können Bieterkolloquien per Videokonferenz bieten, wenn diese mit Einwilligung aller Beteiligten und Wahrung des Datenschutzes aufgezeichnet werden.
Bieterkolloquien können ein wirksames Instrument darstellen, um ein Vergabeverfahren besser zu machen. Missverständnisse können einfacher ausgeräumt werden, Angebote können eine höhere Qualität erzielen und Auftraggeber haben die Möglichkeit gegebenenfalls schneller auf hingewiesene Fehler in den Vergabeunterlagen zu reagieren. Im Ergebnis sollen Bieterkolloquien als Chance verstanden werden, dem bei aller Berechtigung elektronisch durchgeführten Vergabeverfahren zumindest teilweise entfliehen zu können. Am Ende kann es für die Beteiligten durchaus von Vorteil sein, das klassische Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen Bieter und Auftraggeber zu verlassen und stattdessen auf Augenhöhe miteinander kommunizieren zu können.
Der Beitrag wurde gemeinsam mit Herrn Rechtsanwalt Julien Backhaus verfasst.
Der Autor ist Rechtsanwalt bei Lange & Partner, Rechtsanwälte - Fachanwälte für Bau- und Architektenrecht, in Berlin. Das Vergaberecht bildet seinen Tätigkeitsschwerpunkt. Neben der Beratung und Betreuung von Auftraggeber:innen bei Vergabeverfahren unterstützt er Auftraggeber:innen und Bieter:innen auch prozessual im Rahmen von Nachprüfungs- und sofortigen Beschwerdeverfahren bei den Vergabekammern und Oberlandesgerichten.
Der Autor ist Rechtsanwalt bei Lange & Partner, Rechtsanwälte - Fachanwälte für Bau- und Architektenrecht, in Berlin. Als Rechtsanwalt im Public Sector unterstützt er Einkaufsabteilungen nicht nur bei der praxisorientierten Durchführung von Vergabeverfahren, sondern auch bei der strategischen und organisatorischen Ausrichtung. Dabei setzt er seinen Fokus auf die Vereinfachung und Effizienzsteigerung der Beschaffungspraxis, um die Potenziale des öffentlichen Sektors zu fördern und zu wecken.
Woher nehmen die Autoren die Interpretation, der Wortlaut des § 9 Abs. 2 VgV und des § 11 EU Abs. 7 VOB/A sei „streng“ und – in der Folge – ganz anders auf die „Wesentlichkeit“ hin zu deuten? Aus meiner Sicht ist der Wortlaut ganz eindeutig, aus den Grundsätzen des Vergaberechts leitet sich auch nichts anderes ab und eine einfache Befolgung des Wortlauts halte ich auch nicht für streng.
Daneben ist der Aufwand, um solche „Bieterkolloquien“ für den Auftraggeber in aller Regel so hoch, dass der sich doch sehr gern mit dem „Fragen-Ping-Pong“ auseinander setzen möchte. Selbst eine Aufzeichnung per ViKo kann doch nicht einfach so den restlichen Bietern zur Verfügung gestellt werden. Dies müsste man transkribieren und anonymisieren. Selbst bei beschränkten Verfahren ist der Aufwand, um bei allen Bietern trotz mündlicher Kommunikation den gleichen Informationsstand zu garantieren viel zu hoch. Möglicherweise gibt es einzelne, sehr komplexe und aufwendige Verfahren, für die man so etwas überlegen kann. Für normale Vergabeverfahren ist dieses Vorgehen aus meiner Sicht jedoch enorm praxisfern.