Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) (siehe
hat am 18.10.2024 seine Entwürfe zur Reform des Vergaberechts (Vergabetransformationspaket) veröffentlicht und die Länder- und Verbändeanhörung eingeleitet. Der Referentenentwurf zum Vergaberechtstransformationsgesetz (VergTransfG), der insbesondere Änderungen im 4. Teil des GWB umfasst (GWB-RefE), enthält unter anderem auch Klarstellungen zum Anwendungsbereich des Vergaberechts bei öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit. Neben Klarstellungen zu den Voraussetzungen der verschiedenen Konstellationen der Inhouse-Vergabe (§ 108 Abs. 4, Abs. 7 GWB-RefE) sowie der öffentlichen Kooperation (§ 108 Abs. 6 GWB-RefE) sieht der Entwurf mit dem neuen § 108 Abs. 10 GWB-RefE auch eine gänzlich neue Generalklausel zu „sonstigen Formen der öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit“ vor, die von vornherein nicht dem Anwendungsbereich des Vergaberechts unterliegen sollen. Der vorliegende Beitrag nimmt eine erste Einschätzung zum unionsrechtlichen Hintergrund und diskursiven Potential der Vorschrift vor. Die Verfasser stellen die These auf, dass die Vorschrift den Grundsatz der Kooperationsfreiheit im deutschen Vergaberecht kodifiziert, der im Unionsvergaberecht ohnehin schon ausdrücklich anerkannt ist und seine Grundlage im Unionsprimärrecht hat.I. Öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit = § 108 GWB?
Die Gleichung „öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit = § 108 GWB“ bringt das in der deutschen Verwaltungs- und Vergabepraxis bisher weit verbreitete Verständnis auf den Punkt. Sie ist – wenn man die geltende Fassung der Vorschrift zugrunde legt – in dieser Generalität falsch. Gleiches gilt für den darin implizierten Rechtssatz „öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit bedarf stets der vergaberechtlichen Rechtfertigung und ist nur ausnahmsweise zulässig“.
Richtig ist nur: Vergeben öffentliche Auftraggeber im Rahmen der öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit öffentliche Aufträge i.S.d § 103 f. GWB oder Konzessionen i.S.d. § 105 GWB ist die Vergabe vom Anwendungsbereich des Vergaberechts ausgenommen, wenn die Voraussetzungen der Inhouse-Vergabe i.S.d § 108 Abs. 1-5 GWB oder der öffentlichen Kooperation i.S.d § 108 Abs. 6 GWB gegeben sind. Andere Formen der öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit unterliegen hingegen nicht den Voraussetzungen des § 108 Abs. 1-5, 6 GWB (s. hierzu Ahlers/Böhme, KommJur 2023, 404, 405).
Das Vergaberecht verpflichtet öffentliche Aufgabenträger dabei gerade nicht, ihre Bedarfe in Form „vergaberechtspflichtiger“ öffentlicher Aufträge oder Konzessionen zu decken. Tatsächlich eröffnet das Staats- und Verwaltungsorganisationsrechts vielfältige Möglichkeiten, Leistungsbeziehungen innerhalb von Staat und Verwaltung in anderer Weise als durch öffentliche Aufträge oder Konzessionen „vergaberechtsfrei“ zu organisieren.
II. Sonstige Formen der öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit
Diesen unionsrechtlich eindeutigen Zusammenhang soll nun der neu eingefügte § 108 Abs. 10 GWB-RefE klarstellen. Der Absatz lautet:
„Sonstige Formen öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit außerhalb dieses Teils bleiben unberührt. Dieser Teil ist insbesondere nicht anzuwenden, wenn Auftraggeber Leistungen selbst erbringen, auch in Zusammenarbeit mit anderen öffentlichen Stellen, oder Leistungen durch andere Mittel als öffentliche Aufträge, Konzessionen oder Wettbewerbe organisieren. Dieser Teil gilt ferner regelmäßig nicht für die Erbringung von Leistungen auf Grundlage von Rechts- und Verwaltungsvorschriften.“
„Sonstige Formen der öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit“ in Satz 1 meint Formen der Zusammenarbeit (oder Teile davon), im Rahmen derer keine öffentlichen Aufträge oder Konzessionen vergeben werden. Satz 2 der Vorschrift stellt (nicht abschließend) klar, dass das GWB-Vergaberecht insbesondere nicht gilt, wenn Auftraggeber Leistungen selbst erbringen („Eigenerledigung“), in Zusammenarbeit mit anderen öffentlichen Stellen selbst erbringen („kooperative Eigenerledigung“) oder Leistungen durch andere Mittel als öffentliche Aufträge, Konzessionen oder Wettbewerbe organisieren. Satz 3 der Vorschrift stellt ausdrücklich klar, dass das GWB-Vergaberecht regelmäßig nicht für die Erbringung von Leistungen auf Grundlage von Rechts- und Verwaltungsvorschriften gilt.
Ausweislich der Begründung des RefE kann die darin liegende ausdrückliche Regelung weiterer Formen der Verwaltungszusammenarbeit außerhalb des GWB-Vergaberechts der Rechtspraxis bei der weiteren Klärung der Abgrenzung seines Anwendungsbereichs – etwa im Bereich der föderalen Verwaltungsdigitalisierung – als normativer Anknüpfungspunkt dienen (s. BMWK, Begründung VergTransfG vom 18.10.2024, S. 67 f.). Es soll für die Praxis klargestellt werden, dass die Vorschriften des Vergaberechts nur innerhalb seines Anwendungsbereichs gelten und es für außerhalb dessen liegende Formen der öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit vergaberechtlich gerade nicht darauf ankommt, ob die Voraussetzungen des § 108 GWB erfüllt sind.
Der Wortlaut ist dabei erkennbar und – wie sich aus der Entwurfsbegründung ergibt (s. S. 68) – bewusst an den Wortlaut der Vergaberichtlinien der Union angelehnt.
III. Sekundärrechtlicher Hintergrund – Vergaberechtlicher Grundsatz der Kooperationsfreiheit?
§ 108 Abs. 10 GWB-RefE soll im deutschen Recht kodifizieren, was unionssekundärrechtlich ohnehin klar ist: Das Unionsvergaberecht erkennt die Freiheit öffentlicher Stellen, die ihnen übertragenen öffentlichen Aufgaben durch Verwendung eigener Mittel zu erledigen („Eigenerledigung“), einschließlich der Zusammenarbeit mit anderen öffentlichen Stellen („kooperative Eigenerledigung“), ausdrücklich an. So heißt es in ErwGr. 31 Abs. 1 S. 6 der RL 2014/24/EU (vgl. ErwGr. 45 S. 6 der RL 2014/23/EU):
„Die Anwendung der Vorschriften für die Vergabe öffentlicher Aufträge sollte öffentliche Stellen jedoch nicht in ihrer Freiheit beschränken, die ihnen übertragenen öffentlichen Aufgaben auszuüben, indem sie ihre eigenen Mittel verwenden, wozu die Möglichkeit der Zusammenarbeit mit anderen öffentlichen Stellen gehört.“ (Hervorhebungen durch die Verfasser)
Der zitierte Satz ist im Zusammenhang mit ErwGr. 5 der RL 2014/24/EU (ähnlich auch ErwGr. 5 der RL 2014/23/EU, der von „Verwaltungsinstrumenten“ zur Erbringung von Bau- oder Dienstleistungen spricht) zu lesen:
„Es sei darauf hingewiesen, dass die Mitgliedstaaten durch diese Richtlinie in keiner Weise dazu verpflichtet werden, die Erbringung von Dienstleistungen an Dritte oder nach außen zu vergeben, wenn sie diese Dienstleistungen selbst erbringen [„Eigenerledigung“] oder die Erbringung durch andere Mittel als öffentliche Aufträge im Sinne dieser Richtlinie organisieren möchten. Die Richtlinie sollte nicht für die Erbringung von Dienstleistungen auf der Grundlage von Rechts- und Verwaltungsvorschriften oder von Arbeitsverträgen gelten. (…).“
Der Wortlaut des § 108 Abs. 10 S. 2, 3 GWB-RefE lehnt sich erkennbar an den Wortlaut der o.g. Erwägungsgründe an.
Noch deutlicher kommt die Anerkennung der Kooperationsfreiheit öffentlicher Auftraggeber durch das Unionsvergaberecht in Art. 2 Abs. 1 der RL 2014/23/EU zum Ausdruck:
„In dieser Richtlinie wird im Einklang mit den nationalen Rechtsvorschriften und dem Unionsrecht der Grundsatz der Verwaltungsautonomie der nationalen, regionalen und lokalen Gebietskörperschaften anerkannt. Es steht diesen Körperschaften frei zu entscheiden, wie die Erbringung von Bau- oder Dienstleistungen am besten gesteuert werden kann, damit bei öffentlichen Dienstleistungen insbesondere ein hohes Maß an Qualität, Sicherheit und Bezahlbarkeit, Gleichbehandlung sowie die Förderung des allgemeinen Zugangs und der Nutzerrechte gewährleistet werden können.
Diese Körperschaften können wählen, ob sie ihre Aufgaben von öffentlichem Interesse mit eigenen Mitteln [„Eigenerledigung“] oder in Zusammenarbeit mit anderen Körperschaften erfüllen [„kooperative Eigenerledigung“] oder ob sie Wirtschaftsteilnehmer damit betrauen [„Beschaffung am Markt“].“
Der EuGH verweist auf diese Regelung (und die damit verbundene Wahlmöglichkeit öffentlicher Auftraggeber, die einer möglichen Beschaffung vorgelagert und damit dem Anwendungsbereich des Vergaberechts entzogen ist) richtigerweise auch in Bezug auf öffentliche Auftrage wegen ihres unionsvergaberechtlich allgemeingültigen Charakters (s. etwa EuGH, Urt. v. 3.10.2019 – C285/18, Rn. 47 ff. – Stadt Kaunas; Urt. v. 2.2.2020 – C-11/19, Rn. 44 – Azienda ULSS; hierzu eingehend Ahlers/Böhme, KommJur 2023, 441-443).
IV. Unionsprimärrechtlicher Hintergrund – Unionsprimärrechtlicher Grundsatz der Kooperationsfreiheit!
Die Anerkennung der Kooperationsfreiheit der Mitgliedsstaaten und ihrer öffentlichen Stellen im Unionsvergaberecht bedeutet dabei nicht, dass die Anerkennung der Kooperationsfreiheit vergaberechtlichen Charakter hätte. Das Unionsvergaberecht ist gerade nicht originärer Rechtsgrund der Anerkennung der Kooperationsfreiheit. Es beschränkt die Kooperationsfreiheit der Mitgliedstaaten (bzw. ihrer öffentlichen Stellen) vielmehr, soweit sie im Rahmen einer öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit öffentliche Aufträge oder Konzessionen vergeben. Der originäre Rechtsgrund der Anerkennung der Kooperationsfreiheit liegt vielmehr im Unionsprimärrecht, namentlich in Art. 4 Abs. 2 S. 1 EUV. Der darin zum Ausdruck kommende Grundsatz der Achtung der Organisationshoheit der Mitgliedstaaten impliziert die Achtung der Kooperationsfreiheit der Mitgliedstaaten (bzw. ihrer öffentlichen Stellen). Danach ist es prinzipiell den Mitgliedstaaten überlassen, die kooperative Eigenerledigung ihrer öffentlichen Stellen staats- und verwaltungsorganisationsrechtlich zu ermöglichen. Beispielsweise achtet das Unionsrecht daher auch die verfassungsrechtliche Grundentscheidung der Bundesrepublik Deutschland für einen ausgeprägten kooperativen Föderalismus im Bereich der Verwaltungs-IT in Art. 91c GG. Gleichwohl wird durch Art. 4 Abs. 2 S. 1 EUV selbstverständlich keine schrankenlose Kooperationsfreiheit gewährleistet. Die Mitgliedstaaten sind an das Unionsprimärrecht und insbesondere die Grundfreiheiten sowie die sich daraus ergebenden Grundsätze gebunden (etwa Wettbewerb, Transparenz und Nichtdiskriminierung). Im Einklang mit diesen Grundsätzen gibt es für die Mitgliedstaaten jedoch vielfältige Möglichkeiten, öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit in anderer Weise als durch die Vergabe öffentlicher Aufträge oder Konzessionen zu organisieren. Vor diesem Hintergrund kann man in § 108 Abs. 10 GWB-RefE die vergaberechtliche Kodifikation des unionsprimärrechtlichen Grundsatzes der Kooperationsfreiheit sehen.
V. § 108 Abs. 10 GWB-RefE als „diskursive Brücke“ zwischen Vergaberecht und Staats- und Verwaltungsorganisationsrecht
Was folgt nun für die Praxis aus § 108 Abs. 10 GWB-RefE? Man könnte meinen: Nichts. Schließlich hat § 108 Abs. 10 GWB-RefE eindeutig (nur) klarstellenden Charakter. Die Vorschrift soll kodifizieren, was sich – wie gezeigt – bereits eindeutig aus den Vergaberichtlinien der Union ergibt. Die Klarstellung ist gleichwohl sinnvoll und hat einen praktischen Mehrwert. Sie rückt eine staats- und verwaltungsorganisatorische Selbstverständlichkeit ins Bewusstsein der Vergaberechtswissenschaft und -praxis: Öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit innerhalb des Staats und der Verwaltung und die Leistungsbeziehungen zwischen öffentlichen Stellen lassen sich rechtlich auch in anderer Weise als durch entgeltliche Verträge im Sinne des Vergaberechts gestalten (vgl. hierzu z.B. Ahlers, Vergabeblog.de vom 12/08/2024, Nr. 57224).
Derzeit wird die rechtliche Gestaltung – häufig ausgehend von dem oben erwähnten übergeneralisierenden Missverständnis des Charakters des § 108 GWB – öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit in Deutschland häufig in den Grenzen des § 108 GWB gedacht. (Miss-)Versteht man § 108 GWB als eine Generalklausel für Leistungsbeziehungen in Staat und Verwaltung, kann dies gerade bei komplexen Zusammenarbeits- und Beteiligungsstrukturen dazu führen, dass die Beteiligten mit großem Aufwand (teilweise umständliche) Inhouse-Konstruktionen im Sinne des § 108 Abs. 1-5 GWB oder öffentliche Kooperationen im Sinne des § 108 Abs. 6 GWB errichten, ohne von vornherein außerhalb des Vergaberechts liegende, alternative Gestaltungsoptionen überhaupt in Betracht zu ziehen.
§ 108 Abs. 10 GWB-RefE könnte daher die Funktion einer „diskursiven Brücke“ zwischen Vergaberecht und Staats- und Verwaltungsorganisationsrecht einnehmen. Derzeit erscheinen die beiden Diskursräume in Rechtswissenschaft und -praxis nahezu unverbunden. Als „diskursive Brücke“ könnte § 108 Abs. 10 GWB-RefE die Expert:innen beider Rechtsgebiete zu einem rechtsgebietsübergreifenden Diskurs zur Fragestellung einladen:
In welchen Konstellationen ist es im öffentlichen Interesse vorzugswürdig, Zusammenarbeitsstrukturen in Staat und Verwaltung auf Grundlage entgeltlicher Verträge im Sinne des Vergaberechts zu gestalten, in welchen Konstellationen ist es demgegenüber im öffentlichen Interesse vorzugswürdig, sie außervertraglich, z.B. auf Grundlage von Rechtsvorschriften oder Verwaltungsvorschriften, oder unentgeltlich zu gestalten?
Angesichts des eindeutig klarstellenden Charakters der Vorschrift ist die Frage bereits jetzt praxisrelevant. Gerade im Bereich der föderalen Verwaltungsdigitalisierung könnte die weitere Klärung des Anwendungsbereichs des Vergaberechts in Bezug auf die verschiedenen Formen öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit einen erheblichen Beitrag zur Vereinfachung und Entbürokratisierung der Zusammenarbeitsstrukturen leisten. Ungeachtet des Bruchs der Ampel-Koalition und der Unsicherheiten bzgl. der weiteren Entwicklung des VergTransfG kann und sollte die Vergaberechts-Community die Frage nach dem Gestaltungspotential „sonstiger Formen öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit“ daher bereits jetzt behandeln und kontrovers diskutieren, z.B. im gemeinsamen Workshop von Sebastian Schnitzler (Deloitte) und Moritz Ahlers (FITKO) auf dem Deutschen Vergabetag des DVNW am 14. November 2024 in Berlin mit dem Titel „Öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit in der Verwaltungsdigitalisierung unter dem Vergabetransformationspaket des BMWK“.
Der Beitrag wurde gemeinsam mit Herrn Ass. iur. Jonas Benedikt Böhme verfasst.
Ass. iur. Jonas Benedikt Böhme hat sein Rechtsreferendariat am Hanseatischen Oberlandesgericht absolviert und war zuvor langjährig als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Vergaberecht/öffentliches Wirtschaftsrecht tätig.
Moritz Ahlers, LL.B., ist bei der FITKO (Föderale IT-Kooperation AöR) als Jurist und ist daneben als selbstständiger Rechtsanwalt tätig. Die Ausführungen geben seine persönliche Rechtsauffassung wieder:
0 Kommentare