Haben Sie es auch schon bemerkt? In der neuen VOL/A 2009 sucht man vergeblich nach der Regelung zum Verbot eines ungewöhnlichen Wagnisses zu Lasten der Bieter (vgl. § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A 2006). Dies ist umso erstaunlicher, als in § 7 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A 2009 weiterhin bestimmt wird, dass dem Auftragnehmer kein ungewöhnliches Wagnis für Umstände und Ereignisse aufgebürdet werden darf, auf die er keinen Einfluss hat und deren Entwicklung auf die Preise und Fristen er nicht im Voraus schätzen kann. Eine durchaus wirkungsvolle Regelung zum Schutze der Bieter vor Willkürhandlungen der öffentlichen Auftraggeber. Die gleich lautende Regelung des § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A 2006 dürfte daher auch nicht einfach überflüssig geworden sein – oder doch?
Ziel: Bürokratieabbau
Die wesentlichen Ziele der 3. Stufe der Vergaberechtsreform waren die Entbürokratisierung und Vereinfachung des GWB und der drei Verdingungsordnungen. Das Bundesministerium für Wirtschaft geht davon aus, dass auf diesem Wege jährlich Verfahrenskosten in Höhe von 19 Mrd. EUR eingespart werden können. Ausweislich des sog. RambØll-Gutachtens lägen die Sparpotentiale insbesondere im Rahmen der Angebotserstellung und -wertung.
Betrachtet man den Regelungsgehalt des § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A 2006, stellt man allerdings schnell fest, dass die Vorschrift weder zu den „Kostentreibern“ auf Bieterseite noch auf Seiten der öffentlichen Hand zählte. Die Vorschrift des § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A 2006 sollte vielmehr verhindern, dass den Bietern die Verantwortung für Umstände übertragen wird, die außerhalb ihrer Risiko- und auch ihrer Einfluss-Sphäre liegen und deren Auswirkungen auf die Preise und Fristen nicht abschätzbar sind
Die Regelung des § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A 2006
“Dem Auftragnehmer soll kein ungewöhnliches Wagnis aufgebürdet werden für Umstände und Ereignisse, auf die er keinen Einfluss hat und deren Einwirkung auf die Preise und Fristen er nicht im Voraus schätzen kann.”
Hintergrund der Regelung des § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A 2006 war, dass die öffentliche Hand aufgrund ihrer erweiterten Handlungsspielräume oftmals die Vertragsbedingungen diktieren und somit dem Auftragnehmer auf dem betreffenden Markt Wagnisse jedweder Art aufbürden kann. Angesichts dieses Ungleichgewichts zwischen den Vertragsparteien hatte § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A daher die Aufgabe, die Lauterbarkeit des Rechtsverkehrs zu wahren (VK Bund, Beschluss vom 26.03.2003 – VK 2 – 06/03).
Korrektiv notweniger denn je
Gerade mit Blick auf die Wirtschaftskrise des vergangenen Jahres, in denen die öffentliche Hand über staatlich aufgelegte Konjunkturpakete in ihrer Position als Nachfrager nochmals gestärkt wurde, hat sich das Ungleichgewicht zwischen den Vertragspartnern jedoch weiter zu Lasten der Bieter verschoben. Ein Korrektiv, das wie § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A 2006 einen fairen Wettbewerb garantiert, ist daher notwendiger denn je.
Gleichzeitig dokumentiert die Vielzahl von Entscheidungen, in denen die Vergabekammern und OLGs eine Aufbürdung eines ungewöhnlichen Wagnisses feststellen mussten, dass die Bieter auch in Zeiten wirtschaftlichen Wachstums vor unangemessenen Ausschreibungs- und Vertragsbedingungen geschützt werden müssen (vgl. nur die instruktiven Entscheidungen OLG Dresden, Beschluss vom 23.04.2009 – WVerg 11/08; 3. VK Bund, Beschluss vom 24.01.2008 – VK 3-151/07).
Darüber hinaus verlangt die immer weiter voranschreitende Bildung von Einkaufs- und Beschaffungsgemeinschaften und die damit einhergehende Konzentration von Marktmacht auf Seiten der öffentlichen Hand nach einer Regelung wie § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A 2006. Ohne ein wirkungsvolles Verbot besteht sonst die Gefahr, dass den auf öffentliche Aufträge angewiesenen Unternehmen unternehmerische Risiken jedweder Art im Wege eines Diktats aufgebürdet werden.
Berufung auf allgemeine Prinzipien nicht ausreichend
Dem Schutzbedürfnis der Bieter würde auch ein – rechtlich zutreffender – Verweis auf die allgemeinen Prinzipien des Vergaberechts nicht in dem Maße gerecht, wie die Vorschrift des § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A 2006. Nur die ausdrückliche Regelung des Verbots der Aufbürdung eines ungewöhnlichen Wagnisses zeigt der öffentlichen Hand klar die Grenzen ihres zulässigen Handelns auf. Hingegen führt der bloße Verweis auf allgemeine Grundsätze wegen seines unbestimmten Inhalts letztlich nur zu erheblicher Rechtsunsicherheit – und dies nicht nur auf „Kosten“ der Bieter, sondern auch der öffentlichen Hand.
Dies zeigt, dass § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A 2006 nicht im Geringsten an Bedeutung verloren hat. Im Gegenteil: Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Entwicklung und der zunehmenden Konzentration von Marktmacht auf Nachfrageseite hat eine dem § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A 2006 entsprechende Regelung vielmehr an Bedeutung gewonnen.
Ist die Regelung zum ungewöhnlichen Wagnis jedoch nicht überflüssig geworden, bleibt am Ende die Frage, weshalb § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A 2006 tatsächlich gestrichen (bzw. in den § 7 VOL/A 2009 und § 8 VOL/A-EG nicht übernommen) worden ist.
Mehr Informationen über den Autor Dr. Christian-David Wagner finden Sie im Autorenverzeichnis.
Dr. Christian-David Wagner ist Rechtsanwalt in Leipzig und Berlin. Er betreut national und international agierende TK-Unternehmen, IT-Dienstleister, aber auch Bauunternehmen sowie öffentliche Auftraggeber.
0 Kommentare