Einem aktuellen Urteil des EuGH zufolge (Urteil vom 30.09.2010 – Rs. C-314/09) sind nationale Regelungen nicht mit der Rechtsmittelrichtlinie 89/665/EWG vereinbar, die Schadensersatzansprüche wegen Vergaberechtsverstößen von einem Verschulden des Auftraggebers abhängig machen. Dies gilt auch dann, wenn bei Anwendung einer solchen Vorschrift eine Vermutung für das Verschulden des öffentlichen Auftraggebers greift.
1. EUGH: Auf das Verschulden darf es nicht ankommen!
Dem Urteil lag ein Vergabeverfahren der Stadt Graz zugrunde, in dem diese nach einem erstinstanzlich erfolglosen Nachprüfungsverfahren den Zuschlag erteilt hatte. Die Entscheidung des Vergabekontrollsenats wurde jedoch später kassiert und der übergangene Bieter machte daraufhin Schadensersatzansprüche gegen die Stadt Graz geltend. Diese berief sich auf ihr fehlendes Verschulden: sie sei ja an die Entscheidung der Nachprüfungsinstanz rechtlich gebunden gewesen.
Der EuGH sollte nun darüber befinden, ob eine österreichische Vorschrift, die den Schadensersatzanspruch des Bieters an ein Verschulden knüpft und die dem Auftraggeber eine Entlastung ermöglicht, mit der Rechtsmittelrichtlinie vereinbar ist.
Sie ist es nicht!
Der EuGH erteilt einer solchen Vorschrift eine klare Absage und begründet dies mit dem fehlenden Hinweis auf ein Verschulden im Wortlaut des Art. 1 Abs. 1 sowie Art. 2 Abs. 1, 5ff. der Rechtsmittelrichtlinie. Die Richter erklären zudem, dass ein solches Erfordernis auch dem Effektivitätsgrundsatz widerspreche. Die Möglichkeit der Zuerkennung von Schadensersatz darf genauso wenig wie alle anderen in der Rechtsmittelrichtlinie vorgesehenen Rechtschutzmöglichkeiten nach nationalem Recht von der Schuldhaftigkeit des Verstoßes abhängen.
2. Im deutschen Recht europarechtskonform: Schadensersatz für die Vorbereitungskosten
Für den deutschen Anspruch auf Ersatz der mit der Angebotserstellung angefallen Aufwendungen gemäß § 126 Satz 1 GWB dürfte sich durch diese Entscheidung kaum etwas ändern. Zwar bestand in der Literatur keine Einigkeit über das Verschuldenserfordernis, die Rechtsprechung hatte dieses indes – gestützt auf den Wortlaut der Vorschrift – bereits eindeutig abgelehnt (vgl. BGH, Urteil vom 27.11.2007 – Az. X ZR 18/07).
§ 126 GWB (Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens)
Hat der Auftraggeber gegen eine den Schutz von Unternehmen bezweckende Vorschrift verstoßen und hätte das Unternehmen ohne diesen Verstoß bei der Wertung der Angebote eine echte Chance gehabt, den Zuschlag zu erhalten, die aber durch den Rechtsverstoß beeinträchtigt wurde, so kann das Unternehmen Schadensersatz für die Kosten der Vorbereitung des Angebots oder der Teilnahme an einem Vergabeverfahren verlangen. Weiterreichende Ansprüche auf Schadensersatz bleiben unberührt.
3. Nachbesserungsbedarf und Ausblick auf die Praxis
Anderes dürfte aber für weitere Schadensersatzansprüche gelten, die sich wegen des Verweises auf die „weiterreichenden Ansprüche auf Schadensersatz“ in § 126 Abs. 2 GWB aus den allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften ergeben können. Dazu gehört insbesondere der Anspruch auf Ersatz des entgangenen Gewinns gemäß §§ 311 Abs. 2, 241, 280 BGB. Er knüpft an Pflichten im vorvertraglichen Schuldverhältnis an und setzt ein – vermutetes – Verschulden seitens des Auftraggebers voraus.
Die bisherige Entscheidungspraxis verneinte dieses bereits dann, wenn sich der Auftraggeber in einer rechtlich umstrittenen Frage auf die Empfehlung eines ergebnisoffenen Rechtsgutachtens stützte (BGH, Urteil vom 20.01.2009 – X ZR 113/07). Sollte daher auch auf nationaler Ebene der vergaberechtliche Schadensersatzanspruch den entgangenen Gewinn umfassen müssen (vgl. insoweit die Anträge des Generalanwalts Villalón in seinen Schlussanträgen vom 14.09.2010, Rs. C-568/08, Rn. 109 ff.), so wäre entweder eine Anpassung des GWB erforderlich oder aber zumindest eine entsprechend reduzierende Auslegung des Verweises in § 126 Abs. 2 GWB.
Die Autorin Dr. Valeska Pfarr ist Rechtsanwältin bei Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Sie ist auf das Vergaberecht spezialisiert, ein Schwerpunkt liegt hierbei auf der Beratung der öffentlichen Hand. Mehr Informationen über die Autorin finden Sie im Autorenverzeichnis.
Die Autorin Dr. Valeska Pfarr, MLE, ist Rechtsanwältin bei Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Sie ist auf das Vergaberecht spezialisiert, ein Schwerpunkt liegt hierbei auf der Beratung der öffentlichen Hand.
0 Kommentare