Ein äußerst strittiges Thema: die Zulassung und Wertung von Nebenangeboten, wenn der niedrigste Preis das einzige Wertungskriterium ist. Seit 2010 zeichnet sich die Tendenz ab, Nebenangebote in diesem Fall nicht zuzulassen (OLG Düsseldorf Beschluss v. 07.01.2010, Verg 61/09, Beschluss v. 18.10.2010 Verg 39/10). Andere Oberlandesgerichte halten einen Zuschlag auf Nebenangebote auch im reinen Preiswettbewerb für zulässig (OLG Celle 03.06.2010, 13 Verg 6/10, OLG Koblenz, 26.07.2010, 1 Verg 6/10).
Das OLG Brandenburg (Beschluss v. 07.12.2010 – Verg W 16/10) deutet in einer aktuellen Entscheidung an, endlich Klarheit schaffen zu wollen: Wegen der divergierenden Rechtsprechung der Vergabesenate sei zu erwägen, die Rechtsfrage zur Zulässigkeit von Nebenangeboten bei reinem Preiswettbewerb dem Bundesgerichtshof oder dem EuGH zur Entscheidung vorzulegen. Hier müsse über die Auslegung der maßgebenden Richtlinien Art. 36 Abs.1 2004/17/EG und Art. 24 Abs.1 2004/18/EG im Hinblick auf die Zulässigkeit bei Nebenangeboten im Preiswettbewerb entschieden werden.
Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/18/EG bestimmt unter „Varianten“
(1) Bei Aufträgen, die nach dem Kriterium des wirtschaftlich günstigsten Angebots vergeben werden, können die öffentlichen Auftraggeber es zulassen, dass die Bieter Varianten vorlegen.
Das OLG Düsseldorf kommt so in Abweichung von der eigenen früheren Rechtsprechung zu dem Ergebnis, dass Nebenangebote per se unzulässig sind, wenn der Preis das einzige Zuschlagskriterium ist. Denn – so das OLG – Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/18/EG und auch Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2004/17/EG lassen die Wertung von Nebenangeboten nur zu, wenn der Auftrag nach dem wirtschaftlichsten Angebot vergeben werden soll. Das wirtschaftlichste Angebot ist dabei regelmäßig nicht das günstigste. Dem schließt sich die VK Schleswig Holstein mit Beschluss vom 08.10.2010 – VK-SH 13/10 – an: da die Vergabekoordinierungsrichtlinie zwischen den Zuschlagskriterien „wirtschaftlich günstigstes Angebot“ und „Preis“ differenziere, Art.53 Abs. 1 der Richtlinie 2004/18/EG, sind Nebenangebote im reinen Preiswettbewerb damit nach Art 24 Abs.1 der Richtlinie 2004/18/EG verboten.
Die entgegenstehenden Entscheidungen des OLG Celle und des OLG Koblenz lassen Nebenangebote im reinen Preiswettbewerb zu, nehmen jedoch leider zu den Beschlüssen des OLG Düsseldorf keine Stellung. Lediglich bei der Entscheidung des OLG Celle ist an einer Stelle ein Erklärungsansatz zu entnehmen, der sich jedoch nicht auf die Frage der Zulässigkeit von Nebenangeboten, sondern auf das Problem der Änderung der Zuschlagskriterien bezieht:
„Im Gegenteil enthält der Vergabevermerk… die ausdrückliche Erläuterung, dass „für das wirtschaftlich günstigste Angebot“ das Zuschlagskriterium „Preis 100 %“ gelte. Die Antragsgegnerin hat somit das wirtschaftlichste Angebot ausschließlich anhand des bekannt gemachten Zuschlagskriteriums „niedrigster Preis“ ermittelt…“ (Auszug OLG Celle, Beschluss vom 03.06.2010, 13 Verg 6/10).
Das OLG Brandenburg hat nun mit Verweis auf das ihm vorliegende Eilverfahren nach § 118 Abs.1 S.3 GWB über die Verlängerung der aufschiebenden Wirkung ebenfalls nicht explizit zu der strittigen Frage Stellung genommen und neigt wohl dazu, im Hauptsacheverfahren die Rechtsfrage dem BGH oder dem EuGH zur endgültigen Klärung vorzulegen.
Allerdings: Da vorliegend der Auftragswert nicht ordnungsgemäß ermittelt wurde und die Angebote weitgehend unter dem Schwellenwert lagen (bei der VOB/A 4.845.000 € netto), muss der Vergabesenat noch im Wege der Amtsermittlung den Auftragswert errechnen. Käme der Senat hier zum Ergebnis, dass der Schwellenwert nicht erreicht ist, bleibt eine wünschenswerte Klärung des strittigen Themas „Zulässigkeit von Nebenangeboten bei reinem Preiswettbewerb“ nach wie vor offen.
Im Hinblick auf die nach wie vor sehr unsichere Rechtslage hat der DStGB eine Handlungsempfehlung veröffentlicht, die Sie hier finden. Und sollte die Frage geklärt werden, lesen Sie es natürlich im Vergabeblog.
Die Autorin Monika Prell ist bei der Bitkom Servicegesellschaft mbH im Bereich Vergaberecht für „Bitkom Consult – Öffentliche Aufträge“ zuständig. Sie ist Rechtsanwältin und berät und unterstützt Unternehmen der ITK-Branche bei öffentlichen Ausschreibungen. Mehr Informationen finden Sie im Autorenverzeichnis.
Monika Prell ist Fachanwältin für Vergaberecht und Partnerin bei der Kanzlei SammlerUsinger in Berlin. Sie verfügt über umfangreiche Erfahrung im Vergaberecht und berät sowohl öffentliche Auftraggeber bei der Vorbereitung, Konzeption und Gestaltung sowie der anschließenden Durchführung von Vergabeverfahren als auch Bieterunternehmen umfassend bei allen vergaberechtlichen Fragestellungen. Darüber hinaus vertritt Monika Prell ihre Mandanten vor den Vergabenachprüfungsinstanzen. Neben ihrer anwaltlichen Tätigkeit ist sie als Kommentarautorin tätig, veröffentlicht regelmäßig Fachaufsätze und führt laufend Seminare und Workshops im Vergaberecht durch.
Es wird wohl kaum bei einer – klärenden – Befassung durch den BGH bleiben können. Wie ein Blick in das österreichische BVergG 2010 zeigt, wird es wohl einer rechtlichen Änderung bedürfen, da wieder einmal ein Umsetzungsdefizit im Hinblick auf die Vergabekoordinierungsrichtlinie vorliegt. Der dortige § 81 Abs. 1 S. 1 lautet eindeutig wie folgt: „Nur bei Aufträgen, die nach dem Kriterium des technisch und wirtschaftlich günstigsten Angebotes vergeben werden sollen, kann der Auftraggeber Alternativangebote zulassen.“