Keine dumme Idee, mag man meinen: Der öffentliche Auftraggeber wollte mittels Rücknahme der wirksamen ausgesprochenen Kündigung eines Dienstleistungsvertrags dessen Neuausschreibung umgehen und abermals den alten Auftragnehmer bedenken. Das sah die Vergabekammer (VK) Sachen (24.8.07, Az 1/SVK/054-07) indes anders.
„Der Vertrag wird für die Zeit von…bis geschlossen, verlängert sich jeweils um 1 Jahr, wenn nicht gekündigt“. Unter diesen Modalitäten vergab der öffentliche Auftraggeber den Betrieb einer Einrichtung für Asylbewerber. Nach einigen Jahren kündigte er den Vertrag wirksam und schrieb die Leistung neu aus. Als daraufhin abermals der alte Dienstleister den Auftrag erhalten sollte, stellte ein Wettbewerber erfolgreich Nachprüfungsantrag – das Vergabeverfahren wurde aufgehoben. Nun kam offenbar die rettende Idee: Auftraggeber und unterlegender Auftragnehmer hoben die Kündigung des Vertrags im Einvernehmen auf und setzen diesen dementsprechend fort.
Abermals rügt der Wettbewerber und stellt Nachprüfungsantrag, und die VK Sachsen gibt ihm Recht: Danach sei die Option zur Verlängerung des Vertrags zwar an sich vergaberechtlich nicht zu beanstanden, wenn diese „Laufzeit und Anzahl der zu erwartenden Optionsmöglichkeiten hinreichend bestimmt“. Die einvernehmliche Aufhebung einer von einer Vertragspartei bereits ausgesprochenen ordentlichen Kündigung des Vertrages komme aber einer Neuvergabe gleich, da diese rechtlich eine Einigung über die Aufhebung der Kündigungserklärung und ihrer Wirkungen sowie eine Einigung über die Fortsetzung des Vertrages erfordere (so bereits OLG Düsseldorf, B. v. 8.5.2002 – Az.: Verg 8 – 15/01). Durch die Kündigung sei die Auftragnehmerin nicht mehr verpflichtet gewesen, den Vertrag zu den gleichen Bedingungen fortzuführen. „Die Rechtsbindungen, die sich aus dem bisherigen Vertrag ergeben, gelten für den Fall der erfolgten Kündigung nicht mehr.“ Damit handele es sich vorliegend um den Neuabschluß des Vertrages, so die VK.
Dementsprechend wertete die VK den Vertrag wegen Verletzung der gegenüber den Bietern bestehenden Informationspflicht nach § 13 VgV („Der Auftraggeber informiert die Bieter, deren Angebote nicht berücksichtigt werden sollen…Ein dennoch abgeschlossener Vertrag ist nichtig“) als nichtig. Hier kam nun aber noch ein weiteres, oft diskutiertes Problem zu tragen: Das betreffende Vergabeverfahren war zuvor durch das erfolgreiche Nachprüfungsverfahren aufgehoben worden. Nun wird aber die Anwendung des § 13 VgV z.T. bei sog. „de-facto-Vergaben“ verneint, soweit der Auftraggeber ausschließlich mit dem Anbieter verhandelt hat, der den Zuschlag erhalten hat. (z.B. VK Schleswig-Holstein, Beschluss vom 02.02.2005 – VK-SH 01/05). § 13 VgV gilt jedoch auch selbst im Verhandlungsverfahren mit nur einem Bieter, wenn andere Interessenten für den öffentlichen Auftraggeber z.B. aufgrund eines vorangegangenen offenen Verfahrens konkret erkennbar sind (z.B. OLG Düsseldorf, Beschluß vom 23.02.2005), denn § 13 VgV setzt keine formale Bieterstellung voraus.
Marco Junk
Der Jurist Marco Junk gründete im Jahr 2007 den Vergabeblog und 2010 gemeinsam mit Dipl.-Kaufmann Martin Mündlein das Deutsche Vergabenetzwerk (DVNW). Er begann seine berufliche Laufbahn im Jahr 2004 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer und war danach als Bereichsleiter Vergaberecht beim Digitalverband bitkom tätig. Im Jahr 2011 leitete er die Online-Redaktion des Verlags C.H. Beck. Von 2012 bis 10/2014 war er Mitglied der Geschäftsleitung des bitkom und danach bis 10/2021 Geschäftsführer des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. Seit 2022 ist Marco Junk zudem als Leiter Regierungsbeziehungen für Eviden tätig. Seine Beiträge geben ausschließlich seine persönliche Meinung wieder.
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