Eine der interessantesten Entscheidungen des Jahres: Eine Vertragsgestaltung durch Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB), die zur Übersicherung des öffentlichen Auftraggebers führt, ist nach Ansicht des Landgerichts Wuppertal (Az 17 O 88/07) unwirksam. Im konkreten Fall erhielt die Auftraggeberin durch die Kumulation der vertraglichen Regelungen im Ergebnis eine Sicherheit i.H.v. 15% des Werklohnanspruchs zur Absicherung ihrer Gewährleistungsansprüche und anderer Ansprüche. Das aber, so das LG, sei zuviel, die Regelungen daher AGB-widrig und somit unwirksam.
Die Auftraggeberin nahm die Beklagte aufgrund deren Vertragserfüllungsbürgschaft für den zwischenzeitlich insolventen Auftragnehmer in Anspruch. Sie berief sich dabei auf Mängelansprüche i.H.v. von rund 26.000 Euro. Das Gericht wies die Klage ab, da die vereinbarte Sicherheit unwirksam sei. Im Detail:
Trotz Bestreiten der Auftraggeberin kam das Gericht unzweifelhaft zur Überzeugung, dass es sich bei den Regelungen des streitgegenständlichen Vertrags um deren Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) handelt: Diese würden von der Klägerin für eine Vielzahl von Verträgen verwendet, würden typischerweise von Auftraggebern verwendet und seien zudem bereits nach ihrem äußeren Erscheinungsbild – „Besondere Vertragsbedingungen zum Bauvertrag (BVB)“ – als AGB einzuordnen. Und als AGB unterliegen diese Regelungen der AGB-Kontrolle des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB).
Konkret hatte der Auftragnehmer zum einen eine Vertragserfüllungssicherheit i.H.v. 10% des Pauschalfestpreises stellen müssen, zum anderen durfte die Auftraggeberin jeweils 10% der Abschlagszahlungen einbehalten, bis die Sachmängelsicherheit i.H.v. 5% der Bruttoabrechnungsumme erreicht war. Zusammen entsprach dies einer Sicherheit i.H.v. 15% des Werklohnanspruchs.
Diese Kumulation der Sicherheiten war vorliegend auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Erfüllungsbürgschaft grds. allein die vor Abnahme festgestellten Mängel, die Gewährleistungssicherheit dagegen grds. nur nach Abnahme und innerhalb der Gewährleistungsfrist festgestellte Mängelansprüche betrifft. Denn nach der konkreten Vertragsgestaltung überschnitten sich die beiden Sicherungszwecke: Die Erfüllungssicherheit diente „zur Absicherung aller sich aus diesem Vertrag ergebenden Leistungspflichten des Auftragnehmers“. Davon waren dann aber auch etwaige Gewährleistungsansprüche umfasst, egal, ob Mängel vor oder nach der Abnahme gerügt wurden.
Eine Vereinbarung einer – im Ergebnis – Sicherheit i.H.v. 15 % des Werklohnanspruchs stellt nach Ansicht des LG Wuppertal aber eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners dar und ist somit AGB-rechtswidrig gem. § 307 BGB: Nach der Inhaltskontrolle des § 307 BGB sind Bestimmungen in AGB unwirksam, wenn sie den Vertragspartner „entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen“. Dies ist nach Absatz II der Vorschrift „im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist“. Nach dem gesetzlichen Leitbild des § 623a BGB seien, so das Gericht, Abschlagszahlungen grds. in voller Höhe zu zahlen. Die Vereinbarung einer Sicherheit von 15 % widerspreche mithin diesem gesetzlichen Leitbild. „Dies ist auch unter Berücksichtigung des Sicherungsinteresses des Auftraggebers nicht angemessen im Sinne von § 307 BGB“, so das Gericht, dass die betreffenden Klauseln des Vertrags dementsprechend für unwirksam erklärte.
Darüber hinaus stellte das Gericht am Rande klar, dass die vertragliche Vorgabe der Auftraggeberin, die Erfüllungsbürgschaft müsse den Verzicht des Bürgen auf seine Rechte aus § 768 BGB („Der Bürge kann die dem Hauptschuldner zustehenden Einreden geltend machen“) enthalten, nichtig ist. Dieser Rechteverzicht stelle den Bürgen noch schlechter als bei einer Bürgschaft auf erstes Anfordern. Dies führe zur Unwirksamkeit der Sicherungsabrede insgesamt. „Denn haftet der Bürge garantieähnlich, so wird der Bürgschaftsgläubiger in den Stand versetzt, die Bürgschaft zu mißbrauchen.“
Aufgrund der Unwirksamkeit der (Über-)Sicherungen sowie der Nichtigkeit der Sicherungsabrede wies der Gericht die Klage der Auftraggeberin gegen die Bürgin als unbegründet ab.
Eine zweifellos bemerkenswerte Entscheidung. Der BGH hatte in einem ähnlich gelagerten Fall (NVwZ 2004, S. 1017 f) entschieden, dass jedenfalls eine kumulierte Sicherung i.H.v. 6 % des Vergütungsanspruchs nicht unangemessen hoch sei. Die Tatsache, dass ihm dabei 6 % überprüfungswürdig erschienen, sprechen dafür, mit dem LG Wuppertal jedenfalls bei einer Gesamtsicherung i.H.v. 15 % von einer Unangemessenheit i.S.v. § 307 BGB auszugehen.
Der Jurist Marco Junk gründete im Jahr 2007 den Vergabeblog und 2010 gemeinsam mit Dipl.-Betriebsw. Martin Mündlein das Deutsche Vergabenetzwerk (DVNW). Er begann seine berufliche Laufbahn im Jahr 2004 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer und war danach als Bereichsleiter Vergaberecht beim Digitalverband bitkom tätig. Im Jahr 2011 leitete er die Online-Redaktion des Verlags C.H. Beck. Von 2012 bis 10/2014 war er Mitglied der Geschäftsleitung des bitkom und danach bis 10/2021 Geschäftsführer des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. Seit 2022 ist Marco Junk zudem als Leiter Regierungsbeziehungen für Eviden tätig. Seine Beiträge geben ausschließlich seine persönliche Meinung wieder.
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