Im Rahmen der Reform des GWB war einer der umstrittensten Punkte die Frage, ob die öffentliche Beschaffung auch zur Durchsetzung politischer Ziele wie z.B. einer umweltfreundlichen Beschaffung dienen sollte. Aber auch ganz ohne gesetzgeberische Nachhilfe war auf der im Mai stattgefundenen CeBIT „Green-IT“ eines der zentralen Themen im Bereich Public. Vergabeblog sprach mit David Hartmann, der im Umweltbundesamt (UBA) für das Thema Umweltfreundliche Beschaffung zuständig ist.
Vergabeblog: Herr Hartmann, der neue § 97 IV GWB sieht vor, dass Beschaffer für die Auftragsausführung zusätzliche Anforderungen an Auftragnehmer stellen können, die insbesondere soziale, umweltbezogene oder innovative Aspekte betreffen. Warum aber sollte das öffentliche Auftragswesen überhaupt der Durchsetzung politischer Ziele dienen?
Hartmann: Das Volumen des öffentlichen Auftragswesens liegt in Deutschland bei ca. 260 Milliarden € jährlich, das sind ca. 11% des BIP. Hier existiert also ein enormes – bisher erst ansatzweise strategisch genutztes – Potential, um z.B. durch die staatliche Nachfrage die Markteinführung grüner Produkte zu fördern. Aus unserer Sicht muss die öffentliche Hand durch ihr eigenes Konsumverhalten auch ein positives Beispiel für die Bürger und die Unternehmen setzen – sonst werden die eigenen umweltpolitischen Ziele unglaubwürdig.
Außerdem ist es doch eine gute und erfolgreiche Tradition der sozialen Marktwirtschaft, Märkte mit bestimmten Politikzielen zu flankieren und eben nicht dem reinen Spiel der Marktkräfte zu überlassen. Wieso sollte das öffentliche Auftragswesen hier eine Ausnahme bilden? Eine erfolgreiche und konsistente Umweltpolitik muss selbstverständlich auch den Bereich Beschaffungswesen mitbetrachten.
Vergabeblog: Glauben Sie, die rund 30.000 Beschaffungsstellen in Deutschland teilen diese Meinung? Werden sie die Möglichkeit zur umweltfreundlichen Beschaffung nutzen?
Hartmann: Nun, eine umweltfreundliche Beschaffung wird ja in Deutschland von einer Vielzahl von Akteuren in Bund, Ländern und Kommunen – die ständig zunimmt – bereits seit den 1970er Jahren praktiziert. Daher zählen wir laut einer aktuellen Untersuchung von PriceWaterhouseCoopers im Auftrag der Europäischen Kommission auch zu den sog. „Green Seven“, also zu sieben führenden Mitgliedsstaaten auf diesem Gebiet.
Wir als UBA sehen aber die Notwendigkeit, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Beschaffungsstellen noch stärker über das Thema Umweltaspekte im Vergabeverfahren zu informieren, sei es zu den sich wandelnden rechtlichen Aspekten, zu entsprechenden Produktkriterien und ähnlichem. Außerdem brauchen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die politische Rückendeckung der jeweiligen Ebene für ihr Handeln. Dann werden die Möglichkeiten auch noch stärker genutzt werden. Daran arbeiten wir als Umweltbundesamt, unter anderem durch unsere Website www.beschaffung-info.de.
Vergabeblog: Welche Waren und Dienstleistungen haben Ihrer Ansicht nach das größte „grüne“ Potential? Was eignet sich besonders, um Umwelt- oder Nachhaltigkeitsgesichtspunkte zu berücksichtigen?
Hartmann: Generell sind nahezu alle Waren und Dienstleistungen für eine umweltfreundliche Beschaffung geeignet.
Aus der Perspektive einer ökologischen Industriepolitik sind natürlich jene Märkte und Produktgruppen besonders interessant, bei denen die öffentliche Hand eine hohe Marktmacht besitzt. So hat etwa eine Studie von McKinsey & Co. im Auftrag des Bundesumweltministeriums vom November letzten Jahres[1] entsprechende Teilbereiche identifiziert: Demnach hält die öffentliche Hand etwa einen Nachfrageanteil von 20% am Servermarkt in Deutschland. Im Bereich Omnibussen liegt dieser Anteil sogar bei über 50%, so dass umweltfreundlichen Technologien wie Hybridantrieben relativ einfach gezielt zum Durchbruch verholfen werden kann.
Wichtig ist es auch zu betonen, dass Ökologie und Wirtschaftlichkeit sich keinesfalls gegenseitig ausschließen, sondern vielmehr oftmals Hand in Hand gehen. So sind zwar umweltfreundliche Produkte meist etwas teurer in der Anschaffung, weisen aber durch einen sparsameren Verbrauch von Energie und Verbrauchsmaterialien geringere Folgekosten auf. Allein durch eine konsequente Anwendung des – an sich rein ökonomisch orientierten – Instruments des Life-Cycle-Costings in der öffentlichen Beschaffung würde im Ergebnis sehr oft die Entscheidung für die umweltfreundliche Produktvariante nach sich ziehen.
Vergabeblog: Die Bundestagsfraktion der Grünen bemängelt, der neue § 97 IV GWB alleine nütze nicht viel, es fehlten entsprechende Arbeitshilfen zur Nutzung dieser neuen Mechanismen, beispielsweise Leitfäden und Verweise auf entsprechende Zertifikate. Was sagen Sie zu diesem Vorwurf?
Hartmann: Dies deckt sich weitgehend mit unseren Erfahrungen. Daher setzen wir als Umweltbundesamt auch genau an dieser Stelle an, etwa mit der erwähnten Website www.beschaffung-info.de. Wir entwickeln zudem momentan in Abstimmung mit der Bundesakademie der öffentlichen Verwaltung im Rahmen eines Forschungsvorhabens Schulungsmaterialien für öffentliche Beschafferinnen und Beschaffer, um genau diese Lücke zu schließen.
Vergabeblog: Eine solche konkrete Hilfestellung gibt es ja bereits: Die gemeinsam von Umweltbundesamt und BITKOM entwickelten Leitfaden zur umweltfreundlichen Beschaffung von PCs und Desktops. Dem Vernehmen nach war die Verabschiedung kein einfacher Prozess. Worin lagen die Schwierigkeiten mit der Industrie?
Hartmann: Ja, die gemeinsam mit BITKOM und Beschaffungsamt des BMI entwickelten Beschaffungsempfehlungen im IT-Bereich auf www.itk-beschaffung.de sind auch ein hervorragendes Beispiel für entsprechende konkrete Hilfestellungen. Durch die Kooperation von Akteuren aus Umwelt, Beschaffung und Industrie konnte eine hohe Kompetenz und Glaubwürdigkeit erreicht werden. Entsprechende Kooperationen sind aus unserer Sicht ideal für die Beschafferinnen und Beschaffer, da sich die relevanten Akteure im Laufe des Prozesses umfassend mit allen relevanten Aspekten auseinandergesetzt haben.
Die Existenz mehrerer Projektpartner mit unterschiedlichem Hintergrund kann im Gegenzug aber auch einer schnellen Einigung im Wege stehen – ich denke aber, wir haben im konkreten Fall durch intensive Diskussionen, bei denen alle Seiten dazugelernt haben, ein wirklich hervorragendes Ergebnis erreichen können.
Vergabeblog: Wie lange werden wir überhaupt noch von Umweltkriterien als „vergabefremden“ Kriterien sprechen? Ist die momentane, allgegenwärtige Focussierung auf das Thema Umwelt, insbesondere CO2, nur ein Hype oder der Beginn eines dauerhaften Mentalitätswandels in Gesellschaft und Politik?
Hartmann: Aus unserer Sicht ist diese Bezeichnung schon heute nicht mehr zutreffend, da insbesondere vor dem Hintergrund der Entwicklung des europäischen Rechts (z.B. „Concordia Bus“, „Wienstrom“) an der grundsätzlichen Zulässigkeit der Einbeziehung von Umweltkriterien in die öffentliche Auftragsvergabe nicht mehr gezweifelt werden kann[2]. Diese Verankerung der Umweltaspekte ins europäische Recht wurde schließlich in Deutschland im Rahmen der nationalen Umsetzungen der Vergaberichtlinien in die Verdingungsordnungen und nun mit § 97 IV auch in das GWB übernommen.
Die Frage ist daher nicht mehr, ob Umweltbelange im Rahmen der öffentlichen Auftragsvergabe berücksichtigt werden dürfen, sondern wie in der praktischen Durchführung sicher und effizient mit den verschiedenen Kriterien umzugehen ist und welche Schritte im Beschaffungsprozess sich dafür eignen.
Wir hoffen und sind auch zuversichtlich, dass wir einen solchen dauerhaften Mentalitätswandels in Gesellschaft und Politik erleben werden. Gerade angesichts der gegenwärtigen ökonomischen Turbulenzen zeigt sich doch die extrem kurze Halbwertzeit der kurzfristigen, schnellen Profite. Wir brauchen ein nachhaltiges, zukunftsfähiges Wirtschaften für Mensch und Umwelt, und hier kann und muss auch der Bereich Beschaffung eine strategische Rolle spielen.
Vielen Dank für das Interview!
David Hartmann ist im Fachgebiet III 1.3 „Umweltkennzeichnung, Umweltdeklaration, Umweltfreundliche Beschaffung“ des Umweltbundesamts zuständig für das mehr und mehr an Bedeutung gewinnende Themenfeld Umweltfreundliche Beschaffung (GPP – Green Public Procurement).
[2] Nationale Umsetzung der EU-Beschaffungs-Richtlinien. Rechtsgutachten von Öko-Institut e.V. und Prof. Versteyl Rechtsanwälte im Auftrag des Umweltbundesamtes, 2008, Link: http://www.umweltdaten.de/publikationen/fpdf-l/3329.pdf
Der Jurist Marco Junk gründete im Jahr 2007 den Vergabeblog und 2010 gemeinsam mit Dipl.-Betriebsw. Martin Mündlein das Deutsche Vergabenetzwerk (DVNW). Er begann seine berufliche Laufbahn im Jahr 2004 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer und war danach als Bereichsleiter Vergaberecht beim Digitalverband bitkom tätig. Im Jahr 2011 leitete er die Online-Redaktion des Verlags C.H. Beck. Von 2012 bis 10/2014 war er Mitglied der Geschäftsleitung des bitkom und danach bis 10/2021 Geschäftsführer des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. Seit 2022 ist Marco Junk zudem als Leiter Regierungsbeziehungen für Eviden tätig. Seine Beiträge geben ausschließlich seine persönliche Meinung wieder.
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