Am 24. April diesen Jahres trat nach langen Ringen mit den Stimmen der Großen Koalition das neue GWB in Kraft. Vergabeblog sprach mit Reinhard Schultz, MdB, zuständiger Berichterstatter und Mittelstandsbeauftragter der SPD-Bundestagsfraktion zur Berücksichtigung des Mittelstands bei der öffentlichen Auftragsvergabe, „vergabefremden“ Aspekten, interkommunaler Zusammenarbeit und der Frage, ob das „Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts“ am Ende tatsächlich die von Auftraggebern wie Auftragnehmern geforderte Vereinfachung bei der Vergabe öffentlicher Aufträge brachte.
Die Reform des Vergaberechts, die mit dem Inkrafttreten des neuen GWB am 24. April diesen Jahres ihren vorläufigen Höhepunkt fand, führte das ansonsten eher wenig beachtete Rechtsgebiet erstmals einer breiten Diskussion zu: Verstärkte Förderung des Mittelstands, Berücksichtigung vergabefremder Aspekte, etc. – das öffentliche Auftragswesen wurde damit zweifellos auch Mittel zur Durchsetzung politischer Forderungen. Ein legitimes Mittel?
Die Aufträge der öffentlichen Hand sind ein beachtlicher volkswirtschaftlicher Faktor. So beträgt die Summe der öffentlichen Aufträge EU-weit über 1 Billion Euro pro Jahr und in Deutschland rund 300 Milliarden Euro pro Jahr. Das Steuerungspotential dieses Ausgabeninstruments ist also sehr groß und daher kann ich das Interesse an dessen konkreter Ausgestaltung gut nachvollziehen. Die Vergabe öffentlicher Aufträge wurde schon immer zur Verfolgung sekundärer Gemeinwohlzwecke und als Mittel der Realförderung genutzt und das halte ich auch weiterhin für notwendig.
Nehmen wir einmal den neuen § 97 Abs. 3 GWB. Dieser sieht eine gegenüber der alten Fassung verstärkte Berücksichtigung mittelständischer Unternehmen bei der öffentlichen Auftragsvergabe vor. Tat die denn Not?
Die bedeutende Rolle des Mittelstands für die deutsche Wirtschaft ist unbestritten. Mittelständische Unternehmen sind mit Abstand der wichtigste Arbeitgeber in Deutschland und zeichnen sich durch hohe Standorttreue aus. Die mittelständische Wirtschaft soll daher angemessen bei der Auftragsvergabe der öffentlichen Hand berücksichtigt werden. Dies war bislang nicht gewährleistet. Stattdessen war in den letzten Jahren zunehmend eine starke Tendenz zur Generalunternehmervergabe zu beobachten, durch die KMU bei der öffentlichen Auftragsvergabe systematisch benachteiligt worden sind. Das wurde mir im Übrigen in zahlreichen Gesprächen, die ich in meiner Funktion als Mittelstandsbeauftragter der SPD-Bundestagsfraktion zum Thema geführt habe, immer wieder bestätigt. Insofern bestand hier für uns dringender Handlungsbedarf.
Nach dem Wortlaut der Norm waren mittelständische Interessen bislang vornehmlich durch Teilung der Aufträge in Fach- und Teillose „angemessen zu berücksichtigen“. Die neue Formulierung sieht nun darüber hinaus vor, dass mittelständische Interessen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge vornehmlich zu berücksichtigen sind. Glauben Sie, dass diese interpretationsfähige Erweiterung an der Vergabepraxis wirklich etwas ändert?
Ich bin der festen Überzeugung, dass mittelständische Unternehmen aufgrund unserer Gesetzesänderung in angemessener Weise an der öffentlichen Auftragsvergabe partizipieren werden. Denn wir unterstützen den Mittelstand, in dem wir bei der öffentlichen Vergabe von Aufträgen die generelle Pflicht einführen, Aufträge in Fach- und Teillose aufzuteilen. Nicht anderes bedeutet das kleine Wort „vornehmlich“ in der praktischen Anwendung. Die Vergabe in Fach- und Teillosen gibt mittelständischen Unternehmen in allen Größenordnungen die Chance, sich für öffentliche Aufträge zu bewerben. Damit verbessern wir auch die Wirtschaftlichkeit, die ein wesentliches Ziel der öffentlichen Vergabe ist. Zudem können bei einer Aufteilung in Fach- und Teillose mehr Unternehmen ein Angebot abgeben, so dass durch die erhöhte Teilnehmerzahl der Wettbewerb gestärkt wird. Besonders wichtig war mir, die mittelstandfreundliche Auftragsvergabe auch im Rahmen der Öffentlich-Privaten-Zusammenarbeit sicherzustellen. Das ist uns gelungen: Alle Unternehmen, die Unteraufträge vergeben, müssen diese Unterauftragsvergaben mit erfassen. Zu diesem Zweck haben wir den ursprünglichen Auftraggeber verpflichtet, entsprechend vertragliche Regelungen zu treffen.
Einer der politisch umstrittensten Punkte der Reform war die ausdrückliche Zulassung sog. – bisher – vergabefremder Aspekte in § 97 Abs. 4 GWB. Danach können zusätzliche Anforderungen an die Auftragnehmer gestellt werden, die insbesondere soziale, umweltbezogene oder innovative Aspekte betreffen. Wie bewerten Sie diese Möglichkeit? Und spielen diese Aspekte tatsächlich schon eine Rolle bei der Vergabe?
Die öffentliche Hand hat eine gesellschaftspolitische Verantwortung, und zwar gerade dann, wenn sie öffentliche Aufträge an Dritte „nach außen“ vergibt. Bis zu unserer Reform hatte die öffentliche Hand allerdings keine Möglichkeit, dieser Verantwortung rechtssicher nachzukommen. Daher war es auch eines unserer wichtigsten Ziele, das Vergaberecht für soziale, ökologische und innovative Belange in der Disposition der Vergabestellen – also der Kommunen, der Länder und des Bundes – zu öffnen. Denn damit haben wir Rechtssicherheit für die öffentlichen Auftraggeber geschaffen, wenn diese zusätzlich zu Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Gesetzestreue weitere Anforderungen stellen wollen, wie beispielsweise eine angemessene Bezahlung zur Sicherstellung der Qualifikation von Wach- oder Fahrdienstpersonal oder das Verbot von Kinderarbeit in der Lieferkette bzw. die Nutzung energieeffizienter Bürogeräte.
Besteht bei den rund 30.000 Vergabestellen in Deutschland denn überhaupt das notwendige Know-how, solche Anforderungen auftragsbezogen sinnvoll zu stellen? Besteht nicht vielmehr die Gefahr, dass man hier über das ggfs. hehre Ziel hinausschießt und die Bieter überfordert?
Für mich gilt hier der Grundsatz: Jeder wächst mit seinen Aufgaben.
Inhouse-Vergabe: Der vom Bundestag in sprichwörtlich letzter Minute verhinderte § 99 I, S. 2 GWB-E hätte es der öffentlichen Hand ermöglicht, ihre Zusammenarbeit – in der Praxis vornehmlich der Kommunen (”interkommunale Zusammenarbeit”) – in weiten Teilen von den Regelungen des Vergaberechts auszuschließen. Wie stehen Sie hierzu und warum glauben Sie, wird diese Möglichkeit gerade von den kommunalen Spitzenverbänden so mit Nachruck gefordert?
Für die SPD ist die kommunale Zusammenarbeit ein Erfolgsmodell und unverzichtbar, wenn es um die gemeinsame Erledigung öffentlicher Aufgaben im Bereich der Daseinsvorsorge geht. Die interkommunale Zusammenarbeit ist Teil der kommunalen Organisationshoheit, die wiederum als wichtiger Bestandteil der Selbstverwaltungsgarantie durch Artikel 28 GG verfassungsrechtlich geschützt ist. Leider genügte der verfassungsrechtliche Schutz bislang nicht, die EU-Kommission davon abzuhalten, Deutschland mit zahlreichen Vertragsverletzungsverfahren zur interkommunalen Zusammenarbeit zu überziehen. Bei der Reform des Vergaberechts war es daher unser erklärtes Ziel, die interkommunale Zusammenarbeit durch eine eindeutige gesetzliche Regelung vergaberechtsfrei zu stellen und Rechtssicherheit für Städte, Kreise und Gemeinden zu schaffen. Leider ist das im parlamentarischen Verfahren in letzter Minute vom Wirtschaftsflügel der CDU/CSU-Fraktion verhindert worden, der dem Druck der einschlägigen Wirtschaftsverbände nicht standhalten konnte oder wollte und sogar ein Scheitern der gesamten Vergaberechtsreform in Kauf genommen hätte. Dieser Kompromiss kann für uns nicht zufriedenstellend sein und war es im Übrigen auch nicht für den Bundesrat, der sich in einem Entschließungsantrag klar dafür ausgesprochen hat, bestehende Rechtsunsicherheiten bei der interkommunalen Zusammenarbeit und anderen staatlichen Kooperationen zu beseitigen. Zuversichtlich stimmt mich, dass wir kürzlich vom EuGH in unserer Auffassung zur Gestaltungsfreiheit der interkommunalen Zusammenarbeit ausdrücklich bestätigt worden sind. Wir wollen und werden einen neuen Anlauf starten, um die interkommunale Zusammenarbeit auch auf nationaler Ebene rechtsfest zu machen.
GWB, Vergabeverordnung, VOL, VOB und VOF, Ober- und Unterschwellenbereich – man hat den Eindruck, das Vergaberecht ist gerade deshalb so kompliziert, damit es niemand versteht. Hätte die Reform nicht die Chance geboten, all das nachhaltig zu vereinfachen und damit die öffentliche Auftragsvergabe auch transparenter zu machen?
Ich befürworte nach wie vor eine grundlegende Reform des Vergaberechts, die eine Abschaffung des immer noch geltenden Kaskadenprinzips vorsieht und zu einer massiven Vereinfachung des Vergaberechts führen würde. Im Koalitionsvertrag haben wir uns aber leider nur auf eine Vereinfachung und Modernisierung des Vergaberechts „im bestehenden System“, das heißt unter Aufrechterhaltung der Systematik von Gesetz (BHO/LHO, GWB), Vergabeverordnung (VgV) und Verdingungsordnungen (für Leistungen – VOL, für Bauleistungen – VOB und für freiberufliche Leistungen – VOF) verständigen können. Ich halte das, was wir unter diesen Voraussetzungen bei der Reform erreicht haben, jedoch für beachtlich. Wir haben im Ergebnis ein einfacheres und mittelstandfreundliches Vergaberecht geschaffen, dass Innovationen zulässt und zugleich Wettbewerbsverzerrungen verhindert.
Konjunkturpaket II: Die Maßnahmen des Bundes und der Länder sehen deutlich herauf gesetzte Schwellenwerte für Beschränkte Ausschreibungen und Freihändige Vergaben – jeweils ohne öffentlichen Teilnahmewettbewerb – vor. Es werden Stimmen laut, die angesichts dessen Korruption und Vetternwirtschaft befürchten. Machen Sie sich Sorgen?
In der aktuellen Wirtschaftskrise war die Lockerung des Vergaberechts eine zielgenaue und richtige Maßnahme, mit investitions-beschleunigender Wirkung. Öffentliche Aufträge können schnell und unbürokratisch an die Wirtschaft weitergegeben werden und den Unternehmen zugute kommen. Wichtig für mich ist jedoch, und deshalb mache ich mir auch keine Sorgen, dass diese Maßnahme zeitlich befristet ist. Eine dauerhafte Lockerung des Vergaberechts lehne ich ab, denn diese zielt auf die Ausschaltung des Wettbewerbs, begünstigt Generalunternehmer, führt zu Preis- und Qualitätsdumping und fördert Korruption.
Letzte Frage: Hand aufs Herz – Ihre Beziehung zum Vergaberecht?
Angesichts der Bedeutung der öffentlichen Auftragsvergabe für die gesamte Wirtschaft und insbesondere für die kleinen und mittleren Unternehmen fand ich es sehr wichtig an einem Ordnungsrahmen aktiv mitzuwirken, der für faire und transparente Bedingungen bei der öffentlichen Beschaffung gesorgt hat.
Herzlichen Dank für das Interview!
Der Jurist Marco Junk gründete im Jahr 2007 den Vergabeblog und 2010 gemeinsam mit Dipl.-Betriebsw. Martin Mündlein das Deutsche Vergabenetzwerk (DVNW). Er begann seine berufliche Laufbahn im Jahr 2004 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer und war danach als Bereichsleiter Vergaberecht beim Digitalverband bitkom tätig. Im Jahr 2011 leitete er die Online-Redaktion des Verlags C.H. Beck. Von 2012 bis 10/2014 war er Mitglied der Geschäftsleitung des bitkom und danach bis 10/2021 Geschäftsführer des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. Seit 2022 ist Marco Junk zudem als Leiter Regierungsbeziehungen für Eviden tätig. Seine Beiträge geben ausschließlich seine persönliche Meinung wieder.
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