Im Mai wurde der Initiativbericht der Deutschen Heide Rühle, binnenmarktpolitische Sprecherin der GRÜNEN/EFA im Europäischen Parlament (EP), über „Neue Entwicklungen im öffentlichen Auftragswesen (2009/2175(INI)“ mit großer Mehrheit vom EP angenommen. Schwerpunkt des Berichts ist die kritische Auseinandersetzung mit den Folgen der Europäischen Vergaberegeln und ihrer Umsetzung in nationales Recht. Aber auch die interkommunale Kooperationen, Dienstleistungskonzessionen, öffentlich-private Partnerschaften und die nachhaltige Beschaffung werden thematisiert.
Entbürokratisierung nicht erfolgt
Dazu wird Heide Rühle, in einer Pressemitteilung zitiert: „Das Europäische Parlament kritisiert, dass die mit der Revision der Richtlinien zur öffentlichen Auftragsvergabe im Jahr 2004 angestrebte Vereinfachung und Entbürokratisierung des Auftragswesens bisher nicht erreicht wurden. Bei der Vergabe öffentlicher Aufträge herrscht eine große Rechtsunsicherheit, öffentliche Stellen und Auftragnehmer leiden unter zusätzlichen Kosten für externe Rechtsberatung und langen Verfahrensdauern. Dadurch erhält häufig das billigste und nicht das beste Angebot den Zuschlag.”
Zum einen seien die Richtlinien selbst in manchen Punkten nicht klar genug, politische Differenzen in Rat und Parlament führten zu Formelkompromissen, Lücken und Inkohärenz im Rechtstext. Zum anderen habe die Umsetzung in den Mitgliedstaaten viel Zeit in Anspruch genommen, die Richtlinien seien in ihrer Umsetzung oft noch verschärft worden und zusätzliche Kriterien seien eingeführt worden, hingegen manche Flexibilisierungsinstrumente nicht übernommen worden, so Rühle. Dazu kämen viele nationale und europäischen Gerichtsprozesse bzw. das entsprechende Fallrecht sowie nicht zwingende Rechtsinstrumente („soft law“) der Kommission – was die Übersichtlichkeit nicht verbesserte.
Städteplanung und Stadtentwicklung
Eine überschießende Interpretation vor allem deutscher Gerichte bei der Stadtplanung (“Ahlhorn”) habe den Kommunen große Problem bereitet. Dabei sei der Anwendungsbereich der Vergaberichtlinien auf Bereiche ausgeweitet worden, für die sie eigentlich nicht vorgesehen waren. Für die Abgeordneten sei klar, dass es Gemeinden möglich sein muss, Grundstücke mit Auflagen (wie beispielsweise dem Vorbehalt innerhalb von zwei Jahren zu bebauen) zu verkaufen, ohne diesen Verkauf europaweit nach den Kriterien der öffentlichen Auftragsvergabe ausschreiben zu müssen. Die Abgeordneten begrüßen daher das jüngst gefällte Urteil des EuGH, welches zu dem Ergebnis kommt, dass Grundstücksverkäufe mit städtebaulichen Verpflichtungen nicht europaweit ausgeschrieben werden müssen. Es bestehe sonst die Gefahr, dass jede städtbauliche Tätigkeit unter die Richtlinie Falle.
“Vergabefremde” Aspekte nicht vergabefremd
Ein weiterer Schwerpunkt des Berichtes stellt die nachhaltige Beschaffung dar. Über 16 % des Bruttoinlandsprodukts bzw. mehr als 1.500 Mrd. Euro beträgt der jährliche Umsatz der öffentlichen Beschaffungen von Gütern und Dienstleistungen in der EU. Die Abgeordneten verweisen ausdrücklich „auf die große Bedeutung des öffentlichen Beschaffungswesens für Klima- und Umweltschutz, Energieeffizienz, Innovation und Förderung des Wettbewerbs“. Gleichzeitig kritisieren die Abgeordneten, dass im Bereich der sozial verantwortlichen Beschaffung nach wie vor „mangelnde Klarheit“ herrscht und die Kommission daher Ihre Anstrengungen verstärken muss, damit „die öffentlichen Verwaltungen ihr Auftragswesen sozialen Kriterien wie etwa der Einhaltung der Tariflöhne unterwerfen können.“
Prinzipiell wird in dem Bericht dabei festgestellt, dass die nachhaltige Beschaffung nur funktionieren kann, wenn Rechtssicherheit und praktische Hilfestellungen für die öffentlichen Beschaffer und Unternehmen vorhanden sind. Leider sei vor Ort oft unklar, wie soziale oder ökologische Kriterien tatsächlich in die Auftragsvergabe tatsächlich einbezogen werden können. Daher fordern die Abgeordneten klare Regeln, Schulungen, Hilfestellungen und eine Datenbank, mit deren Hilfe Kriterien für die nachhaltige Beschaffung zur Verfügung gestellt werden.
Interkommunale Zusammenarbeit
Mit dem Bericht haben die Europaabgeordneten auch ein klares Bekenntnis zur interkommunalen Zusammenarbeit, also die Auftragsvergabe an andere Stellen der öffentlichen Hand (“Inhouse-Vergabe”) unter Ausschluss des Marktes, abgelegt. Der Bericht greift die mit dem Inkrafttreten des Lissabonner Vertrages gestärkte Selbstverwaltungsrecht der Kommunen auf und stellt im – jedenfalls behaupteten – Einklang mit der jüngsten EuGH-Rechtssprechung fest, „dass eine öffentliche Stelle ihre im allgemeinen Interesse liegenden Aufgaben mit ihren eigenen Mitteln und auch in Zusammenarbeit mit anderen öffentlichen Stellen erfüllen kann“ (Urteil in der Rechtssache C-324/07).
Außerdem verweisen die Abgeordneten auf das Urteil der Großen Kammer des EuGH vom 9. Juni 2009 (“Stadtreinigung Hamburg”, RS C-480/06) das ergänzend festgehalten hat, dass das Gemeinschaftsrecht den öffentlichen Stellen für die gemeinsame Wahrnehmung ihrer öffentlichen Aufgaben keine spezielle Rechtsform vorschreibt. Zusammengefasst wird in dem Bericht festgehalten, dass öffentlich-öffentliche Partnerschaften, wie die kommunalen Kooperationen und andere Formen der innerstaatlichen Zusammenarbeit, unter folgenden kumulativen Kriterien als vergaberechtsfrei angesehen werden:
- es handelt sich um die Erbringung einer allen beteiligten Kommunen obliegenden öffentlichen Aufgabe,
- die Aufgabe wird ausschließlich durch öffentliche Stellen, also ohne Beteiligung Privater, wahrgenommen,
- die Tätigkeit wird im Wesentlichen für die beteiligten öffentlichen Stellen verrichtet;
Solche interkommunalen Kooperationen wie die Wasserversorgung, Abfallwirtschaft oder Kultur werden laut Rühle “vor allem aufgrund der klammen Kassen vieler Kommunen sowie der demografischen Entwicklung immer wichtiger“.
Sie finden den vollständigen Bericht in deutscher Sprache hier.
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