4 Minuten

Zitierangaben: Vergabeblog.de vom 09/11/2010 Nr. 7875

Entscheidung: Nachreichen von Erklärungen und Nachweisen nach Angebotsabgabe zulässig (VK Nordbayern, Beschluss v. 22.09.2010 – 21.VK-3194-34/10)

Entscheidung Endlich gibt es eine aktuelle Entscheidung zu einer der wichtigsten neuen Regelungen in den Vergabeordnungen: Die Vergabekammer (VK) Nordbayern hat entschieden, dass in den Vergabeunterlagen geforderte Nachweise oder Erklärungen nach der neuen Regelung in § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A 2009 auch noch nach Angebotsabgabe vom Bieter vorgelegt werden können. Ein Ausschluss des Bieters wegen fehlender Unterlagen ist nicht – mehr – gerechtfertigt.

Neue Rechtslage

Bisher war ein Bieter für diesen Fall grundsätzlich nach § 25 Nr. 1 Abs. 2 VOB/A 2006 bzw. VOL/A 2006 von der Wertung zwingend auszuschließen, ein Nachreichen der Unterlagen nach Angebotsabgabe war nicht möglich. Dies war oft nicht nur für den Bieter, sondern auch für die Vergabestelle ärgerlich, wenn der bis dahin wirtschaftlichste Bieter wegen einer „Formalie“ aus dem Rennen war.

Deswegen wurde in den seit Juni 2010 geltenden neuen Vergabeordnungen für den Baubereich in § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A 2009 und für den Liefer- und Dienstleistungsbereich in § 16 Abs. 2 VOL/A bzw. § 19 Abs. 2 VOL/A EG 2009 geregelt, dass fehlende Nachweise oder Erklärungen auch noch nach Angebotsabgabe vorgelegt werden können.

Unstreitig: Fehlende Unterlagen

Vorliegend wollte die Vergabestelle bei der Ausschreibung einen Bieter wegen der unstreitig in den Vergabeunterlagen geforderten und bei Angebotsabgabe fehlenden Erklärung der Anerkennung der Besonderen Vertragsbedingungen ausschließen. Der Bieter hatte die Anerkennung unverzüglich nach Angebotsabgabe nachgereicht und den beabsichtigten Ausschluss unter Verweis auf § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A 2009 gerügt. Aber die Vergabestelle ließ dies nicht gelten, den Zuschlag sollte ein Mitbewerber bekommen. Dagegen hat sich der Bieter erfolgreich im Nachprüfungsverfahren gewehrt. Die VK Nordbayern hat dem Vorgehen der Vergabestelle unter Verweis auf die neue Regelung in der Vergabeordnung eine klare Absage erteilt.

§ 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A 2009 bestimmt:

„Fehlen geforderte Erklärungen oder Nachweise und wird das Angebot nicht entsprechend Nummern 1 oder 2 ausgeschlossen, verlangt der Auftraggeber die fehlenden Erklärungen oder Nachweise nach. Diese sind spätestens innerhalb von 6 Kalendertagen nach Aufforderung durch den Auftraggeber vorzulegen. Die Frist beginnt am Tag nach der Absendung der Aufforderung durch den Auftraggeber. Werden die Erklärungen oder Nachweise nicht innerhalb der Frist vorgelegt, ist das Angebot auszuschließen.“

Pflicht zur Nachforderung

Wie die VK Nordbayern somit für den Bereich der VOB/A 2009 klargestellt hat, muss sich die Vergabestelle an die Regelungen der Vergabeordnung halten und ist verpflichtet, nach Angebotsabgabe vorgelegte Erklärungen oder Nachweise zu werten. Ausgenommen sind nach wie vor Erklärungen zu fehlenden Preisangaben, außer, es handelt sich um unwesentliche Einzelpositionen.

Übrigens hätte vorliegend die VK Nordbayern auch bei Anwendung der alten Fassung der VOB/A 2006 einen Ausschluss als nicht gerechtfertigt angesehen, da es sich – so die VK – bei den Besonderen Vertragsbedingungen um eine vorformulierte Unterlage der Vergabestelle handele, die vom Bieter an keiner Stelle auszufüllen war, so dass das Angebot auch ohne die Unterlage mit den Angeboten der Mitbewerber vergleichbar war.

Übertragbarkeit auf VOL/A 2009?

Offen bleibt, ob die klare und richtige Entscheidung der VK Nordbayern im Rahmen der VOB/A 2009 auch für den Bereich der VOL/A 2009 gilt.

§ 16 Abs. 2 VOL/A bzw. § 19 Abs. 2 VOL/A EG bestimmt, dass „Erklärungen und Nachweise, die auf Anforderung der Auftraggeber bis zum Ablauf der Angebotsfrist nicht vorgelegt wurden, bis zum Ablauf einer zu bestimmenden Nachfrist nachgefordert werden könnenund trifft damit im Gegensatz zu § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A keine eindeutige Aussage, ob eine Verpflichtung der Vergabestelle zur Nachforderung von Unterlagen besteht.

Im Sinne der mit der Vergaberechtsreform gewünschten Harmonisierung und Vereinheitlichung der Vergabeordnungen bleibt zu hoffen, dass sich bei den Vergabekammern die klare Aussage der VK Nordbayern auch für den Bereich der VOL/A 2009 durchsetzt.

Die Autorin Monika Prell ist bei der Bitkom Servicegesellschaft mbH im Bereich Vergaberecht für „Bitkom Consult – Öffentliche Aufträge“ zuständig. Sie ist Rechtsanwältin und berät und unterstützt Unternehmen der ITK-Branche bei öffentlichen Ausschreibungen. Mehr Informationen finden Sie im Autorenverzeichnis.

Monika Prell

Monika Prell ist Fachanwältin für Vergaberecht und Partnerin bei der Kanzlei SammlerUsinger in Berlin. Sie verfügt über umfangreiche Erfahrung im Vergaberecht und berät sowohl öffentliche Auftraggeber bei der Vorbereitung, Konzeption und Gestaltung sowie der anschließenden Durchführung von Vergabeverfahren als auch Bieterunternehmen umfassend bei allen vergaberechtlichen Fragestellungen. Darüber hinaus vertritt Monika Prell ihre Mandanten vor den Vergabenachprüfungsinstanzen. Neben ihrer anwaltlichen Tätigkeit ist sie als Kommentarautorin tätig, veröffentlicht regelmäßig Fachaufsätze und führt laufend Seminare und Workshops im Vergaberecht durch.

1 Stern2 Sterne3 Sterne4 Sterne5 Sterne (29 Bewertungen, durchschn.: 4,48aus 5)

Loading…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

8 Antworten zu „Entscheidung: Nachreichen von Erklärungen und Nachweisen nach Angebotsabgabe zulässig (VK Nordbayern, Beschluss v. 22.09.2010 – 21.VK-3194-34/10)“

  1. Avatar von Ludwig Winand
    Ludwig Winand

    Die Nachforderung fehlender Nachweise und Erklärungen ist gem. § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A 2009 obligat, für den Bereich der VOL (§ 16 Abs. 2 VOL/A bzw. § 19 EG Abs. 2 VOL/A) und VOF (§ 5 Abs. 3 VOF) handelt es sich jeweils um Kann-Bestimmungen.

    Ich möchte aber an dieser Stelle auf die Nachforderung fehlender Nachweise und Erklärungen im Rahmen von Teilnahmeanträgen (sowohl im Rahmen nationaler Verfahren als auch im Rahmen von EU-Verfahren) aufmerksam machen. Weder der erste Abschnitt der VOB/A noch § 11a VOB/A sowie der erste Abschnitt der VOL/A bzw. § 14 EG VOL/A enthalten keine Regelungen bzgl. der Nachforderungen.

    Sind an dieser Stelle die Regelungen zum Angebotsverfahren VOL/VOB auch auf die Teilnahmeanträge zu übertragen ?

  2. Avatar von Monika Prell

    Sehr geehrter Herr Winand,

    den Verweis auf die „Kann“-Bestimmung in § 16 Abs.2 VOL/A bzw. § 19 Abs.2 VOL/A EG finden Sie am Ende des Artikels.
    Der Wortlaut in der VOL/A bezieht sich tatsächlich nur auf den Zeitpunkt der Angebotsabgabefrist, nicht geklärt ist, ob eine analoge Anwendung auf die Bewerbungsfrist in Frage kommt.
    Eine Entscheidung gibt es hierzu bislang nicht, die Literatur verweist auf eine analoge Anwendung mit dem Verweis, dass die Aufnahme der Bewerbungsfrist schlichtweg vom DVAL vergessen wurde (so Müller/Wrede, Kommentar zur VOL/A, § 19 VOL/A EG, Rn. 53 ff)
    § 16 Nr.1 Abs.3 VOB/A bezieht sich „nur“ auf fehlende Erklärungen/Nachweise bis zum Ablauf der Angebotsfrist, so dass hier auch fehlene Erklärungen/Nachweise bei Teilnahmanträgen umfasst sein dürften, eine Kommentierung hierzu liegt mir jedoch nicht vor bzw. habe ich bei Ingenstau/Korbion zu § 16 VOB/A nichts gefunden.

    Insofern ist Ihre Frage im Hinblick auf die kommenden Entscheidungen sehr interessant und wieder ein Hinweis darauf, dass noch Ergänzungsbedarf bei den Vergabeordnungen besteht.

    Mit freundlichen Grüßen

    Monika Prell

  3. Avatar von Martin Hahn

    Sehr geehrte Frau Prell,

    ich stimme Ihnen zu, dass die genannten Grundsätze auch auf Teilnahmeanträge anzuwenden sein dürften (siehe auch Stoye/Hoffmann, VergabeR 2009, 569 ff.).

    Ein sehr interessantes Thema wird m.E. noch werden, welche Angebotsinhalte unter den Begriff Erklärungen/Nachweise zu subsumieren sind.

    Sicher gemeint sind wohl die klassischen Eignungsnachweise (z.B. Zahl/Qualifikation Mitarbeiter, Betriebsgröße, Ausstattung, Zertifizierungen) und inhaltlichen Erläuterungen (z.B. Hersteller-, Typ- und Produktangaben, Produktdatenblätter, Zertifizierungen).

    Aber was ist mit anderen (unbedeutenden) Angebotsteilen, die sich nicht so einfach zuordnen lassen und im Angebot fehlen? Ob die bisherige (strenge) Rechtsprechung zur Änderung der Verdingungsunterlagen durch fehlende Angebotsteile angesichts der neuen VOB/A-Regelung aufrecht erhalten wird, bleibt abzuwarten.

    Mit freundlichen Grüßen

    Martin Hahn

  4. Avatar von Monika Prell

    Sehr geehrter Herr Hahn,

    vielen Dank für Ihren Verweis auf die Fundstelle in VergabeR 2009, 569ff, die ich mit Interesse gelesen habe.

    Zu der Subsumtion unter den Begriff „Erklärungen/ Nachweise“ finden sich in der Kommentierung zur VOB/A und VOL/A einige Fundstellen.

    Bei der VOB/A zitiert Kratzenberg im Kommentar von Ingenstau/Korbion zur VOB (17.Auflage, § 16 VOB/A, Rdnr. 65ff) die Motive des DVA: „Um Ausschlüsse aus formalen Gründen einzudämmen, sollen Angebote, deren Erklärungen zur Eignung sowie sonstige geforderte Erklärungen zum Angebot fehlen, erst …ausgeschlossen werden, wenn der Bieter diese nicht innerhalb von 6 KT nach Aufforderung des AG nachgereicht hat.“

    Im Kommentar von Müller/Wrede zur VOL/A wird zu dem Thema ausgeführt: „Gegenstand der Nachforderung sind alle Unterlagen, die sich auf das Angebot beziehen, z.B. NU-Erklärungen, Biege-Erklärungen, Ablaufkonzepte, technische Nachweise/Skizzen, Herstellergarantien und fehlende Eignungsnachweise „(Müller/Wrede, 3. Auflage, § 19 VOL/A EG, Rnr. 30ff).

    Mit freundlichen Grüßen

    Monika Prell

  5. Avatar von Rüdiger Roth
    Rüdiger Roth

    Sehr geehrte Forumsteilnehmer/Innen!

    Angenommen, ein Bieter reicht bewusst eine/n geforderte Erklärung bzw. Nachweis nicht mit dem Angebot ein, sondern wartet erst einmal die Submission ab.
    Bei dieser stellt er sodann fest, dass er sich als mit Abstand preisgünstigster Bieter wohl verkalkuliert hat.

    Auf das AG- seitige Nachforderungsverlangen geht er innerhalb der gesetzten Frist von 6 Kalendertagen im Vertrauen auf den Gesetzestext (VOB/A §16 (1) Pkt.3, letzter Satz) nicht ein, der besagt, dass sein Angebot bei nicht fristgerechter Vorlegung zwingend auszuschließen ist, was ihm ja voll in die Karten spielt.

    Besteht hier nicht die Gefahr, dass dieses bewusste Vorgehen zur ständigen Bieterpraxis werden könnte?

    Mit freundlichen Grüßen
    Rüdiger Roth

  6. Avatar von Martin Hahn

    Sehr geehrter Herr Roth,

    die von Ihnen geschilderte Gefahr besteht definitiv und wird in der vergaberechtlichen Literatur gesehen und auch kritisiert (vgl. z.B. Schätzlein, IBR 2010, S. 9).

    Die Gesetzeslage ist jedoch in diesem Punkt eindeutig. Der Bieter kann sich nun immer ein „Hintertürchen“ offenhalten. Für den öffentlichen Auftraggeber bleibt nur zu hoffen, dass ein solcher Schuss für einen „unlauteren“ Bieter auch einmal nach hinten losgeht und ein Ausschreibungsbestandteil nicht eingereicht wird, der unmittelbar zum Ausschluss aus einem Verfahren führt, an dem sich der Bieter eigtl. gerne weiter beteiligt hätte.

    Interessant wäre auch noch die Überlegung, ob der öffentliche Auftraggeber den Bieter in kommenden Verfahren direkt ausschließen darf, wenn sich konkrete Anhaltspunkte für eine vorsätzliche Taktik ergeben. Ein Ausschluss wegen schlechter Erfahrungen in der Vergangenheit ist zwar nicht unkritisch, aber unter gewissen Voraussetzungen zulässig.

    Es bleibt abzuwarten, ob in der Praxis ein sprunghafter Anstieg von vergessenen Nachweisen zu beobachten sein wird. Ich persönlich rechne damit. Aber dabei muss nicht immer die von Ihnen beschriebene Taktik im Vordergrund stehen. Manche Bieter werden schlicht aus Zeitgründen auf eine präzise Bearbeitung verzichten und sich auf die Nachforderungspflicht verlassen. Ob das noch im Sinne der neuen VOB/A-Regelung ist, welche den Ausschluss aus rein formalen Gründen eindämmen möchte, sei dahingestellt.

    Mit freundlichen Grüßen
    Martin Hahn

  7. Avatar von Monika Prell

    Sehr geehrter Herr Hahn, sehr geehrter Herr Roth!

    Allerdings fordert das von Herrn Roth beschriebene Szenarium, dass die Vergabestelle erkennt, dass Erklärungen/Nachweise fehlen und diese tatsächlich nachfordert.

    Und im Rahmen der VOL/A ist das beschriebene Vorgehen aufgrund der abweichenden Formulierung („können nachgefordert werden“) meines Erachtens sehr risikoreich für den Bieter, solange noch keine Rechtsprechung zu § 19 Abs.2 VOL/A vorliegt.

    Allerdings würde ich bei (dem wohl schwer zu führenden)Nachweis eines entsprechenden Vorgehens den Ausschluss des Bieters wegen Unzuverlässigkeit durchaus für gerechtfertigt halten.

    Mit freundlichen Grüßen

    Monika Prell

  8. Avatar von Martin Hahn

    Liebes Forum,

    hier eine weitere interessante Ergänzung zum Thema Nachforderung von Erklärungen/Nachweisen in der VOB/A:

    Das OLG Naumburg (Beschluss vom 23.02.2012 – 2 Verg 15/11) hat kürzlich entschieden, dass § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A auch auf unvollständige Nebenangebote (also nicht nur auf Hauptangebote) Anwendung findet.

    Der lesenswerte Beschluss enthält darüber hinaus sehr instruktive Ausführungen zur Frage, welche Unterlagen überhaupt unter den Begriff Erklärungen bzw. Nachweise fallen und damit der Nachforderungspflicht des öffentlichen Auftraggebers unterliegen.

    Mit freundlichen Grüßen

    Martin Hahn