Endlich gibt es eine aktuelle Entscheidung zu einer der wichtigsten neuen Regelungen in den Vergabeordnungen: Die Vergabekammer (VK) Nordbayern hat entschieden, dass in den Vergabeunterlagen geforderte Nachweise oder Erklärungen nach der neuen Regelung in § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A 2009 auch noch nach Angebotsabgabe vom Bieter vorgelegt werden können. Ein Ausschluss des Bieters wegen fehlender Unterlagen ist nicht – mehr – gerechtfertigt.
Neue Rechtslage
Bisher war ein Bieter für diesen Fall grundsätzlich nach § 25 Nr. 1 Abs. 2 VOB/A 2006 bzw. VOL/A 2006 von der Wertung zwingend auszuschließen, ein Nachreichen der Unterlagen nach Angebotsabgabe war nicht möglich. Dies war oft nicht nur für den Bieter, sondern auch für die Vergabestelle ärgerlich, wenn der bis dahin wirtschaftlichste Bieter wegen einer „Formalie“ aus dem Rennen war.
Deswegen wurde in den seit Juni 2010 geltenden neuen Vergabeordnungen für den Baubereich in § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A 2009 und für den Liefer- und Dienstleistungsbereich in § 16 Abs. 2 VOL/A bzw. § 19 Abs. 2 VOL/A EG 2009 geregelt, dass fehlende Nachweise oder Erklärungen auch noch nach Angebotsabgabe vorgelegt werden können.
Unstreitig: Fehlende Unterlagen
Vorliegend wollte die Vergabestelle bei der Ausschreibung einen Bieter wegen der unstreitig in den Vergabeunterlagen geforderten und bei Angebotsabgabe fehlenden Erklärung der Anerkennung der Besonderen Vertragsbedingungen ausschließen. Der Bieter hatte die Anerkennung unverzüglich nach Angebotsabgabe nachgereicht und den beabsichtigten Ausschluss unter Verweis auf § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A 2009 gerügt. Aber die Vergabestelle ließ dies nicht gelten, den Zuschlag sollte ein Mitbewerber bekommen. Dagegen hat sich der Bieter erfolgreich im Nachprüfungsverfahren gewehrt. Die VK Nordbayern hat dem Vorgehen der Vergabestelle unter Verweis auf die neue Regelung in der Vergabeordnung eine klare Absage erteilt.
§ 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A 2009 bestimmt:
„Fehlen geforderte Erklärungen oder Nachweise und wird das Angebot nicht entsprechend Nummern 1 oder 2 ausgeschlossen, verlangt der Auftraggeber die fehlenden Erklärungen oder Nachweise nach. Diese sind spätestens innerhalb von 6 Kalendertagen nach Aufforderung durch den Auftraggeber vorzulegen. Die Frist beginnt am Tag nach der Absendung der Aufforderung durch den Auftraggeber. Werden die Erklärungen oder Nachweise nicht innerhalb der Frist vorgelegt, ist das Angebot auszuschließen.“
Pflicht zur Nachforderung
Wie die VK Nordbayern somit für den Bereich der VOB/A 2009 klargestellt hat, muss sich die Vergabestelle an die Regelungen der Vergabeordnung halten und ist verpflichtet, nach Angebotsabgabe vorgelegte Erklärungen oder Nachweise zu werten. Ausgenommen sind nach wie vor Erklärungen zu fehlenden Preisangaben, außer, es handelt sich um unwesentliche Einzelpositionen.
Übrigens hätte vorliegend die VK Nordbayern auch bei Anwendung der alten Fassung der VOB/A 2006 einen Ausschluss als nicht gerechtfertigt angesehen, da es sich – so die VK – bei den Besonderen Vertragsbedingungen um eine vorformulierte Unterlage der Vergabestelle handele, die vom Bieter an keiner Stelle auszufüllen war, so dass das Angebot auch ohne die Unterlage mit den Angeboten der Mitbewerber vergleichbar war.
Übertragbarkeit auf VOL/A 2009?
Offen bleibt, ob die klare und richtige Entscheidung der VK Nordbayern im Rahmen der VOB/A 2009 auch für den Bereich der VOL/A 2009 gilt.
§ 16 Abs. 2 VOL/A bzw. § 19 Abs. 2 VOL/A EG bestimmt, dass „Erklärungen und Nachweise, die auf Anforderung der Auftraggeber bis zum Ablauf der Angebotsfrist nicht vorgelegt wurden, bis zum Ablauf einer zu bestimmenden Nachfrist nachgefordert werden können“ und trifft damit im Gegensatz zu § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A keine eindeutige Aussage, ob eine Verpflichtung der Vergabestelle zur Nachforderung von Unterlagen besteht.
Im Sinne der mit der Vergaberechtsreform gewünschten Harmonisierung und Vereinheitlichung der Vergabeordnungen bleibt zu hoffen, dass sich bei den Vergabekammern die klare Aussage der VK Nordbayern auch für den Bereich der VOL/A 2009 durchsetzt.
Die Autorin Monika Prell ist bei der Bitkom Servicegesellschaft mbH im Bereich Vergaberecht für „Bitkom Consult – Öffentliche Aufträge“ zuständig. Sie ist Rechtsanwältin und berät und unterstützt Unternehmen der ITK-Branche bei öffentlichen Ausschreibungen. Mehr Informationen finden Sie im Autorenverzeichnis.
Monika Prell
Monika Prell ist Fachanwältin für Vergaberecht und Partnerin bei der Kanzlei SammlerUsinger in Berlin. Sie verfügt über umfangreiche Erfahrung im Vergaberecht und berät sowohl öffentliche Auftraggeber bei der Vorbereitung, Konzeption und Gestaltung sowie der anschließenden Durchführung von Vergabeverfahren als auch Bieterunternehmen umfassend bei allen vergaberechtlichen Fragestellungen. Darüber hinaus vertritt Monika Prell ihre Mandanten vor den Vergabenachprüfungsinstanzen. Neben ihrer anwaltlichen Tätigkeit ist sie als Kommentarautorin tätig, veröffentlicht regelmäßig Fachaufsätze und führt laufend Seminare und Workshops im Vergaberecht durch.
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