Viele große gesetzliche Krankenkassen schließen Rabattverträge über nicht mehr von Patenten geschützte Medikamente mit drei Vertragspartnern ab. Damit soll die Versorgungssicherheit erhöht und die Notwendigkeit einer – manchmal medizinisch problematischen – Umstellung der Versicherten auf andere Medikamente verhindert werden. Diese bisher von den Nachprüfungsinstanzen für zulässig gehaltene Praxis wird jetzt von einer Entscheidung der zweiten Vergabekammer des Bundes (VK 2 – 58/11) in Frage gestellt.
Hintergrund
Gem. § 130a Abs. 8 SGB V können gesetzliche Krankenkassen mit pharmazeutischen Unternehmern Rabatte für die zu zahlenden Medikamente vereinbaren. Dies geschieht im Bereich der sog. generischen Medikamente mit Hilfe des Vergaberechts. Denn nur generische Medikamente werden nicht (mehr) durch Patente geschützt. Folglich besteht auch nur bei den generischen Medikamenten ein Preiswettbewerb, da andernfalls Patente Quasi-Monopole gewähren und damit andere Unternehmen von dem Markt ausschließen.
Die Gegenleistung der Krankenkassen für die Rabatte besteht darin, dass sie den Bedarf ihrer Versicherten an den ausgeschriebenen medizinischen Wirkstoffen vorwiegend mit Medikamenten ihrer Rabattvertragspartner decken (sog. Umsteuerung).
Drei-Partnermodell
Die mit Hilfe der Rabatte erzielten Einsparungen sind für die Krankenkassen von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung. Dennoch schmälern viele Krankenkassen ihre Einsparungen durch die Verwendung des sog. Drei-Partnermodells. Bei diesem Modell erteilt die Krankenkasse nicht nur dem wirtschaftlichsten Bieter den Zuschlag, sondern erteilt den drei günstigsten Anbietern Zuschläge.
Vorteile
Die Krankenkassen versprechen sich von diesem Modell eine Reihe von Vorteilen: Neben der oft genannten höheren Versorgungssicherheit (Lieferunfähigkeit des Vertragspartners) soll den Versicherten auch ein ständiger Wechsel des Medikaments erspart werden: Bei drei Partnern ist die Wahrscheinlichkeit recht hoch, dass ein Versicherter, der auf das Medikament eines Unternehmens eingestellt ist, bei der Neuausschreibung nicht umgestellt werden muss, weil das Medikament von einem erneut bezuschlagten Anbieter stammt.
Ein Wechsel des Rabattpartners ist vor allem bei älteren Menschen – selbst wenn nur die Farbe der Tabletten wechselt – ein erhebliches Problem. Dieses umgehen zu können, wiegt aus Sicht der Krankenkassen die höheren Preise auf; hinzu kommt, dass die Ärzte den Austausch gegen ein rabattiertes Medikament seltener ausschließen, wenn das von ihnen präferierte Medikament zu den rabattierten Präparaten gehört – insgesamt steigt also auch die Umsetzungsquote. Das ist sowohl unmittelbar günstiger für die Krankenkassen als auch mittelbar für die Folgevergaben wichtig, da eine hohe Umsteuerungsquote bessere Rabatte garantiert.
Kritik am Drei-Partner-Modell
Aus Bietersicht ist das Drei-Partnermodell kritisiert worden. Insbesondere wurde die schwierige Kalkulation angegriffen, da der Zuschlagsempfänger keinen garantierten Anteil an den abgegebenen Packungen erhält. Andere Bieter hingegen scheinen das Drei-Partner-Modell dem „Alles-oder-Nichts“ des Ein-Partner-Modells vorzuziehen.
Praktische Umsetzung
In der praktischen Umsetzung wird von den Krankenkassen in die Software der Ärzte und Apotheker gemeldet, dass für die Krankenkasse bei bestimmten Wirkstoffen einen Rabattvertrag mit diesen Unternehmen besteht. Der Apotheker ist verpflichtet, dann eines der so gekennzeichneten Medikamente abzugeben, selbst wenn auf dem Rezept ein anderes – aber wirkstoffgleiches -Produkt verordnet wurde; diese Ersetzung kann der Arzt aber ausschließen, wenn dies medizinisch geboten ist (aut idem). Sollten mehrere rabattierte Arzneimittel für den Austausch in Frage kommen, so entscheidet ausschließlich der Apotheker, welches Mittel er auswählt. Kenntnis von den konkreten Rabatten hat er nicht. Er kann also nicht erkennen, welches der Medikamente für die Krankenkasse am günstigsten ist.
Schon in der Vergangenheit hat sich die Vergabekammer des Bundes kritisch zu den Drei-Partner-Modellen bei der Medikamentenversorgung geäußert (VK 2- 22/09), folgte dann aber dem Beschluss des damals noch zuständigen LSG NRW (L 21 KR 51/09), das Drei-Partner-Modelle für zulässig erachtet hat. Mit dem Wechsel der Zuständigkeit von den Landessozialgerichten zu den Oberlandesgerichten ist die Frage der Zulässigkeit von Drei-Partner-Modellen wieder akut geworden.
Die Entscheidung der 2. VK Bund (VK 2 – 58/11)
Die Zukunft des Drei-Partnermodells stellt die zweite Vergabekammer des Bundes nun erneut in Frage. Um es gleich vorab zu sagen: Die VK verwirft das Drei-Partner-Modell keineswegs vollständig. Es erläutert ausführlich seine Bedenken, um dann die Frage der vergaberechtlichen Möglichkeit des Drei-Partner-Modells offenzulassen und dem Nachprüfungsantrag aus anderen Gründen stattzugeben. Damit ist eine erhebliche Rechtsunsicherheit eingetreten, die hoffentlich bald vom OLG Düsseldorf beendet werden wird.
Nach Ansicht der zweiten Vergabekammer ist der Auswahlmechanismus, nach dem die Abrufe auf die Vertragspartner verteilt werden, vergaberechtlich problematisch. Bei dem Drei-Partner-Modell in seiner jetzigen Gestaltung entscheidet ausschließlich der Apotheker, welcher Rabattvertragspartner die individuelle Packung liefern darf. Geregelt ist dies in einem Rahmenvertrag, der zwischen den Spitzenverbänden der gesetzlichen Krankenkassen und der Apotheker geschlossen wurde. Er findet seine Rechtsgrundlage in § 129 Abs. 2 SGB V.
Durch diesen Vertrag ist der Apotheker verpflichtet, die Rabattverträge der Krankenkassen zu beachten. Welches Medikament er aber abgibt, wenn mehrere Rabattvertragspartner bereit stehen, regelt der Rahmenvertrag nicht. Hier soll der Apotheker „frei“ pharmazeutische Aspekte einbringen können und die Möglichkeit haben, Patientenwünsche zu berücksichtigen – so wie es auch praktiziert wird, wenn keine Rabattverträge bestehen. Im ungünstigen Fall könnte theoretisch das Szenario eintreten, dass der wirtschaftlich günstigste Rabattvertragspartner einer gesetzlichen Krankenkasse – trotz Zuschlag – keine einzige Packung verkauft, weil die Apotheker seine Medikamente nicht abgeben. Die Kammer zweifelt daran, ob damit ein vergaberechtlich korrekter, transparenter Auswahlmechanismus i.S.d. § 4 Abs. 5 lit a) VOL/A-EG gefunden wurde.
Die Kammer sieht zwar, dass ein Apotheker eine besondere berufs- und sozialversicherungsrechtliche Stellung inne hat. Im Rahmen des auch von den Nachprüfungsinstanzen zu beachtenden Versorgungsauftrags der gesetzlichen Krankenkassen kommt ihm eine wichtige Rolle zu; ihm diese im Rahmen der Rabattverträge zu lassen stellt noch keine Diskriminierung von Unternehmen dar. Es ist zu unterstellen, dass ein Apotheker sich korrekt verhält und nicht nur beeinflusst vom eigenen wirtschaftlichen Gewinn und den Außendiensten der pharmazeutischen Unternehmen willkürlich handelt. Das bedeutet nach Ansicht der Kammer aber noch nicht, dass damit auch die vergaberechtlichen Anforderungen erfüllt sind. Die Kammer argumentiert, dass der Auftraggeber selbst keinen Rahmenvertrag mit mehreren abschließen dürfe, um dann völlig frei aus diesen zu wählen – deshalb dürfe diese Entscheidung auch nicht in vergleichbar freier Weise in die Hände der Apotheker gelegt werden.
Die Antragsgegnerin hatte dagegen vorgebracht, dass die Stellung des Apothekers im System der GKV festgeschrieben sei und von der Krankenkasse gar nicht eingeschränkt werden dürfe. Dem widerspricht die VK mit recht überzeugenden Gründen: Immerhin habe der Apotheker im Ein-Partner-Modell auch keine freie Wahl.
Keine Entscheidung in der Sache
Nach dem die zweite Vergabekammer stolze sieben(!) Seiten rechtliche Ausführungen zu dem Thema gemacht hat, entscheidet sie die Frage aber leider nicht. Sie zieht sich darauf zurück, dass – die Rechtmäßigkeit des Drei-Partner-Modells unterstellt – die konkrete Ausgestaltung der Ausschreibung jedenfalls ein ungewöhnliches Wagnis beinhalte. Die Krankenkasse hätte Vorkehrungen treffen müssen, um den Bietern eine bessere Kalkulationsgrundlage zu bieten – z.B. indem sie nach Umsteuerung zu dem Vertragspartner gestaffelte Preise abgefragt hätte oder sonstige Maßnahmen ergreift, um die Unsicherheiten bei der Kalkulation zu verringern.
Für die gesetzlichen Krankenkassen bedeutet dies, dass sie entweder
– zum 1-Partner-Modell zurückkehren müssen oder
– das Risiko eingehen, eine doppelte Hürde zu nehmen: Erstens, ob das Drei-Partner-Modell überhaupt zulässig ist, und wenn ja, ob die unerprobten Vorkehrungen zur Verbesserung der Kalkulationssicherheit vor den Augen der VK Bund Bestand haben.
Man darf gespannt sein, wie die gesetzlichen Krankenkassen auf die Situation reagieren, bis Rechtssicherheit besteht. Der Beschluss ist – soweit bekannt – noch nicht rechtskräftig.
Die Entscheidung ist inzwischen beim Bundeskartellamt abrufbar unter diesem Link.
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