In diesem letzten Teil der Serie geht es um die Wertung von Nebenangeboten. Auch bei Nebenangeboten ist das regelmäßig die „heißeste“ Phase im Vergabeverfahren und – wen wundert’s – auch hier kann man einiges richtig bzw. falsch machen. Besonders eine Untiefe gilt es zu beachten, nämlich die Frage, ob eine Gleichwertigkeitsprüfung von Nebenangeboten bei Oberschwellenvergaben europarechtlich überhaupt noch zulässig ist, dazu unten 2. b) (2).
Aber nun der Reihe nach (die bei der Wertung auch beachtet werden sollte):
1. Formale Gesichtspunkte – Zwingende Ausschlussgründe
Formal müssen Nebenangebote im Wesentlichen die gleichen Anforderungen erfüllen wie Hauptangebote. Einige Besonderheiten gilt es zu erwähnen:
a) Wertungsvoraussetzungen aus Bekanntmachung / Vergabeunterlagen
Zur Frage, ob und in welchen Fällen Nebenangebote ausdrücklich zugelassen sein müssen, um gewertet werden zu können, verweise ich auf den ersten Beitrag dieser Serie.
Oberhalb der Schwellenwerte müssen in den Vergabeunterlagen ausreichende Mindestanforderungen definiert sein, damit Nebenangebote überhaupt gewertet werden dürfen. Näheres hierzu finden Sie im zweiten Beitrag dieser Serie .
Und schließlich stellt sich die Frage, ob die gewählten Zuschlagskriterien eine Wertung von Nebenangeboten zulassen, insbesondere wenn als einziges Zuschlagskriterium der Preis genannt ist. Diese Frage hatte Frau Dr. Pfarr im dritten Teil der Serie beleuchtet.
Sie sehen also: wenn das Verfahren nicht von Anfang an richtig „aufgezogen“ ist, um die Wertung von Nebenangeboten zu ermöglichen, ist zu diesem späten Zeitpunkt der Zug abgefahren. Dann können auch tatsächlich eingegangene, u. U. für den Auftraggeber interessante Nebenangebote nicht gewertet werden.
b) Unterschrift
Nebenangebote müssen nicht selbst unterschrieben sein. Voraussetzung für die Wertung ist jedoch, dass auf sie im Hauptangebot bzw. Begleitschreiben Bezug genommen worden ist, § 13 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 VOB/A i. V. m. § 16 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) VOB/A, § 19 Abs. 3 lit. e) EG VOL/A, § 16 Abs. 3 lit. e) VOL/A.
c) Kennzeichnung im Bereich VOB/A
Nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 f) VOB/A ist ein Nebenangebot auszuschließen, das nicht auf besonderer Anlage gemacht und als solches deutlich gekennzeichnet ist, § 13 Abs. 3 Satz 2 VOB/A. Aus diesem Grund können regelmäßig Hauptangebote, die die Vergabeunterlagen abändern, nicht in zulässige Nebenangebote „umgedeutet“ werden.
Nebenangebote, deren Anzahl nicht an der im Angebotsschreiben dafür vorgesehenen Stelle aufgeführt sind, § 13 Abs. 3 Satz 1 VOB/A, sind dagegen nicht zwingend auszuschließen, es sei denn, dies ist in den Vergabeunterlagen so bestimmt, § 16 Abs. 1 Nr. 1 b) VOB/A i. V. m. § 13 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 VOB/A.
2. Prüfung
a) Vergaben unterhalb der Schwellenwerte
Bei Vergaben unterhalb der Schwellenwerte ist zu prüfen, ob die Nebenangebote funktional, qualitativ und quantitativ gleichwertig sind. Die Gleichwertigkeit ist vom Bieter mit dem Nebenangebot durch Vorlage geeigneter Unterlagen mit dem Angebot nachzuweisen. Der Auftraggeber ist regelmäßig nicht verpflichtet, zur Prüfung der Gleichwertigkeit selbst zu recherchieren. Allerdings stellt sich die Frage, ob solche Gleichwertigkeitsnachweise nach § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A nachgefordert werden müssen. Das lässt sich wohl jedenfalls dann annehmen, wenn der Nachweis der Gleichwertigkeit in den Bewerbungsbedingungen oder an anderer Stelle der Vergabeunterlagen ausdrücklich gefordert worden war („geforderter Nachweis“). Auftraggeber sind im Übrigen im Regelfall nur berechtigt, aber nicht verpflichtet, Aufklärungsgespräche über Nebenangebote zu führen. Als Bieter macht man daher besser von vornherein alles richtig!
b) Vergaben oberhalb der Schwellenwerte
(1) Mindestanforderungen
Hier ist zunächst zu prüfen, ob eingegangene Nebenangebote den ausgeschriebenen Mindestanforderungen genügen. Ist dies nicht der Fall, sind sie nach § 16a Abs. 3 VOB/A, § 19 Abs. 3 lit. g) EG VOL/A zwingend auszuschließen.
(2) Gleichwertigkeit
Die wesentliche Fragestellung im Bereich der Wertung von Nebenangeboten betrifft die Frage, ob Nebenangebote bei Oberschwellenvergaben abgesehen von der Erfüllung der Mindestanforderungen zusätzlich daraufhin geprüft werden dürfen oder sogar müssen, ob sie gleichwertig sind.
Auch nach der Entscheidung des EuGH vom 16.10.2003, C-421/01 – Traunfellner, geht die wohl h. M in der obergerichtlichen Rechtsprechung noch davon aus, dass die Gleichwertigkeit zusätzlich zur Einhaltung der Mindestanforderungen geprüft werden darf und sogar muss.
Die Prüfung der Mindestanforderungen wird ausdrücklich nicht als Ersatz der Gleichwertigkeit bezeichnet (OLG Brandenburg, Verg W 10/08 und Verg W 16/10) oder gar als Voraussetzung für die Gleichwertigkeitsprüfung angesehen (OLG Celle, 13 Verg 6/10). Auch das OLG Schleswig (1 Verg 10/10) sieht die Gleichwertigkeitsprüfung auf der Stufe vor der Wertung als erforderlich an. Nicht gleichwertige Nebenangebote sollen weiterhin auszuschließen sein (OLG Frankfurt/Main, 11 Verg 3/07 und 4/07). Das OLG München hat in seiner älteren Rechtsprechung (Verg 16/09) ebenfalls noch Mindestanforderungen und Gleichwertigkeit parallel geprüft. Diese Rechtsprechung hat sich jedoch inzwischen geändert (OLG München Verg 16/10 und Verg 5/11). Die Gleichwertigkeitsprüfung ist nach dem OLG München für Nebenangebote oberhalb der Schwellenwerte demnach nicht angezeigt.
Untersucht man das Urteil Traunfellner des EuGH näher, ist allein diese neue Rechtsprechung des OLG München mit den europäischen Vorgaben vereinbar. Der EuGH hat in der Entscheidung festgehalten:
„25
Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Artikel 19 der Richtlinie, wonach ein Auftraggeber die Mindestanforderungen zu erläutern hat, die Änderungsvorschläge erfüllen müssen, entsprochen ist, wenn die Verdingungsunterlagen lediglich auf eine nationale Rechtsvorschrift verweisen, die das Kriterium aufstellt, dass mit dem Alternativvorschlag die Erbringung einer qualitativ gleichwertigen Leistung wie derjenigen sichergestellt ist, die Gegenstand der Ausschreibung ist, ohne näher zu definieren, anhand welcher konkreten Vergleichsparameter diese Gleichwertigkeit zu überprüfen ist.
…
27
Bereits nach dem Wortlaut von Artikel 19 Absatz 2 der Richtlinie ist ein Auftraggeber, der nicht ausgeschlossen hat, dass Änderungsvorschläge vorgelegt werden, verpflichtet, in den Verdingungsunterlagen die Mindestanforderungen zu erläutern, die diese Änderungsvorschläge erfüllen müssen.
28
Somit erfüllt die in den Verdingungsunterlagen vorgenommene Verweisung auf eine nationale Rechtsvorschrift die Verpflichtung nach Artikel 19 Absatz 2 der Richtlinie nicht. …
29
Denn nur eine Erläuterung in den Verdingungsunterlagen ermöglicht den Bietern in gleicher Weise die Kenntnis von den Mindestanforderungen, die ihre Änderungsvorschläge erfüllen müssen, um vom Auftraggeber berücksichtigt werden zu können. Es geht dabei um eine Verpflichtung zur Transparenz, die die Beachtung des Grundsatzes der Gleichbehandlung der Bieter gewährleisten soll, der bei jedem von der Richtlinie erfassten Vergabeverfahren für Aufträge einzuhalten ist …..
30
Angesichts der vorstehenden Erwägungen ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Artikel 19 der Richtlinie, wonach ein Auftraggeber die Mindestanforderungen zu erläutern hat, die Änderungsvorschläge erfüllen müssen, nicht entsprochen ist, wenn die Verdingungsunterlagen lediglich auf eine nationale Rechtsvorschrift verweisen, die das Kriterium aufstellt, dass mit dem Alternativvorschlag die Erbringung einer qualitativ gleichwertigen Leistung wie derjenigen sichergestellt ist, die Gegenstand der Ausschreibung ist.“
(Hervorhebungen hinzugefügt)
Es wäre m. E. zu kurz gesprungen, wenn man aus diesen Ausführungen nur entnähme, dass der Fehler in dem Verweis auf eine außerhalb der Vergabeunterlagen existierende Rechtsnorm bestand. Das haben Rechtsnormen nun einmal so an sich, ohne deswegen alle intransparent zu sein. Die Beanstandung des EuGH, und das wird aus den hervorgehobenen Passagen deutlich, ging vielmehr dahin, dass die Rechtsnorm nicht näher definierte, anhand welcher konkreten Vergleichsparameter diese Gleichwertigkeit zu überprüfen ist, und daher die Mindestanforderungen nicht „erläuterte“. Aus diesen Aussagen des EuGH ergibt sich m. E. Folgendes:
1.
Gleichwertigkeit ist nach den Aussagen des EuGH kein von den Mindestanforderungen zu trennendes Kriterium. Der EuGH stellt nämlich an das Gleichwertigkeitskriterium die an Mindestanforderungen gerichteten Anforderungen.
2.
Gleichwertigkeit kann aber eine Mindestanforderung sein. Dann reicht es jedoch nicht aus, diese Anforderung ohne nähere Definition in einer Rechtsnorm (Traunfellner) oder in den Vergabeunterlagen – auch als „Mindestanforderung“ – (von nationalen Gerichten mehrfach entschieden) zu stellen. Erst recht kann es nicht ausreichen, nicht einmal die Anforderung der Gleichwertigkeit zu formulieren, sie aber dennoch bei Nebenangeboten zu prüfen. Vielmehr muss in den Vergabeunterlagen klargestellt sein, anhand welcher konkreten Vergleichsparameter diese Gleichwertigkeit zu überprüfen ist. Es muss m. a. W. „erläutert“ werden, was der Auftraggeber unter Gleichwertigkeit versteht.
Die oben zitierte neuere Rechtsprechung des OLG München scheint in diese Richtung zu gehen. Ob sich die h. M. in der Rechtsprechung auch in diese Richtung bewegen wird, ist nicht abzuschätzen. Es kann also gut sein, dass man mit einer von den Mindestanforderungen getrennten Gleichwertigkeitsprüfung auch weiterhin „durchkommt“. Dennoch sollte man als Vergabepraktiker, gerade auf Auftraggeberseite, dieses Problem auf dem Schirm haben, und durch entsprechende Gestaltung der Vergabeunterlagen vorsorgen. Ich wünsche gutes Gelingen!
Der Autor Dr. Mathias Mantler ist Rechtsanwalt der Sozietät Kaufmann Lutz Rechtsanwaltsgesellschaft mbh, München. Daneben unterrichtet er das Vergaberecht im Rahmen von Masterstudiengängen an der TU München sowie der Hochschule Augsburg. Mehr Informationen finden Sie im Autorenverzeichnis.
Thema im Deutschen Vergabenetzwerk (DVNW) diskutieren.
Dr. Mathias Mantler
Der Autor Dr. Mathias Mantler ist Fachanwalt für Vergaberecht und Partner der Sozietät LUTZ |ABEL Rechtsanwalts PartG mbB und seit über 20 Jahren im Vergaberecht tätig. Er hat seinen Schwerpunkt in der projektbegleitenden Beratung von Öffentlichen Auftraggebern und Unternehmen im Zusammenhang mit Beschaffungsvorhaben insbesondere in den Bereichen Infrastruktur, Health Care, Forschung und Entwicklung sowie IT/Digitalisierung sowie in der Vertretung von Auftraggebern und Unternehmen in Vergabenachprüfungsverfahren. Zudem ist er Autor diverser Fachveröffentlichungen im Vergaberecht und Dozent in vergaberechtlichen Seminaren und Lehrveranstaltungen.
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