§§ 1 IFG, § 14 Abs.3 VOL/A 2009
Im Rahmen der “Fachtagung IT-Beschaffung” Mitte September in Berlin wurde eine interessante Frage aufgrund einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom Mai diesen Jahres diskutiert: hat der Bieter nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) ein Akteneinsichtsrecht bei öffentlichen Vergabeverfahren?
Der Vorteil liegt auf der Hand: Akteneinsicht wäre auch bei nationalen Verfahren, also unterhalb des Schwellenwertes (VOL/A: 193.000,- € netto/VOB/A: 4.845.000,- € netto), möglich. Aber auch bei EU-weiten Verfahren hätte man eine Alternative zum – oft nicht gewünschten – Klageweg, da hier erst ein Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer dem Bieter Akteneinsicht gewährt.
Ob und welche Möglichkeiten es gibt, wird klar, wenn man sich näher mit der Begründung des VG Stuttgart auseinandersetzt.
Der Fall
Ein Büromaterialhändler hatte sich im Jahr 2006 erfolglos an einer Ausschreibung über die Lieferung von Drucker-Verbrauchsmaterial beteiligt. Nachdem er auf Nachfrage in 2009 die Auskunft erhalten hatte, der Vertrag wäre wegen des Nichterreichens der vertraglich vereinbarten Mindestmenge noch nicht beendet, wollte er dies anhand der Lieferanten-Reportings, die unter anderem Aussagen über die gelieferten Mengen enthalten, kontrollieren und hat Akteneinsicht nach dem Informationsfreiheitsgesetz gemäß § 1 IFG gefordert. Nachdem ihm diese mit Verweis auf das Vertraulichkeitsgebot im Vergaberecht (§ 22 Nr.6 Abs.1 VOL/A 2006/§ 14 Abs.3 VOL/A 2009) verweigert wurde, hat er unter Berufung auf § 1 IFG vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart auf Akteneinsicht bezüglich der Lieferanten-Reportings geklagt – und Recht bekommen.
Die Entscheidung
Nach § 1 IFG hat jeder (Privatperson/Unternehmen) gegenüber Behörden des Bundes einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen – also eigentlich auch zu Vergabeunterlagen.
§ 1 IFG bestimmt:
(1) Jeder hat nach Maßgabe dieses Gesetzes gegenüber den Behörden des Bundes einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen. Für sonstige Bundesorgane und -einrichtungen gilt dieses Gesetz, soweit sie öffentlich-rechtliche Verwaltungsaufgaben wahrnehmen. Einer Behörde im Sinne dieser Vorschrift steht eine natürliche Person oder juristische Person des Privatrechts gleich, soweit eine Behörde sich dieser Person zur Erfüllung ihrer öffentlich-rechtlichen Aufgaben bedient.
(2) Die Behörde kann Auskunft erteilen, Akteneinsicht gewähren oder Informationen in sonstiger Weise zur Verfügung stellen. Begehrt der Antragsteller eine bestimmte Art des Informationszugangs, so darf dieser nur aus wichtigem Grund auf andere Art gewährt werden. Als wichtiger Grund gilt insbesondere ein deutlich höherer Verwaltungsaufwand.
(3) Regelungen in anderen Rechtsvorschriften über den Zugang zu amtlichen Informationen gehen mit Ausnahme des § 29 des Verwaltungsverfahrensgesetzes und des § 25 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch vor.
Das VG bejaht, dass auch Lieferanten-Reportings nach Sinn und Zweck der Verwendung „amtlichen Informationen“ gemäß IFG sind, die der Kontrolle der Erfüllung des abgeschlossenen Rahmenvertrages dienen.
Bei der Frage, ob nicht das IFG von vorrangigen Vergabevorschriften verdrängt wird (so in § 1 Abs. 3 IFG geregelt), differenziert das VG Stuttgart:
Nur wenn in gleicher Weise wie im IFG eine Regelung zum „Zugang zu amtlichen Informationen“ getroffen wird, tritt die „Sperrwirkung“ ein.
Für laufende Vergabeverfahren ist dies im Rahmen der vertraulichen Verwahrpflicht für Angebote und ihre Anlagen sowie für die Dokumentationseröffnung in § 14 Abs.3 VOL/A 2009/§ 17 Abs. 3 EG VOL/A 2009 geregelt. Die Vorschriften gelten somit vorrangig auch nach Abschluss des Vergabeverfahrens – allerdings nur bezogen auf „Angebote und ihre Anlagen“ sowie auf die „Dokumentation über die Angebotseröffnung“.
In § 14 Abs. 3 VOL/A bzw. § 17 Abs. 3 EG VOL/A gibt es aber keine Vorgaben zum Umgang mit Unterlagen, die dem Auftraggeber erst nach dem Abschluss des Vergabeverfahrens im Rahmen der Vertragserfüllung zugehen. Somit enthält die VOL/A keine vorrangige Regelung, dass sämtliche Unterlagen bei der Vertragsabwicklung vertraulich zu behandeln sind und damit die Akteneinsicht komplett zu verweigern.
Dazu das VG Stuttgart:
„Die Regelung [des § 14 Abs.3 VOL/A 2009, Anm. d. Verf.] bezieht sich jedoch ausdrücklich ebenfalls nur auf die „Angebote und ihre Anlagen“ sowie auf die „Dokumentation über die Angebotseröffnung“. Sie enthält demnach keine Vorgaben für den Umgang mit Unterlagen, die dem Auftraggeber erst nach dem Abschluss des Vergabeverfahrens im Rahmen der Vertragserfüllung zugehen (wie hier die verlangten Lieferanten-Reportings) und begründet damit nach ihrem klaren Wortlaut offensichtlich auch keine Pflicht des Auftraggebers zur vertraulichen Behandlung der Dokumentation der späteren Vertragsabwicklung.
Diese Vorschriften der VOL/A regeln demnach den Informationszugang in Bezug auf die dem Auftraggeber innerhalb und außerhalb eines Vergabeverfahrens zugehenden Unterlagen weder vollumfänglich noch abschließend und entfalten folglich auch keine Sperrwirkung i.S.d. § 1 Abs. 3 IFG gegenüber dem hier geltend gemachten Informationszugangsanspruch aus § 1 Abs. 1 IFG.“
Fazit
Somit ist anhand der Entscheidung wie folgt zu unterscheiden:
1) Während eines laufenden Vergabeverfahrens ist § 14 Abs.3 VOL/A (bzw. § 17 Abs.3 EG VOL/A) vorrangige Regelung zu dem IFG, es besteht grundsätzlich kein Akteneinsichtsrecht nach § 1 IFG (§ 1 Abs.3 IFG). Akteneinsicht ist nach wie vor nur bei EU-weiten Ausschreibungen im Rahmen von § 111 GWB möglich.
2) Nach Abschluss des Vergabeverfahrens hat allerdings ein Bieter unter Umständen nach § 1 IFG das Recht, Informationen zur Vertragsabwicklung zu bekommen, sofern diese die Kontrolle der reinen Vertragsabwicklung und nicht die Angebote/Anlagen der anderen Bieter bzw. die Angebotsöffnung betreffen.
Das IFG kann somit durchaus Möglichkeiten bieten, um z.B. den Ablauf von Rahmenverträgen bzw. die ordnungsgemäße Vertragsabwicklung zu kontrollieren.
Das Urteil des VG Stuttgart ist noch nicht rechtskräftig, wir werden weiter berichten, ob und in welchem Umfang das IFG gegenüber Bundesbehörden bei Vergabeverfahren Anwendung findet.
Die Autorin Monika Prell ist für den Bereich der Öffentlichen Ausschreibungen/Vergaberecht bei „Bitkom Consult “ zuständig. „Bitkom Consult – Vergaberecht“ coacht, berät und unterstützt insbesondere Unternehmen der ITK-Branche bei öffentlichen Ausschreibungen. Mehr Informationen finden Sie im Autorenverzeichnis.
Thema im Deutschen Vergabenetzwerk (DVNW) diskutieren.
Monika Prell
Monika Prell ist Fachanwältin für Vergaberecht und Partnerin bei der Kanzlei SammlerUsinger in Berlin. Sie verfügt über umfangreiche Erfahrung im Vergaberecht und berät sowohl öffentliche Auftraggeber bei der Vorbereitung, Konzeption und Gestaltung sowie der anschließenden Durchführung von Vergabeverfahren als auch Bieterunternehmen umfassend bei allen vergaberechtlichen Fragestellungen. Darüber hinaus vertritt Monika Prell ihre Mandanten vor den Vergabenachprüfungsinstanzen. Neben ihrer anwaltlichen Tätigkeit ist sie als Kommentarautorin tätig, veröffentlicht regelmäßig Fachaufsätze und führt laufend Seminare und Workshops im Vergaberecht durch.
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