VKR Artikel 1 Abs. 2 lit. a
Die Anwendbarkeit des europäischen Vergaberechts bei der interkommunalen Zusammenarbeit mehrerer öffentlicher Auftraggeber ist nach wie vor im Fluss und von einer abschließenden Klärung noch weit entfernt. Das OLG Düsseldorf hat mit Beschluss vom 6. Juli 2011 (Vergabe 39/11) dem EuGH im Wege eines Vorabentscheidungsverfahrens die Frage vorgelegt, ob so genannte delegierende Vereinbarungen zwischen Hoheitsträgern öffentliche Aufträge im Sinne des europäischen Vergaberechts darstellen.
1. Vorlagefrage
Der Vergabesenat hat dem Gerichtshof insoweit die nachfolgende Frage zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts zur Vorabentscheidung vorgelegt:
„Ist unter einem „öffentlichen Auftrag“ im Sinne von Art. 1 Abs. 2 lit. a der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rats vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge auch ein Vertrag zwischen zwei Gebietskörperschaften zu verstehen, durch den eine von ihnen der anderen eine eng begrenzte Zuständigkeit gegen Kostenerstattung überträgt, insbesondere dann, wenn die übertragene Aufgabe nicht die hoheitliche Tätigkeit als solche, sondern nur Hilfsgeschäfte betrifft?“
2. Sachverhalt und Entscheidung der Vergabekammer
Im zugrunde liegenden Sachverhalt hatten ein Landkreis und eine Stadt in Nordrhein-Westfalen eine Vereinbarung über die Reinigung der auf dem städtischen Gebiet gelegenen Gebäude des Landkreises durch eine städtische Tochtergesellschaft getroffen.
Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag zurückgewiesen. Zur Begründung führte sie an, dass es sich um eine so genannte delegierende Vereinbarung handelt, mit der die Zuständigkeit für die Erfüllung einer bestimmten Aufgabe von einem Hoheitsträger auf einen anderen Hoheitsträger übertragen werde. Diese Fallkonstellation der interkommunalen Kooperation unterfalle nicht dem Vergaberecht.
3. Zur Erinnerung: Entscheidung des EuGH in Sachen „Stadtreinigung Hamburg“
In der jüngsten Entscheidung des Gerichtshofs zur interkommunalen Zusammenarbeit in der Rechtssache „Stadtreinigung Hamburg“ geht der EuGH zwar zunächst davon aus, dass das Vergaberecht grundsätzlich auch für Leistungen gilt, die sich Gebietskörperschaften bei anderen öffentlichen Auftraggebern beschaffen. Allerdings nimmt der EuGH erstmals den für die kommunale Praxis bedeutsamen Fall einer nicht-institutionalisierten interkommunalen Zusammenarbeit auf der Grundlage eines öffentlich-rechtlichen Vertrags vom Anwendungsbereich des europäischen Vergaberechts aus (EuGH, Urteil vom 09.06.2009, Rs. C-480/06, NZBau 2009, 527).
Gegenstand des entschiedenen Falls war die Übertragung der Abfallbeseitigung von vier niedersächsischen Landkreisen auf die Stadtreinigung Hamburg, einem als Anstalt des öffentlichen Rechts verfassten öffentlichen Unternehmen, auf rein vertraglicher Basis ohne vorherige europaweite Ausschreibung.
Aus dem Urteil lässt sich entnehmen, dass der EuGH eine interkommunale Zusammenarbeit jedenfalls bei Vorliegen folgender Kriterien als vergaberechtsfrei ansieht:
(1) Erfüllung einer im Allgemeininteresse liegenden Aufgabe bzw. von Aufgaben, die mit der Verfolgung von im öffentlichen Interesse liegenden Zielen zusammenhängen;
(2) die Kooperation erfolgt ausschließlich zwischen öffentlichen Stellen ohne die Beteiligung Privater;
(3) die Kooperation erfolgt auf vertraglicher Grundlage oder in Form einer institutionalisierten Zusammenarbeit wie beispielsweise einem Zweckverband.
4. Rechtliche Würdigung des OLG Düsseldorf
Der Vergabesenat bringt im Vorlagebeschluss seine Überzeugung zum Ausdruck, dass vieles dafür spricht, dass mit der von dem Landkreis und der Stadt gewählten Vertragskonstruktion das Vergaberecht umgangen werden solle.
Das OLG Düsseldorf scheint zwar grundsätzlich an der bereits in früheren Entscheidungen angelegten Unterscheidung zwischen delegierenden (Übertragung einer Aufgabe mit der Folge eines Wechsels der Zuständigkeit) und mandatierenden Vereinbarungen festhalten zu wollen (vgl. Beschluss vom 05.05.2004 – VII-Verg 78/02; ebenso OLG Frankfurt a.M. Beschluss vom 07.09.2004 – 11 Verg 11/04; a.A.: OLG Naumburg, Beschlüsse vom 03.11.2005 – 1 Verg 9/05 und vom 02.03.2006 – 1 Verg 1/06).
Obwohl es sich im zugrunde liegenden Fall um eine Vereinbarung zwischen Gebietskörperschaften handelt, ist der Senat jedoch der Auffassung, dass es sich nicht um eine horizontale Vereinbarung zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe handelt. Die Voraussetzungen, die der EuGH in der Entscheidung „Stadtreinigung Hamburg“ aufgestellt hat, lägen daher nicht vor. Vielmehr handele es sich um eine vertikale Vereinbarung, weil der Landkreis die Stadt schlicht mit der Durchführung von Reinigungsarbeiten beauftragen möchte. Unabhängig von der formalen Konstruktion liege ein bloßes Hilfsgeschäft zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe vor:
„Die vorliegende Fallkonstellation einer kommunalen Zusammenarbeit zeichnet sich dadurch aus, dass sie wirtschaftlich praktisch identisch ist mit einer der Richtlinie 2004/18/EG unterliegenden Beauftragung […] gegen Entgelt. Ob vor diesem Hintergrund entscheidend ist, dass die Aufgabe […] delegiert und sie mit ihr nicht nur mandatiert wird, ist zweifelhaft. Diese Unterscheidung spielt – anders als bei Vereinbarungen, die unmittelbar die Tätigkeit der Kommunen nach außen hin betreffen – bei bloßen Hilfsgeschäften keine Rolle. Dass mit Hilfe der Vereinbarung eine Zuständigkeitsverschiebung erfolgt, ist damit rein formal. Da die gewählte Art der Auftragserfüllung wirtschaftlich gleiche Folgen zeitigt, spricht nach Auffassung des Senates vieles dafür, die von dem Antragsgegner und der Beigeladenen tatsächlich gewählte Form als bloße Gestaltung anzusehen, „mit der das Vergaberecht umgangen werden sollte“ (vgl. EuGH, Urteil vom 09.06.2009 – C-480/06 Rdnr. 48).“
5. Fazit
Die Entscheidung des EuGH wird erhebliche Auswirkungen für die Frage haben, unter welchen Voraussetzungen eine vergaberechtsfreie Kooperation öffentlicher Auftraggeber im Wege einer interkommunalen Zusammenarbeit künftig möglich sein wird. Bis zu dieser Entscheidung bleibt die Rechtsprechung in Sachen „Stadtreinigung Hamburg“ sowie die vorangegangene Rechtsprechung des Gerichtshofs der maßgebliche Bezugspunkt.
Aus rechtlicher Sicht wird insbesondere darauf zu sehen sein, ob und inwieweit der Gerichtshof – über die Entscheidung „Stadtreinigung Hamburg“ hinaus – Maßstäbe entwickelt, die eine sachgerechte Beurteilung interkommunaler Kooperationen losgelöst von den Kriterien der Inhouse-Vergabe ermöglicht. Denn das für Inhouse-Vergabe bestimmte „Kontrollkriterium“ (Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle) ist auf eine Auftragsvergabe in vertikalen Konstellationen (Beauftragung einer Tochter- oder Enkelgesellschaft o.ä.) zugeschnitten, nicht aber auf horizontale Vereinbarungen im Wege der interkommunalen Zusammenarbeit.
Der Autor Dr. Martin Ott ist Rechtsanwalt der Sozietät Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Dort berät und vertritt er insbesondere öffentliche Auftraggeber, aber auch Unternehmen, in allen Fragen des Vergaberechts, ein Schwerpunkt liegt hierbei im Dienstleistungsbereich. Mehr Informationen finden Sie in unserem Autorenverzeichnis.
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Dr. Martin Ott
Der Autor Dr. Martin Ott ist Rechtsanwalt und Partner der Sozietät Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Herr Dr. Ott berät und vertritt bundesweit in erster Linie öffentliche Auftraggeber umfassend bei der Konzeption und Abwicklung von Beschaffungsvorhaben. Auf der Basis weit gefächerter Branchenkenntnis liegt ein zentraler Schwerpunkt in der Gestaltung effizienter und flexibler Vergabeverfahren. Daneben vertritt Herr Dr. Ott die Interessen der öffentlichen Hand in Nachprüfungsverfahren. Er unterrichtet das Vergaberecht an der DHBW und der VWA in Stuttgart, tritt als Referent in Seminaren auf und ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichen. Er ist einer der Vorsitzenden der Regionalgruppe Stuttgart des Deutschen Vergabenetzwerks (DVNW).
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