Nach der Reform ist vor der Reform. Dieses Sprichwort scheint in keinem anderen Gebiet so richtig zu sein wie im Vergaberecht. Kaum gewöhnen wir uns an die neue VOL/A, VOB/A und VOF sind am Horizont bereits neue Änderungen in Sicht. Aktuell und bekannt ist vielen die Umsetzung der Richtlinie zu Vergaben im Verteidigungs- und Sicherheitsbereich (RL 2009/81/EG). Noch nicht allzu bekannt dürfte sein, dass die Europäische Kommission die allgemeinen Vergaberichtlinien vollständig überarbeitet hat und wohl noch im Dezember dem Europäischen Parlament zur Beschlussfassung zuleiten wird. Unser Autor Dr. Roderic Ortner hatte in Brüssel bereits Einblick in die Entwurfsfassung und gibt nachstehend einen kurzen Überblick über einige wichtige Änderungen. Denn beim Vergabeblog lesen Sie es zuerst (Anmk. d. Red.)
Entwurf einer neuen Vergaberichtlinie
Die Kommission hat sowohl die Vergabekoordinierungsrichtlinie (VKR – 2004/18/EG) als auch die Sektorenkoordinierungsrichtlinie (SKR – 2004/17/EG) überarbeitet, die Entwürfe liegen auf Englisch vor. Der nachfolgende Blick ist vorläufig, denn das Europäische Parlament muss noch zustimmen. Ich beschränke mich daher auf eine Zusammenfassung einiger wesentlicher Änderungen in der VKR. Die neue VKR soll nur noch heißen „Directive of the European Parliament and of the Council on public procurement“, also „Vergaberichtlinie“ (VR). Da es sich noch um einen Entwurf handelt, wird sie nachfolgend als „VR-E“ bezeichnet.
Warum die vorweihnachtliche Bescherung?
Der Überarbeitung ist ein langer Entscheidungsprozess vorangegangen, wirklich überraschend ist die Neuauflage also nicht. Hintergrund ist das Bestreben nach einer Vereinfachung und Flexibilisierung des Vergaberechts. Hierzu wurden einige Maßnahmen getroffen, z.B. soll die die traditionelle Unterscheidung zwischen so genannten vorrangigen und nachrangigen Dienstleistungen aufgegeben werden. Dies führt unter anderem dazu, dass einige Dienstleistungen zukünftig vollständig von der Richtlinie erfasst werden, wie etwa Rechtsberatungsleistungen. Andere Leistungen, z.B. aus dem Gesundheits- oder Sozialbereich sollen weiterhin „privilegiert“ werden, u.a. durch einen höheren Schwellenwert von 500.000 EUR und einem weiten Umsetzungsspielraum der Mitgliedstaaten.
Dienstleistungskonzession – Freiheit adé
Der Begriff der „Beschaffung“ soll näher definiert werden, um Abgrenzungsfälle besser entscheiden zu können. Konzessionen werden generell einbezogen, also auch die Dienstleistungskonzession.
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wird neben dem Wettbewerbs-, Gleichbehandlungs- und Transparenzgrundsatz als weiterer übergeordneter vergaberechtlicher Grundsatz festgeschrieben.
In-House-Vergabe und Interstaatliche Kooperation – mehr als gewünscht?
Wegen der herrschenden Rechtsunsicherheit, inwieweit Kooperationen zwischen öffentlichen Stellen dem Vergaberecht unterfallen, wird dies nunmehr in einem eigenen Artikel ausführlich behandelt. Dieser enthält zunächst die In-House-Voraussetzungen (auch Teckal-Kriterien genannt). Die Ausnahme vom Vergaberecht soll auch dann greifen, wenn ein kontrolliertes Unternehmen, das ein öffentlicher Auftraggeber ist, seine Muttergesellschaft oder eine andere juristische Person, welche es selbst kontrolliert, beauftragt, vorausgesetzt, dass bei der beauftragten Person kein Privater beteiligt ist. Damit werden die In-House-Voraussetzungen auch auf Mütter- und Enkelgesellschaften erstreckt – dies geht m.E. über die Rechtsprechung des EuGH hinaus; die Kommunen werden gestärkt, der Wettbewerb eingeschränkt. Mit Spannung ist daher die Auffassung des Europäischen Paraments zu diesem Punkt zu erwarten.
Die Entscheidung des EuGH zur „interkommunalen Zusammenarbeit“ (Standreinigung Hamburg) wird ebenfalls berücksichtigt, wobei neben den vom EuGH festgelegten Voraussetzungen ergänzend gefordert wird, dass die an der Kooperation beteiligten öffentlichen Auftraggeber nicht mehr als 10 % ihres Umsatzes am offenen Markt erzielen und Private ebenfalls nicht beteiligt sein dürfen. Die Ausnahme vom Vergaberechtsregime beschränkt sich wohlgemerkt nicht auf Kommunen, sondern auf sämtliche öffentliche Auftraggeber. Das Urteil des EuGH wird daher richtigerweise weit verstanden. Das bedeutet, dass etwa ein öffentlicher Auftraggeber in Bayern mit einem Auftraggeber in Niedersachsen kooperieren könnte, ohne dass die die Leistung betreffende Kooperation ausgeschrieben werden müsste (es sei denn, dass andere Regelungen dagegen sprechen, etwa kommunales Wirtschaftsrecht).
Vielleicht führt die Neuregelung endlich dazu, dass die (nur) in Deutschland typische Differenzierung zwischen delegierenden und mandatierenden Vereinbarungen, jedenfalls vergaberechtlich, überwunden wird.
Forschung und Entwicklung – Nichts Neues im Westen
Leistungen im Bereich Forschung und Entwicklung werden nun zunächst explizit in die VR-E einbezogen, vorausgesetzt, dass die Ergebnisse ausschließlich dem Auftraggeber für den Eigengebrauch zu Gute kommen und die Leistung vollständig bezahlt wird. Andernfalls fallen sie aus dem Anwendungsbereich heraus. Neu ist: Die exakten CPV-Nummern werden genannt.
Verteidigung und Sicherheit
Leistungen im Verteidigungs- und Sicherheitsbereich werden in die neue VKR einbezogen, es sei denn, sie fallen unter Art. 346 AEUV oder unter die RL 2009/81. Damit ist der Dreiklang perfekt: Der militärische Einkäufer wird es in Zukunft nicht leichter haben.
Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb = Standardverfahren!
Als Standardverfahren sollen die Mitgliedstaaten die Möglichkeit erhalten, das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb gleichrangig neben das Offene Verfahren zu stellen. Hier sei daran erinnert, dass nach der VKR bereits heute das Nicht Offene Verfahren gleichrangig zum Offenen Verfahren ist und und es allein dem deutschen Gesetzgeber zuzuschreiben ist, dass er das Nicht Offene Verfahren nur in bestimmten Ausnahmefällen zuläßt. Es bleibt daher abzuwarten, ob der deutsche Gesetzgeber von seiner strengeren Position abrückt.
Fristen kürzer
Die Fristen werden verkürzt. Die Angebotsfrist beim Offenen Verfahren soll nunmehr 35 Tage betragen, die Teilnahmefrist beim Nicht Offenen und Verhandlungsverfahren 30 Tage. In Fällen besonderer Dringlichkeit können die Fristen – wie gehabt – weiter verkürzt werden.
Innovation Partnership – neues sanftes Monster?
Eingeführt werden soll die „innovation partnership“ als neue Verfahrensform für Ausschreibungen von innovativen Leistungen. Geregelt wird die Errichtung der Partnerschaft und anschließende Beschaffung von neuen, innovativen Liefer- Dienst- und Bauleistungen. Die Konstruktion scheint nicht unkompliziert. Man darf daher gespannt sein, was dieses neue sanfte Monster auf Brüssel (frei nach Hans Magnus Enzensberger) in Zukunft bringen wird.
Rahmenvereinbarungen, kein Anschluss unter dieser Nummer
Bei Rahmenvereinbarungen wird klargestellt, dass nur diejenigen Auftraggeber, die von Anfang an in der Rahmenvereinbarung als Berechtigte genannt sind, auf den Rahmen zugreifen können. Damit wird klar gestellt, dass die häufig zu beobachtende Praxis, dass sich ein neuer öffentlicher Auftraggeber an eine bestehende Rahmenvereinbarung (z. B. Kaufhaus des Bundes) „anschließt“, unzulässig ist.
Vorgabe eines Mindestumsatzes eingeschränkt
Grundsätzlich dürfen öffentliche Auftraggeber zur Prüfung der finanziellen Leistungsfähigkeit keinen Mindestumsatz mehr verlangen, der das Dreifache des voraussichtlichen Auftragswerts übersteigt. Auch hiermit sollen KMU gefördert werden. In bestimmten Fällen darf von dieser Grundregel freilich abgewichen werden.
Eignungskriterien im Kleid von Zuschlagskriterien erlaubt!
Soweit es für die Leistungserbringung vor allem auf persönliche Erfahrungen ankommt, d.h. auf die Eignung, soll das Postulat „Keine Vermengung von Eignungs- und Zuschlagskriterien“ durchbrochen werden. Das bedeutet, dass die Eignung bei der Auswahl des wirtschaftlichsten Angebots geprüft werden kann.
Vertragsmodifikationen
Der VR-E enthält Regelungen, wann eine Vertragsmodifikation zu einer Neuausschreibungspflicht führt. Im wesentlichen handelt es sich hier um die vom EuGH in seiner Pressetext-Entscheidung aufgestellten Grundsätze. Ausgenommen von der Neuausschreibungspflicht sind explizit Änderungen aufgrund Rechtsnachfolge oder Umstrukturierung. Ebenso ausgenommen sind Änderungen, die durch eine Störung der Geschäftsgrundlage (vgl. § 313 BGB) erfolgen müssen, soweit dadurch nicht der ursprüngliche Vertrag komplett umgeworfen wird und sich der Preis nicht um mehr als 50 % des Ursprungspreises erhöht.
Externe Kosten – praktikabel?
Zu den Kosten, welche bei der Prüfung der Angebote berücksichtigt werden, sollen auch externe Kosten zählen können, d.h. etwa Umweltkosten, soweit diese monetarisiert und bestimmt werden können.
Grundsatz der Eigenerklärung – Deutschland macht es vor I
Der Grundsatz der Eigenerklärung, der in Deutschland ohnehin nun Standard ist, wird auch im VR-E konstituiert. Flankiert werden soll dies durch den „European Procurement Passport“.
Losaufteilung – Deutschland macht es vor II
Der VR-E führt die Pflicht ein, ab einem Auftragswert von 500.000 EUR den Auftrag in Lose zu unterteilen, um kleine und mittlere Unternehmen (KMU) zu fördern. In Deutschland gilt dieser Grundsatz ohnehin schon lange, so dass sich hier nur die Frage stellen wird, wie sich die Regelungen untereinander verhalten.
Direktzahlung an Subunternehmer
Vorgesehen werden soll die Möglichkeit, dass Subunternehmer bzw. Nachunternehmer direkt vom Auftraggeber bezahlt werden. Auch dies soll KMU schützen.
Zentrale Beschaffungsstellen – heute in, morgen out?
Ein ganzer Artikel mit sieben Absätzen ist dem derzeit in vielen Mitgliedstaaten, allen voran Deutschland, beliebten Einkauf durch zentrale Beschaffungsstellen gewidmet. Ob sich solche Stellen volkswirtschaftlich langfristig rechnen, bleibt zu beobachten.
Umsetzung bis 30.06.2015
Die Richtlinie ist von den Mitgliedstaaten spätestens bis zum 30. Juni 2015 umzusetzen. Es ist also noch ein wenig Zeit, um sich an die gerade erst neuen Regelungen in VOL/A, VOB, VOF, SektVO, VgV und GWB zu gewöhnen.
Der Autor Dr. Roderic Ortner ist Rechtsanwalt der Sozietät BHO Legal, Köln, München. Er ist spezialisiert auf nationales und europäisches Kartell- und Vergaberecht, hier insbesondere auf Vergabeverfahren und Vertragsgestaltung für Forschungsprojekte der Sicherheits-, Verteidigungs- und Raumfahrtindustrie. Mehr Informationen zum Autor finden Sie im Autorenverzeichnis.
Thema im Deutschen Vergabenetzwerk (DVNW) diskutieren.
Dr. Roderic Ortner
Roderic Ortner ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Vergaberecht sowie Fachanwalt für IT-Recht. Er ist Partner in der Sozietät BHO Legal in Köln und München. Roderic Ortner ist spezialisiert auf das Vergabe-, IT und Beihilferecht und berät hierin die Auftraggeber- und Bieterseite. Er ist Autor zahlreicher Fachbeiträge zum Vergabe- und IT-Recht und hat bereits eine Vielzahl von Schulungen durchgeführt.
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