Ein Gastbeitrag von RAin Anna Rieder, LL.M.
Zumindest unter dem Weihnachtsbaum des Ausschusses für den Binnenmarkt und Verbraucherschutz des Europäischen Parlaments werden wir zwei Richtlinien zum öffentlichen Auftragswesen finden.
Hintergrund der Richtlinien Vorschläge
Im Dezember 2011 hat die EU-Kommission Richtlinienvorschläge bezüglich der Regeln zum öffentlichen Auftragswesen angenommen. Dies geschah zum einen vor dem Hintergrund mehr Rechtssicherheit zu schaffen, d.h. die entsprechenden EuGH Entscheidungen mit in den neuen Richtlinientext einzuarbeiten. Zum anderen um dem Vertrag von Lissabon gerecht zu werden, der eine Legitimationserweiterung für wachsende Herausforderungen durch die Einbeziehung strategischer Ziele schafft. Diese Vorschläge sind Teil eines Gesamtprogramms, das auf die umfassende Modernisierung der Regeln zum öffentlichen Auftragswesen abzielt. Dieses Programm beinhaltet die Überarbeitung der Richtlinie 2004/17/EG (Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie-, und Verkehrsversorgung, die sogenannte Sektorenrichtlinie) und der Richtlinie 2004/18/EG (Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge, die sogenannte „klassische Richtlinie“) sowie die Annahme einer Richtlinie betreffend Konzessionen.
Die Ziele der Strategie 2020, das Wachstum zu stärken und Arbeitsplätze zu schaffen, macht die Reform der Rechtsvorschriften über die öffentliche Auftragsvergabe angesichts der wirtschaftlichen Krise zu einer Priorität für alle Mitgliedstaaten. Öffentliche Auftraggeber geben jedes Jahr 18% des BIP für Lieferungen, Dienstleistungen und Bauarbeiten aus. Eine optimale Verwendung der Mittel soll sichergestellt werden.
State of play und nächste Schritte
Die Kommissionsvorschläge wurden dem Rat und dem Europäischen Parlament im Rahmen des Legislativverfahrens übermittelt. Alle drei Richtlinien befinden sich in erster Lesung im Europäischen Parlament und bei allen drei Richtlinien werden die Änderungsanträge gerade im federführenden Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz diskutiert. Im Einzelnen soll nachfolgend nur auf die klassische Richtlinie eingegangen werden.
Die Frist für Änderungsanträge lief am 5. Juli ab. Insgesamt wurden 2500 Änderungsanträge eingereicht. Am 18. September fand dazu bereits die erste Diskussion im Ausschuss statt. Am 5. November wurde sie fortgesetzt. Auch die EU-Kommission hat an der Diskussion teilgenommen. Am 28. November wollen sich die Abgeordneten des Ausschusses auf die Kompromissanträge einigen. Die Annahme der klassischen Richtlinie ist für den 29. November im Ausschuss vorgesehen. Am 18. Dezember wird die Sektorenrichtlinie im Ausschuss abgestimmt.
Der Abstimmungstermin im Plenum des Europäischen Parlaments steht allerdings noch nicht fest. Realistisch dürfte wohl Februar/März sein. Der Rat wird vermutlich im Mai zu einer gemeinsamen Position kommen.
Wesentliche Inhalte
Die vorgeschlagene Reform zielt darauf ab, die bestehenden Werkzeuge und Instrumente des Vergaberechts grundlegend zu modernisieren. Das Hauptziel ist, Regeln und Verfahren zu vereinfachen und flexibler zu gestalten. Daher schlägt die Kommission insbesondere die Möglichkeit der Generalisierung der elektronischen Kommunikation im öffentlichen Beschaffungswesen vor, denn sie bietet ein wesentliches Mittel der Vereinfachung öffentlicher Ausschreibungen. E-procurement soll obligatorisch werden. Eine drastische Senkung des Verwaltungsaufwands ist vorgesehen, einschließlich der Anzahl der Dokumente, die von den Wirtschaftsteilnehmern verlangt werden. Das Parlament fordert klare Begrifflichkeiten, Entbürokratisierung und Rechtssicherheit.
Gleichzeitig soll die vorgeschlagene Reform eine qualitative Verbesserung bei der Nutzung des öffentlichen Beschaffungswesens sicherstellen, indem eine stärkere Berücksichtigung der sozialen und ökologischen Kriterien vorgesehen ist, wie Life-Cycle-Kosten oder die Integration von gefährdeten und benachteiligten Personen zu erleichtern, um damit Ziele der Europa-2020-Strategie zu erreichen.
Die Erleichterung des Zugangs zu öffentlichen Aufträgen für KMU wird erhöht und erleichtert durch Maßnahmen, die den Verwaltungsaufwand reduzieren. Diskutiert wird hierzu im Ausschuss, ob KMU Konsortien bilden können, um gemeinsam ein Angebot abzugeben.
Die Reform umfasst auch Verbesserungen an den bestehenden Garantien zur Bekämpfung von Interessenkonflikten, Günstlingswirtschaft und Korruption, und zielt darauf ab eine bessere Gewährleistung der Integrität der Verfahren zu gewährleisten.
Deutschland ist Art 11 der klassischen Richtlinie ein Anliegen. Hierbei geht es um interkommunale Zusammenarbeit, genauer gesagt unter welchen Bedingungen die Auftragsvergabe zwischen den Kommunen vom Vergaberecht ausgenommen ist. Darüber hinaus ist Deutschland die Einbeziehung der strategischen Ziele wichtig, d. h. der Einbeziehung der sozialen Kriterien und der Umweltkriterien, wobei es sich um messbare Kriterien handeln soll.
Die Autorin Anna Rieder, LL.M., hat die schwedische Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, Charlotte Cederschiöld, MdEP, im Vermittlungsverfahren mit dem Rat und der EU-Kommission bei der Verhandlung der Richtlinie 2004/17/EG und 2004/18/EG beraten.
Thema im Deutschen Vergabenetzwerk (DVNW) diskutieren.
Alexander Pustal
Der Autor ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Vergaberecht und Assoziierter Partner der Wirtschaftskanzlei Görg Rechtsanwälte in Frankfurt am Main. Er berät die öffentliche Hand sowie private Unternehmen im Bereich Öffentliches Wirtschaftsrecht und Vergabe. Seine Schwerpunkte liegen in den Bereichen nachhaltige Beschaffung, Kreislaufwirtschaft und Public Private Partnerships.
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