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Zitierangaben: Vergabeblog.de vom 15/05/2013 Nr. 15682

Kein zivilgerichtlicher Rechtsschutz im Unterschwellenbereich? (OLG Brandenburg, Beschluss v. 10.12.2012 – 6 U 172/12)

EntscheidungIn seiner Entscheidung vom 10.12.2012 (6 U 172/12) verdeutlicht das OLG Brandenburg einmal mehr seine generell skeptische Haltung gegenüber dem einstweiligen Verfügungsverfahren als Mittel der Rechtsschutzverfolgung im Unterschwellenbereich.

Sachverhalt

Die Verfügungsklägerin beteiligte sich an einer öffentlichen Ausschreibung zur Vergabe eines Straßenbauauftrages. Zuschlagskriterium war der niedrigsten Angebotspreis. Einige Tage nach Ablauf der Angebotsfrist teilte die Vergabestelle der Verfügungsklägerin mit, dass die öffentliche Ausschreibung gem. § 17 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A aufgrund eines festgestellten Mengenfehlers in dem Leistungsverzeichnis aufgehoben worden sei. Der Bauauftrag werde nunmehr im Wege einer beschränkten Ausschreibung vergeben.

Die Verfügungsklägerin, welche ausweislich des Submissionsergebnisses in dem aufgehobenen Vergabeverfahren den niedrigsten Angebotspreis geboten hatte, beantragte daraufhin vor dem Landgericht Frankfurt (Oder), der Vergabestelle den Zuschlag in der neu gestarteten beschränkten Ausschreibung durch einstweilige Verfügung zu untersagen.

Das erstinstanzliche Gericht gab dem Antrag zunächst statt, nach Widerspruch durch die Verfügungsbeklagte hob es die einstweilige Verfügung auf. Gegen diese Entscheidung legte die Verfügungsklägerin Berufung ein, unter anderem mit dem Antrag, zur Gewährung vorläufigen Rechtschutzes im Verfügungsverfahren es der Verfügungsbeklagten vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung des erkennenden Senates über die Berufung zu unterlassen, den Zuschlag in der gegenwärtig durchgeführten beschränkten Ausschreibung zu erteilen.

Entscheidung des OLG Brandenburg

Die Berufung blieb ohne Erfolg. Den Antrag der Verfügungsklägerin, der Verfügungsbeklagten vorläufig bis zur Entscheidung über die Berufung den Zuschlag zu untersagen, hält der Senat für unzulässig. Das Gesetz sehe die Möglichkeit einer einstweiligen Anordnung der begehrten Art im Verfahren der einstweiligen Verfügung weder in erster noch in zweiter Instanz vor. Das Verfahren der einstweiligen Verfügung sei ein Eilverfahren, dem nicht ohne jegliche gesetzliche Regelung ein noch eiligeres vorläufiges Anordnungsverfahren vorgeschaltet werden könne. Schon das erstinstanzliche Gericht sei zum Erlass einer Zwischenverfügung in Gestalt eines vorläufigen Zuschlagsverbotes bis zur Entscheidung über den Verfügungsantrag nicht berechtigt. Auch in zweiter Instanz sehe das Gesetz keine vorläufigen Maßnahmen des Berufungsgerichts für den Fall vor, dass die Klage bzw. der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ab- bzw. zurückgewiesen worden ist.

Nach Auffassung des 6. Senates des OLG Brandenburg spricht zudem viel dagegen, einen vorbeugenden, auf die Unterlassung des Zuschlags gerichteten Anspruch im Unterschwellenbereich überhaupt anzuerkennen. Denn wenn der Bieter eine einstweilige Verfügung in Form einer Leistungsverfügung, durch die der Auftraggeber an einer Aufhebung und Neuausschreibung bzw. am Zuschlag gehindert wird, erwirken und anschließend – über mehrere Instanzen hinweg – das Hauptsacheverfahren betreiben könnte, würde im Unterschwellenbereich Primärrechtsschutz im weitergehenden Umfang gewährt werden, als dies im Oberschwellenbereich gemäß §§ 102 ff. GWB möglich ist.

Deutsches VergabenetzwerkFazit und Praxishinweise

Mit seiner eher ablehnenden Haltung gegenüber dem zivilgerichtlichen Unterschwellenrechtsschutz bleibt das OLG Brandenburg seiner Linie vorangegangener Judikate treu (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 13.09.2011, 6 W 73/11). Wird der im Wege des einstweiligen Rechtschutzes gestellte Antrag eines Bieters durch Urteil zurückgewiesen oder eine zunächst erlassene Verfügung nach erfolgreichem Widerspruch aufgehoben, kann der Bieter in zweiter Instanz keinen effektiven Rechtschutz in Form eines vorläufigen Zuschlagsverbotes erlangen.

Dem OLG Brandenburg ist insoweit sicherlich zuzugeben, dass das Zivilprozessrecht eine mit § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB vergleichbare Vorschrift nicht enthält und die Berufung gegen ein erstinstanzliches Urteil insbesondere keine – verlängerbare – aufschiebende Wirkung entfaltet. Dies bedeutet allerdings im Umkehrschluss, dass der Bieter mit Einlegung einer Berufung gegen ein seinen Unterlassungsantrag erstinstanzlich abweisendes Urteil grundsätzlich keinen effektiven Rechtschutz erlangen, insbesondere eine Zuschlagserteilung vor Abschluss des Berufungsverfahrens nicht verhindern kann. Entgegen OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.01.2010, 27 U 1/09, ist nach Auffassung des OLG Brandenburg selbst das erstinstanzliche Gericht nicht berechtigt, zur Gewährung effektiven Rechtschutzes ein vorläufiges Zuschlagsverbot als Zwischenverfügung auszusprechen, bis über den Antrag auf Unterlassung des Zuschlages nach mündlicher Verhandlung endgültig entschieden wird.

Nach Ansicht des Verfassers ist der Erlass einer Zwischenverfügung nicht nur zur Sicherung effektiven Rechtsschutzes unerlässlich, sondern auch nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung zulässig. Denn nach § 938 Abs. 1 ZPO ist das Gericht berechtigt, nach freiem Ermessen die zur Erreichung des Zwecks erforderlichen Anordnungen zu treffen. Da einige Oberlandesgerichte dem Unterschwellenrechtschutz deutlich „aufgeschlossener“ gegenüber stehen als das OLG Brandenburg, beurteilen sich die Erfolgsaussichten eines Rechtsbehelfs gegen Entscheidungen des öffentlichen Auftraggebers im Rahmen einer Unterschwellenvergabe nicht zuletzt auch danach, in welchem OLG-Bezirk der öffentliche Auftraggeber seinen Sitz hat. Im Interesse einer einheitlichen Rechtsanwendung und der Rechtssicherheit wäre es daher sicherlich wünschenswert, wenn die Rechtsprechung alsbald in den wesentlichen Fragen des Unterschwellenrechtschutzes zu einer annähernd gleichen Linie fände.

Bieter, die sich erfolglos um einen unterschwelligen öffentlichen Auftrag in den Ländern Sachsen, Sachen-Anhalt oder Thüringen beworben haben, sollten zudem stets erwägen, kumulativ oder alternativ zu einem einstweiligen Rechtschutzverfahren eine Vergabenachprüfung gemäß den dortigen Landesvergabegesetzen anzustrengen. § 19 LVG LSA, § 19 ThürVgG und § 8 SächsVergabeG bieten dem unterlegenen Bieter nämlich die Möglichkeit, ein vorläufiges Zuschlagsverbot zu erwirken und die Einhaltung der Verfahrensvorschriften durch die zuständige Behörde (in Sachsen-Anhalt wurden hierzu eigens zusätzliche Vergabekammern eingerichtet) überprüfen zu lassen.

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Till Horst, LL.M.

Der Autor Till Horst, LL.M., ist Rechtsanwalt bei KSB INTAX, Hannover. Herr Horst berät öffentliche Auftraggeber und Unternehmen in sämtlichen Fragen des Vergabe-, Beihilfen- und öffentlichen Wirtschaftsrechts. Er unterstützt die öffentliche Hand bei der Durchführung komplexer Vergabe- sowie Bieterverfahren und vertritt sowohl die Auftraggeber- als auch die Bieterseite in Vergabenachprüfungsverfahren.

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Eine Antwort zu „Kein zivilgerichtlicher Rechtsschutz im Unterschwellenbereich? (OLG Brandenburg, Beschluss v. 10.12.2012 – 6 U 172/12)“

  1. Avatar von Dr. Christof Schwabe

    Sehr geehrter Herr Kollege Horst,

    danke für Ihren interessanten Beitrag zu dem ewigen Zankapfel Unterschwellenrechtsschutz. Ich kann Ihre verhalten kritische Position gegenüber der OLG Brandenburg-Entscheidung nur begrüßen. Und ich schlage in die gleiche Kerbe: Es muss endlich ein einheitlicher gesetzlicher Unterschwellenrechtsschutz her! Dass jetzt einige Bundesländer langsam anfangen in dem Zusammenhang ihr eigenens Süppchen zu kochen, erleichtert die Rechtsfindung sicherlich nicht. Ganz im Gegenteil führt das zu einer verwirrenden landesrechtlichen Fragmentierung eines Rechtsbereiches, der im materiellen Recht ganz überwiegend bundeseinheitlich geregelt ist.

    Gerade weil, sehr geehrter Herr Horst, Sie in Ihrer Besprechung den Beschlusses eine Bauvergabe ansprechen, möchte ich noch ausdrücklich auf einen weiteren Aspekt hinweisen: Nicht nur in Brandenburg, sondern auch hier in Rheinland-Pfalz, ist der Weg der einstweiligen Verfügung ein steiniger. Daher versuchen wir immer mal wieder über das Verfahren nach § 21 VOB/A mit den Aufsichtsbehörden Lösungen zu finden. Meine Erfahrungen damit – bezeichnen wir sie einmal als gemischt – belegen jedoch eindeutig, dass hiermit kein adäquater Ersatz für den Unterschwellenrechtsschutz erreicht werden kann.

    Es sollte eine unabhängige Instanz – also ein Gericht – mit den Fällen befasst werden können! Man kann nur hoffen, dass in den nächsten Jahren, vielleicht nach der nächsten Bundestagswahl, das x-mal verschobene Projekt Unterschwellenrechtsschutz einmal abgestaubt wird und doch noch in die Gesetzgebung kommt.

    Viele Grüße aus Koblenz
    C.Schwabe