Zuschlagskriterien lenken die Vergabeentscheidung des Auftraggebers. Es ist daher für Bieter wichtig, diese so genau wie möglich zu kennen, um ihr Angebot danach ausrichten zu können. Grundsätzlich sind Kriterien und Unterkriterien sowie deren Gewichtung daher spätestens mit Übersendung der Vergabeunterlagen mitzuteilen. Das OLG Celle hat jedoch für den wettbewerblichen Dialog einen weiteren Spielraum des Auftraggebers anerkannt (OLG Celle, Beschluss vom 16.05.2013 Az.: 13 Verg 13/12).
Der Fall
Eine Gemeinde wollte ihre Energieversorgung rekommunalisieren und suchte in einer Ausschreibung einen privaten Partner, um die Voraussetzungen für die Übernahme der Energieversorgung durch ein neu zu gründendes Stadtwerk zu schaffen. Sie wählte das Verfahren des wettbewerblichen Dialogs. Im Rahmen der Aufforderung zur Teilnahme an der ersten Dialogphase benannte sie als Zuschlagskriterien zunächst nur in absteigender Reihenfolge die „bestmögliche Erfüllung der Bedürfnisse und Anforderungen“, den „Mittelzufluss für die Stadt G“ sowie die „Risikobegrenzung für die Stadt G.“ Erst für die darauf folgende, zweite Dialogphase teilte sie den Bietern nähere Zuschlagskriterien und deren Gewichtung mit. Ein im Wettbewerb unterlegenes Unternehmen griff die Auswahl des Bestbieters an und berief sich dabei unter anderem darauf, dass das Zuschlagskriterium „Bestmögliche Erfüllung der Bedürfnisse und Anforderungen“ intransparent gewesen sei. Die Antragsgegnerin habe die Zuschlagskriterien in Ansehung der in den Dialogphasen von den Bewerbern präsentierten Lösungsvorschläge entwickelt, und dadurch das Verfahren im Sinne des ausgewählten Bieters gesteuert.
Lösungen im Vorfeld nicht erkennbar: nachträgliche Unterkriterien zulässig
Ohne Erfolg! Anders als die Vergabekammer sah das OLG die Vorgehensweise des Auftraggebers als zulässig an. Es hob hervor, dass eine nachträgliche Bekanntmachung von Unterkriterien und deren Gewichtung zulässig sei, wenn dies insbesondere wegen der Komplexität des Auftrags erforderlich sei. Es stufte die Begründung als tragfähig ein, dass eine Konkretisierung der Zuschlagskriterien erst auf Grundlage der ersten eingereichten Lösungsvorschläge und Gespräche möglich gewesen sei, da erst auf dieser Grundlage erkennbar gewesen sei, wie Lösungen aussehen könnten.
Das Gericht verwies dabei auch auf die Erläuterungen der Europäischen Kommission zum wettbewerblichen Dialog. In diesen heisst es (unter Ziffer 3.1), bei einem wettbewerblichen Dialog als Verfahren für technisch komplexe Leistungen erübrige sich der Hinweis darauf, dass auf die Gewichtung der Zuschlagskriterien verzichtet werden könne. Zulässige Konkretisierung eines „in der Leistungsbeschreibung angelegten“ Kriteriums
Zudem verwies das OLG darauf, dass das Zuschlagskriterium „bestmögliche Erfüllung der Bedürfnisse und Anforderungen“ schon in der Leistungsbeschreibung angelegt war, da unter der Überschrift „Bedürfnisse und Anforderungen“ genauere Ausführungen enthalten waren. Die nachfolgende tabellarische Darstellung und Gewichtung der Zuschlagskriterien war aus seiner Sicht letztlich nur eine nachvollziehbare Konkretisierung.
Dem Vorwurf der manipulativen Gestaltung begegnete das Gericht, indem es darauf hinwies, dass jedenfalls in der zweiten Dialogphase die konkretisierten Zuschlagskriterien dem unterlegenen Unternehmen bekannt waren und es ein halbes Jahr lang Zeit gehabt hatte, unter den bekannten Bedingungen sein Angebot danach auszurichten.
Einordnung und Praxishinweis
Die Entscheidung knüpft an die Rechtsprechung zur nachträglichen Konkretisierung von Zuschlagskriterien an. Diese wurde auch außerhalb des wettbewerblichen Dialogs bereits in Ausnahmefällen zugelassen, wenn hierdurch die Hauptzuschlagskriterien nicht geändert werden, eine Diskriminierungsabsicht ausscheidet und die nachträglichen Festlegungen keine Gesichtspunkte enthalten, die die Vorbereitung der Angebote beeinflusst hätten (vgl. z.B. OLG Brandenburg, Beschluss vom 19.12.2011 , Az.:Verg W 17/11). Auch hat die Rechtsprechung schon im Zusammenhang mit funktionalen Ausschreibungen eine offenere Formulierung von Zuschlagskriterien als zulässig und die Angabe von Unterkriterien als nicht erforderlich angesehen (vgl. z.B. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 04.02.2013 , Az.: Verg 31/12). Es kann sich für Auftraggeber also durchaus lohnen, die im Einzelfall bestehenden Gestaltungsspielräume auszuloten und für die eigenen Ziele zu nutzen.
Die Autorin Dr. Valeska Pfarr, MLE, ist Rechtsanwältin bei Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Sie ist auf das Vergaberecht spezialisiert, ein Schwerpunkt liegt hierbei auf der Beratung der öffentlichen Hand.
0 Kommentare