Die Abgeordneten des Europäischen Parlaments (EP) haben erwartungsgemäß heute, Mittwoch, den 15.01.2014, in Straßburg den neuen EU-Vergaberichtlinien mit großer Mehrheit zugestimmt. Damit ist das europäische Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen. Im Juni 2013 wurden die neuen Regeln bereits mit dem Rat der Europäischen Union, der zusammen mit dem EP die Rechtsetzung der Europäischen Union ausübt, vereinbart. Die 2011 von der EU-Kommission angestoßene Überarbeitung der EU-Vergaberichtlinien ist Teil eines Gesamtpakets, mit dem die öffentliche Auftragsvergabe in der Europäischen Union tiefgreifend modernisiert werden soll. Die neuen Richtlinien werden 20 Tage nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der EU in Kraft treten. Veranstaltungshinweis: Auf der nächsten Sitzung der Regionalgruppe Berlin des Deutschen Vergabenetzwerks (DVNW) am 21. Januar wird Herr Dr. Thomas Solbach, Leiter des Referats Öffentliche Aufträge im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, zu den neuen Richtlinien und deren möglicher Umsetzung in Deutschland berichten. Kostenlose Anmeldung im Mitgliederbereich des DVNW oben.
Zielgerichte Auftragsvergabe
Das öffentliche Auftragswesen beträgt etwa 18% des europäischen BIPs und ist somit ein mächtiger Hebel für die Erreichung bestimmter politischer Ziele, die noch vor wenigen Jahren mehrheitlich unter der Bezeichnung “vergabefremde Aspekte” firmierten. Gestärkt werden mit den neuen Richtlinien abermals ökologische und soziale Aspekte bei der Auftragsvergabe. Verantwortlicher Berichterstatter im EP war der belgische EU-Abgeordnete Marc Tarabella: „Deshalb ist es so wichtig, dass bei der Vergabe mehr auf Qualität und Langlebigkeit als nur auf den niedrigsten Preis geachtet wird“, so Tarabella. Dank des neuen Kriteriums des „wirtschaftlich günstigsten Angebots“ im Vergabeverfahren könnten Beschaffer ihren Schwerpunkt stärker auf Qualität, Umwelt- oder Sozialaspekte sowie Innovation legen, und dabei weiterhin den Preis und die Lebenszykluskosten der ausgeschriebenen Ware oder Leistung berücksichtigen. „Das neue Kriterium wird das Diktat des niedrigsten Preises beenden und die Qualität wieder in den Mittelpunkt stellen“, erklärte Tarabella.
Innovativere Produkte und Dienstleistungen
Mit den neuen Richtlinien hält auch ein neues Vergabeverfahren Einzug, mit dem innovative Lösungen bei der öffentlichen Auftragsvergabe unterstützt werden sollen. Die neue „Innovationspartnerschaft“ soll es Beschaffern ermöglichen, mit einer Ausschreibung ein bestimmtes Problem anzugehen, ohne möglichen Lösungen vorzugreifen, und so dem Auftraggeber und dem Bieter Spielraum für die Entwicklung gemeinsamer Initiativen lassen.
Ob tatsächlich erreicht, wird sich im Rahmen der Umsetzung durch die nationalen Gesetzgeber erst noch herausstellen müssen: Vorrangiges Ziel der Novelle sei die Vereinfachung und Flexibilisierung der Vergaberegeln und –verfahren, heißt es in der Presseerklärung des EP zur Verabschiedung der neuen Richtlinien. Immerhin durch Verwendung eines “einheitlichen europäischen Auftragsdokuments in Form einer Eigenerklärung”. Nur der Bieter, der den Zuschlag erhält, muss die Originaldokumente vorlegen.
Sonstiges
Die Losvergabe wird gestärkt, erstmals wird die sog. Inhouse-Vergabe, also die Auftragserfüllung durch andere öffentliche Einrichtungen, mit klaren Kriterien geregelt. Um Sozialdumping zu bekämpfen und die Einhaltung von Arbeitnehmerrechten zu gewährleisten, sehen die neuen Richtlinien entsprechende Regeln für Unteraufträge vor. Auch finden sich schärfere Bestimmungen für Angebote, deren Preis ungewöhnlich niedrig ist. Auftragnehmer, die die EU-Arbeitsrechtsvorschriften nicht beachten, können ausgeschlossen werden. Und last but not least: die eVergabe wird verpflichtend.
Neue Richtlinie zur Konzessionsvergabe
Die EU-Vergaberichtlinien erhalten Zuwachs durch eine eigene Richtlinie zur Konzessionsvergabe, meist die Übertragung eines Nutzungsrechts an öffentlichen Gütern durch staatliche Stellen an private Träger. Federführend war hier der französische Christdemokrat Philippe Juvin. Er hält die neue Richtlinie zur Vergabe von Konzessionen für einen großen Durchbruch für den europäischen Binnenmarkt: „Damit endet die Jahrzehnte währende rechtliche Unsicherheit“, so Juvin. In Ermangelung einer EU-weit gültigen Definition von Konzessionen hatten einzelne EU-Staaten hier sehr unterschiedliche Interpretationen verwendet. Die neuen Regeln, so hofft Juvin, werden helfen, Missbrauch und Bevorzugung bei der Vergabe öffentlicher Konzessionen zu vermeiden. Des Weiteren bestätigten die Abgeordneten die besondere Eigenschaft von Wasser als öffentliches Gut und akzeptieren den bereits im Juni nach massiven öffentlichen Protesten erfolgten Ausschluss dieses Sektors von der Konzessionsrichtlinie.
Der Bericht zur öffentlichen Auftragsvergabe wurde mit 620 Stimmen angenommen, bei 31 Gegenstimmen und 30 Enthaltungen.
Der Bericht zu den Versorgungsdiensten wurde mit 618 Stimmen angenommen, bei 36 Gegenstimmen und 26 Enthaltungen.
Der Bericht zur Konzessionsvergabe wurde mit 598 Stimmen angenommen, bei 60 Gegenstimmen und 18 Enthaltungen.
Inkrafttreten
Die Richtlinien werden 20 Tage nach der Veröffentlichung im Amtsblatt der EU in Kraft treten. Nach diesem Datum haben die Mitgliedstaaten 24 Monate Zeit, die Bestimmungen in nationales Recht umzusetzen. Veranstaltungshinweis: Auf der nächsten Sitzung der Regionalgruppe Berlin des Deutschen Vergabenetzwerks (DVNW) am 21. Januar wird Herr Dr. Thomas Solbach, Leiter des Referats Öffentliche Aufträge im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, zu den neuen Richtlinien und deren möglicher Umsetzung in Deutschland berichten. Kostenlose Anmeldung im Mitgliederbereich des DVNW oben.
Ich bin gespannt, wie man die Bereichsausnahme grundgesetzkonform umsetzen will…