Ein ständiges Dilemma des öffentlichens Auftraggebers: Größtmöglicher Wettbewerb mit vielen Bietern versus Begrenzung des Aufwands bei der oft umfangreichen Angebotsprüfung. Der Teilnahmewettbewerb bietet dem Auftraggeber die Möglichkeit, in einem vorgeschalteten Verfahren geeignete Bieter auszusuchen und nur die bestplazierten Bieter zur Angebotsabgabe aufzufordern. Die Kriterien zur Auswahl und zur Anzahl der besten Bieter müssen konkret in der Bekanntmachung festlegt werden. Wie der aktuelle Beschluss des OLG München (Beschluss v. 19.12.2013 – Verg 12/13) zeigt: Der Auftraggeber muss sich vorher sehr genau überlegen, wie viele Bieter er im Angebotsverfahren will und nach welchen Vorgaben er diese auswählt, ein Nachschieben festgelegter Kriterien ist nicht möglich. Und: Der Bieter muss nicht immer gleich rügen.
§ 10 VOF, § 107 Abs. 3 GWB
Sachverhalt
Die Vergabestelle schrieb EU weit Projektsteuerungsleistungen im Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb nach VOF (Errichtung eines Sport- und Freizeitbads samt Parkdeck) aus.
Die Zahl der Bieter, die zur Angebotsabgabe aufgefordert werden sollten, war in der Bekanntmachung auf drei begrenzt worden. Die Kriterien für die Auswahl der Bieter ergab sich aus dem Bewertungsschema der Antragsunterlagen. Für den Fall, dass mehr als 3 Bewerber die Kriterien in gleichem Maß erfüllen, sollte das Los entscheiden.
Bei den Referenzen wurde eine Referenzliste über vergleichbare Leistungen hinsichtlich Maßnahmeinhalt und Projektgröße in den letzten fünf Jahren gefordert.
Von 100 im Teilnahmewettbewerb zu erzielenden Punkten erreichte ein Bieter 100, zwei Bieter 99, ein Bieter 98 Punkte, die weiteren Bieter lagen weiter abgeschlagen zurück. Die Vergabestelle hatte sich wegen des knappen Ergebnisses entschieden, die vier bestplatzierten Bieter zum Verhandlungsgespräch einzuladen und zur Abgabe eines Angebots nach § 11 VOF aufzufordern.
Nach dem Verhandlungsgespräch lag der noch im Teilnahmewettbewert viertplatzierte Bieter (mit 98 Punkten) an erster Stelle, worüber die Vergabestelle alle vier Teilnehmer im Anschluss an die Gespräche informierte.
Der nach dem Verhandlungsgespräch drittplatzierte Bieter (der im Teilnahmewettbewerb 100 Punkte erzielt hatte) erfuhr auf Nachfrage im persönliche Gespräch am 02.08.2013, dass insgesamt vier Bieter zur Angebotsabgabe aufgefordert worden waren.
Mit Schreiben vom 9.8.2013 rügte er, dass entgegen den Angaben in der Bekanntmachung vier Bieter zu der Angebotsabgabe aufgefordert worden seien und der viertplatzierte Bieter mit 98 Punkten im Teilnahmeantrag nicht zur Abgabe eines Angebots und zu Verhandlungsgeprächen aufgefordert hätte werden dürfen. Er beantragt, das Verhandlungsverfahren nur mit den drei erstplatzierten Bietern im Teilnahmewettbewerb erneut durchzuführen.
Die Vergabestelle sieht dies anders. Sie meint, dass sie lediglich die nach § 10 Abs. 4 S.1 VOF vorgegebene Mindestanzahl von drei Bietern bekannt gemacht hätte, eine Überschreitung „nach oben“ aber ohne Weiteres zulässig wäre. Zudem hätte der drittplazierte Bieter bereits am 02.8.2013 im Rahmen eines Gesprächs Kenntnis erlangt, dass an dem Verhandlungsverfahren vier Firmen teilnehmen. Die Rüge am 09.8.2013 wäre deswegen nicht unverzüglich nach § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB erfolgt, da diese erst nach Dienstschluss am Freitag um 14.28 Uhr eingegangen sei und somit der Vergabestelle erst am Montag, den 12.08.2013, zugegangen sei.
Dem stimmen weder die Vergabekammer noch das OLG München zu.
Selbstbindung der Verwaltung
Zur Begrenzung der Teilnehmer führt das OLG München aus:
„Die … Auftragsbekanntmachung ist in ihrer Gesamtheit auszulegen. Auch wenn die Formulierung „geplante Zahl“ noch dafür spricht, dass die Vergabestelle sich nicht selbst binden will, wird durch den weiteren Satz (…Los entscheidet) hinreichend klar, dass die Teilnehmerzahl bindend auf drei Bieter beschränkt wird. Eine andere Auslegung dieser Klausel ist mit dem Gesamtwortlaut unvereinbar. Die Vergabestelle hat sich insoweit selbst gebunden und es stellt einen Verstoß gegen das Willkürverbot und das Transparenzgebot eines Vergabeverfahrens dar, wenn die Vergabestelle einen vierten Bieter zulässt.“
Von der Vergabestelle wurde in der Bekanntmachung die Mindestzahl auf drei Teilnehmer begrenzt, die Zulassung eines vierten Bieters (auch in Form eines Nachrückens) und damit die Zulassung des nach dem Verhandlungsverfahren erstplatzierten Bieters, der mit 98 Punkten an vierter Stelle im Teilnahmewettbewerb lag, ist nicht zulässig.
Die Tatsache, dass der antragstellende Bieter nur auf dem dritten Platz nach der Wertung im Verhandlungsgespräch lag, schließt eine subjektive Rechtsverletzung nicht aus. Es reicht aus, dass nicht oder nicht zuverlässig beurteilt werden kann, ob der Antragsteller bei Wiederholung des fehlerhaften Abschnitts des Verfahrens in der Wertung den ersten Platz erringen hätte können. Vorliegend ist es durchaus möglich, dass bei einer Wiederholung der Verhandlungsrunden mit der Präsentation von nur drei anstatt vier Teilnehmern die Wertung anders ausfällt. Denn – so schon die Vergabekammer – die Bewertung einer Präsentation ist nur bedingt objektivierbar, so dass sich bei einer erneuten Präsentation sich eine andere Reihenfolge ergeben kann.
Das OLG München lässt offen, ob die Vorschrift nach § 107 Abs. 3 GWB nach der Entscheidung des EuGH vom 28.1.2010 – Rs. C- 406/08 noch anwendbar ist oder dem Europarecht widerspricht. Jedenfalls – so das OLG München – lasse sich der der EuGH-Entscheidung entnehmen, dass der Primärrechtsschutz nicht durch zu unklare Anforderungen verhindert werden soll und bei der Auslegung von unbestimmten Rechtsbegriffen wie eben „unverzüglich“ nicht zu kleinlich zu verfahren ist. Schließlich müsse sich der Bieter erst einmal entscheiden, ob er überhaupt rügt und sich rechtskundig machen.
Auch über die in der Rechtsprechung strittige Frage, ob es auf den Zeitpunkt der Absendung, des Eingangs oder des Zugangs der Rüge ankommt, musste das OLG München nicht entscheiden, da die Rügefrist nach seiner großzügigen Auslegung mit 7 Werktagen (Samstag eingerechnet) auch am Zugangstag (Montag, den 12.08.2013) nach der Kenntnis vom 02.08.2013 noch unverzüglich war.
Rechtliche Würdigung
Der Entscheidung zur Beschränkung auf die in der Bekanntmachung vorgegebenen drei Bieter ist in vollem Umfang zuzustimmen. Die Vergabestelle kann im Rahmen der Selbstbindung der Verwaltung nicht eigene Vorgaben im Nachhinein abändern, es ist Aufgabe der Vergabestelle, die gewollten Kriterien eindeutig und klar in der Bekanntmachung zu formulieren.
Bei den Ausführungen zur Rügefrist führt das OLG München die Tendenz der großzügigen Bemessung der Rügefrist fort (Beschluss vom 15.03.2012, Verg 2/12), allerdings stellt das OLG interessanterweise in der aktuellen Entscheidung bei der Frage der Unverzüglichkeit nicht auf die üblicherweise im Vergaberecht geltenden Kalendertage, sondern auf Werktage ab. Vorliegend hat das OLG München also nach 9 Kalendertagen noch die unverzügliche Rügefrist anerkannt.
Angesichts der sehr unterschiedlichen Tendenz der Rechsprechung zur Unverzüglichkeit der Rügefrist sollten Bieter auf jeden Fall auch schon länger erkannte Verstöße rügen, um ihre Rechtschancen zu wahren, da momentan offen ist, ob und von welcher Rügefrist jeweils auszugehen ist.
Schön wäre es gewesen, wenn das OLG München nicht nur die Frage der Unverzüglichkeit, sondern auch die Frage, ob es bei der Berechnung der Rügefrist – sofern sie gilt – auf den Antrag, den Eingang oder Zugang ankommt, entschieden hätte, da dies im Falle eines Wochenendes und den frühen Dienststellenschluss der Vergabestellen am Freitag (vorliegend war dieser schon „weit vor Eingang der Rüge um 14.28 Uhr“) entscheidend sein kann.
Monika Prell ist Fachanwältin für Vergaberecht und Partnerin bei der Kanzlei SammlerUsinger in Berlin. Sie verfügt über umfangreiche Erfahrung im Vergaberecht und berät sowohl öffentliche Auftraggeber bei der Vorbereitung, Konzeption und Gestaltung sowie der anschließenden Durchführung von Vergabeverfahren als auch Bieterunternehmen umfassend bei allen vergaberechtlichen Fragestellungen. Darüber hinaus vertritt Monika Prell ihre Mandanten vor den Vergabenachprüfungsinstanzen. Neben ihrer anwaltlichen Tätigkeit ist sie als Kommentarautorin tätig, veröffentlicht regelmäßig Fachaufsätze und führt laufend Seminare und Workshops im Vergaberecht durch.
Ich stehe der Entscheidung skeptisch gegenüber, auch wenn ich sie für vertretbar halte. Das Verhandlungsverfahren schränkt den Wettbewerb per se ein. In der Vergaberichlinie steht, dass grundsätzlich mindestens drei Bewerber aufzufordern sind. Drei ist also das absolute Minimum. Eine Selbstbindung der Verwaltung findet über den Gleichheitsgrundsatz (Artikel 3 GG) Anwendung. Es muss eine Diskriminierung stattfinden, also eine Ungleichbehandlung, ohne sachlichen Grund. Hier sehe ich jedoch den sachlichen Grund der Abweichung von den ursprünglichen Vergabeunterlagen darin, dass mehr Wettbewerb geschaffen werden soll.