Die Leistungsbeschreibung bildet als zentrales Element einer öffentlichen Ausschreibung die Basis für die Angebotskalkulation der beteiligten Bieter. Enthält die Leistungsbeschreibung widersprüchliche Angaben oder fehlen wesentliche Informationen, kommt es regelmäßig auf eine Auslegung der Leistungsbeschreibung an. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat für den Fall eines öffentlichen Bauauftrags entschieden, dass eine unklare Leistungsbeschreibung grundsätzlich nicht zu Lasten des Auftragnehmers geht. Ob der Auftragnehmer etwaige Unklarheiten der Ausschreibung bereits im Vergabeverfahren aufgeklärt hat, ist nicht entscheidend (Urteil vom 12.09.2013, VII ZR 227/11)
BGB §§ 133, 157; VOB/A § 9 Nr. 3 Abs. 1 und Abs. 3 a.F. (jetzt: VOB/A § 7 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 6); VOB/B § 2 Nr. 5
Leitsatz
1. Kann ein Bieter der Ausschreibung entnehmen, dass eine für den verkehrsüblichen Einsatz eines Krans hinderliche Hochspannungsleitung vom Auftraggeber wegen der vorgesehenen Bohrpfahlarbeiten ohnehin zu Beginn der Arbeiten abgebaut werden muss, so muss er ohne einen entsprechenden Hinweis in der Ausschreibung nicht annehmen, dass die Hochspannungsleitung nur für die Dauer der Bohrpfahlarbeiten entfernt bleibt. Ein solcher Hinweis wäre nach § 9 Nr. 3 Abs. 3 VOB/A a.F. geboten gewesen.
2. Das Ergebnis der Auslegung eines Bauvertrags auf Grund öffentlicher Ausschreibung wird nicht dadurch beeinflusst, dass der Auftragnehmer etwaige Unklarheiten der Ausschreibung nicht aufgeklärt hat (Bestätigung von BGH, Urteil vom 13.03.2008 VII ZR 194/06; BGHZ 176, 23 Rdn. 38).
Sachverhalt
Der öffentliche Auftraggeber schrieb Brückenbauarbeiten aus. Den Ausschreibungsunterlagen war zu entnehmen, dass sich im Bereich der Brücke eine Hochspannungsleitung befindet, die den Einsatz eines Krans unmöglich macht. Ob der Auftraggeber die Hochspannungsleitung entfernen wird oder nicht, ließ sich den Ausschreibungsunterlagen nicht entnehmen. Der Auftragnehmer legte die Leistungsbeschreibung so aus, dass der Auftraggeber die Hochspannungsleitung entfernen wird und somit der aus seiner Sicht verkehrsübliche Einsatz eines Krans möglich ist. Der Auftraggeber ließ die Hochspannungsleitung jedoch nicht entfernen. Der Auftragnehmer erhob daraufhin eine Nachtragsforderung, weil der Einsatz eines Krans kalkuliert wurde, aber nicht eingesetzt werden konnte. Demgegenüber wendete der Auftraggeber ein, die Leistungsbeschreibung sei insoweit unklar gewesen, weshalb der Auftragnehmer diese Unklarheit durch Nachfrage hätte ausräumen müssen. Nachdem das OLG die Klage abgewiesen hatte, legte der Auftragnehmer Revision zum BGH ein.
Die Entscheidung
Zu Recht, wie der BGH entschied. Der Auftragnehmer konnte die Ausschreibung dahin verstehen, dass der Auftraggeber die für die Durchführung der Brückenbauarbeiten erforderliche luftseitige Baufreiheit des Baufelds für den Einsatz eines Krans herstellen würde. Zwar ist die Leistungsbeschreibung in dieser Hinsicht möglicherweise nicht eindeutig, dies gehe aber nicht zu Lasten des Auftragnehmers. Eine interessengerechte und an den Vorgaben der VOB/A orientierte Auslegung der Leistungsbeschreibung ergebe vielmehr, dass die Bauarbeiten nicht durch die Hochspannungsleitung behindert werden sollten. Daher wäre der Auftraggeber verpflichtet gewesen, seine Ausschreibung so zu präzisieren, dass ein von ihm nicht gewünschtes Ergebnis (die Entfernung der Hochspannungsleitung) vermieden wird.
Rechtliche Würdigung
Der Senat orientiert sich im Rahmen der Begründung seiner Entscheidung am Wortlaut der einschlägigen Bestimmungen der VOB/A. Demnach sind öffentliche Auftraggeber verpflichtet, die für die Ausführung der Bauleistungen wesentlichen Verhältnisse der Baustelle so zu beschreiben, dass ein potenzieller Auftragnehmer die Auswirkungen auf die bauliche Anlage und die Bauausführung hinreichend sicher beurteilen kann. Um eine einwandfreie Preisermittlung zu ermöglichen, müssen in der Leistungsbeschreibung alle Umstände, welche die Kalkulation beeinflussen, festgestellt und in den Vergabeunterlagen angegeben werden (§ 9 Nr. 3 Abs. 1 und Abs. 3 VOB/A a.F.; jetzt: § 7 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 6 VOB/A). Nach Auffassung des BGH ist eine Ausschreibung im Zweifel so zu verstehen, dass der öffentliche Auftraggeber den aus der VOB/A resultierenden Vorgaben gerecht geworden ist. Bei der Auslegung der Leistungsbeschreibung sei auf die objektive Sicht der beteiligten Bieter und nicht auf die subjektive Sicht des öffentlichen Auftraggebers abzustellen. Unklarheiten oder Widersprüche der Leistungsbeschreibung dürften grundsätzlich nicht zu Lasten des Auftragnehmers gehen. Dies gelte selbst dann, wenn der spätere Auftragnehmer Unklarheiten bereits im Vergabeverfahren erkannt, diese aber durch Nachfrage nicht aufgeklärt habe.
Das Urteil des BGH erhöht die Anforderungen an öffentliche Auftraggeber in Bezug auf die Erstellung einer widerspruchsfreien Leistungsbeschreibung. Der Entscheidung lässt sich entnehmen, dass Unklarheiten und Widersprüche in den Ausschreibungsunterlagen in aller Regel zu Lasten des öffentlichen Auftraggebers gehen. Bieter können darauf vertrauen, dass die Leistungsbeschreibung so ausgestaltet ist, dass eine Angebotskalkulation grundsätzlich ohne Nachfragen möglich ist. Denn eine Auslegungsregel, wonach ein Vertrag zu Lasten des Auftragnehmers auszulegen ist, weil dieser etwaige Unklarheiten vor Angebotsabgabe nicht aufgeklärt hat, gibt es dem BGH zufolge nicht. Gleichwohl ist auch Bietern zu empfehlen, Unklarheiten oder Widersprüche im Zweifel durch Nachfrage aufzuklären. Gerade bei komplexen und umfangreichen Leistungsbeschreibungen besteht stets die Möglichkeit, dass Bieter einen Aspekt übersehen, der eine angenommene Unklarheit doch beseitigt.
Der Autor Dr. Martin Ott ist Rechtsanwalt und Partner der Sozietät Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Herr Dr. Ott berät und vertritt bundesweit in erster Linie öffentliche Auftraggeber umfassend bei der Konzeption und Abwicklung von Beschaffungsvorhaben. Auf der Basis weit gefächerter Branchenkenntnis liegt ein zentraler Schwerpunkt in der Gestaltung effizienter und flexibler Vergabeverfahren. Daneben vertritt Herr Dr. Ott die Interessen der öffentlichen Hand in Nachprüfungsverfahren. Er unterrichtet das Vergaberecht an der DHBW und der VWA in Stuttgart, tritt als Referent in Seminaren auf und ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichen. Er ist einer der Vorsitzenden der Regionalgruppe Stuttgart des Deutschen Vergabenetzwerks (DVNW).
Guten Tag,
die Entscheidung reiht sich ein in eine Serie von Entscheidungen, die mal so wiedergegeben werden, dass alle Unklarheiten und offenen Punkte zu Lasten zu des Auftraggebers gehen, mal genau umgekehrt.
Meines Erachtens ist zu differenzieren, und nicht plakativ zu sagen, „Unklarheiten“ gingen nun immer zu Lasten der einen oder anderen Partei.
Es ist auszulegen, was Vertragsinhalt war. So hat der BGH es hier getan, und dabei kommt er zu einem nicht zwingenden, aber zur richterlichen Überzeugung ausreichenden Ergebnis, was Vertragsinhalt war, konkret dass Baufreiheit bestehen würde. Dabei ist ein Argument unter vielen, dass der Auftraggeber nach der VOB/A darauf hätte hinweisen müssen, wenn das nicht der Fall ist. Im konkreten Fall hat das m. E. dabei wenig mit der VOB/A zu tun – jeder private Auftraggeber hätte auch auf bestehende Behinderungen hinweisen müssen, wenn er sich nicht später Nachtragsforderungen aussetzen will. Der Auftragnehmer hatte hier, wie der BGH überzeugend ausführt, keinen Anlass, daran zu zweifeln, dass der Auftraggeber alle Behinderungen ausreichend benannt hat.
Eine generelle Regel, dass jeder auslegbare Punkt zu Lasten des öffentlichen Auftraggebers auszulegen ist, besteht aber genau so wenig – und das suggerieren plakative Überschriften beider Seiten nur zu gerne.
Auch und gerade die krass VOB/A-widrige Ausschreibung kann zu einem zivilrechtlich bindenden Vertrag führen. Auch und gerade dort, wo wichtige Angaben zum Sachverhalt ganz offen fehlten, wo dem AN unzulässige Risiken aufgebürdet wurden, wo Abrechnungsregeln bis an die Grenze der Sittenwidrigkeit vereinbart wurden, liegt zwar vielleicht ein Verstoß gegen Vergaberecht vor, aber keine Unwirksamkeit des Vertrages.
Der Bieter auf einen öffentlichen Auftrag ist gut beraten, offene, unklare, widersprüchliche Punkte nicht einfach hinzunehmen und später auf Korrektur durch die Zivilgerichte zu hoffen. Er sollte durch Fragen, ggf. durch Rügen diese Punkte vor Angebotsabgabe klären. So und nur so kann er das Risiko vermeiden, später auf in der Sache begründeten Nachtragsforderungen sitzen zu bleiben.