Bei zweistufigen Verfahren begrenzen Auftraggeber oft die Zahl der Unternehmen, die zur Abgabe eines Angebots aufgefordert werden sollen in der europaweiten Bekanntmachung. Schwierig wird es, wenn sich diese Obergrenze im Nachhinein als zu niedrig herausstellt. Nach einer jüngeren Entscheidung des OLG München bleibt kaum ein Weg, nachträglich mehr Wettbewerber zuzulassen (OLG München vom 21.11.2013 – Verg 9/13).
§ 10 Abs. 3 VOF
Leitsatz (nicht amtlich)
Wurde in der Bekanntmachung eine Höchstzahl von Bewerbern genannt, die zur Angebotsabgabe aufgefordert werden und zugleich darauf verwiesen, dass die Auswahl der Bewerber zur Angebotsabgabe und Aufforderung zur Verhandlung entsprechend § 10 VOF (2009) erfolgen werde, ist es grundsätzlich nicht zulässig, mehr Bewerber zur Verhandlung aufzufordern, als ursprünglich vorgesehen.
Sachverhalt
Bei der Vergabe von Ingenieurleistungen begrenzte der Auftraggeber die Teilnehmerzahl und gab in der Bekanntmachung an, dass mindestens drei und höchstens sechs Teilnehmer zur Angebotsabgabe aufgefordert werden. Er gab dort auch an, dass die Auswahl der Bewerber zur Angebotsabgabe und Aufforderung zur Verhandlung entsprechend §§ 10 und 11 VOF 2009 erfolge. Nach Einleitung eines Nachprüfungsantrags änderte der Auftraggeber seine Auswahlentscheidung zugunsten eines zunächst nicht berücksichtigten Unternehmens und erreichte so die Einstellung des Verfahrens. Da auf dem sechsten Rang nun zwei Unternehmen punktgleich bewertet wurden, forderte er sieben anstelle von sechs Bewerbern zur Angebotsabgabe auf.
Die Entscheidung
Anders als die Vergabekammer sah das OLG München diese nachträgliche Erweiterung des Teilnehmerkreises als vergaberechtswidrig an. Es stellte klar, dass der Auftraggeber grundsätzlich nicht nachträglich von der in der Bekanntmachung angegebenen Höchstzahl abweichen dürfe. Dem Argument, die alternative Möglichkeit einer Entscheidung durch Los sei ultima ratio, folgte es nicht und verwies auf die ausdrückliche Regelung in § 10 Abs. 3 VOF, die der Auftraggeber ausdrücklich in der Bekanntmachung genannt hatte. Alternativ zum Losentscheid habe der Auftraggeber auch die Höchstzahl der Teilnehmer nicht ausschöpfen und keinen der beiden gleich platzierten Bewerber zur Angebotsabgabe auffordern dürfen. Diese Alternativen hätten in einer fehlerfreien Ermessensentscheidung verworfen werden müssen, die auch entsprechend zu dokumentieren gewesen wäre. Das Gericht verpflichtete den Auftraggeber zur Wiederholung der Auswahlentscheidung.
Der Senat grenzte den Fall von einer früheren Entscheidung ab, in der lediglich eine Mindestzahl von drei Bewerbern angegeben wurde. Hier sei es unbedenklich, anschließend vier Bewerber zur Angebotsabgabe aufzufordern (OLG München, Beschluss vom 28.04.2006, Az.: Verg 6/06).
Rechtliche Würdigung
Nicht nur die Beschränkung des Wettbewerbs kann nach dieser Entscheidung vergaberechtswidrig sein, sondern auch die nachträgliche Erweiterung. Das OLG München bindet den Auftraggeber an die bekannt gegebene, maximale Teilnehmerzahl und argumentiert insoweit auch nicht VOF-spezifisch. Die Aussagen dürften daher auch für andere europaweite Vergabeverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb Geltung beanspruchen. Mehr Wettbewerb ist also nicht immer vergaberechtskonform ein Ergebnis, das zunächst überrascht. Die Vergaberichtlinie sieht jedenfalls nur eine Bindung an die bekannt gegebene Mindestzahl ausdrücklich vor (vgl. Art. 44 Abs.3 UAbs.3 RL 2004/18/EG). Der Umkehrschluss, dass eine angegebene Höchstzahl nachträglich überschritten werden darf, läge daher zumindest bei gleich qualifizierten Teilnehmern nahe.
Dass ausgerechnet der zufallsabhängige Losentscheid einer Erweiterung des Teilnehmerkreises vorzuziehen sein soll, steht im Kontrast zu anderen Entscheidungen, die den fehlenden Leistungs-und Eignungsbezug dieses Verfahrens hervorheben (vgl. z.B. VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 02.03.2012, Az.: 1 VK 04/12 zu einem Verfahren nach SektVO; VK Bund, Beschluss vom 25.01.2012, Az.: VK 1-174/11 zu einem Verfahren nach VOL/A). Wichtig ist auch bei Verfahren nach VOF die Einschränkung, dass das Losverfahren nur in den Fällen in Betracht kommen kann, in denen zuvor eine Auswahl anhand geeigneter Auswahlkriterien nicht möglich war (vgl. z.B. OLG Rostock, Beschluss vom 01.08.2003, Az.: 17 Verg 7/03).
Praxistipp
Aus verfahrensökonomischen Gründen ist eine Begrenzung der Teilnehmerzahl in den meisten Fällen grundsätzlich sinnvoll. Erweist sich das Bewerberlimit nachträglich als zu niedrig, gilt es, die Möglichkeiten im Einzelfall abzuwägen. Dabei dürfte nach dieser Entscheidung die Überschreitung der Höchstgrenze nur in ganz außergewöhnlichen Fallkonstellationen überhaupt noch in Betracht kommen, etwa wenn bei Nichtberücksichtigung aller gleich platzierten Teilnehmer die vergaberechtlich vorgegebene oder bekannt gemachte Mindestteilnehmerzahl unterschritten werden müsste. Dies dürfte übrigens erst recht gelten, wenn Teilnahmeanträge in der Wertung nicht gleichrangig, sondern dicht beieinander liegen. Ob das Losverfahren auch ohne Hinweis in der Bekanntmachung generell eine gleichrangige Alternative neben dem Nichtausschöpfen der maximalen Teilnehmerzahl zu sehen sein soll, bleibt offen. Insbesondere bei Verfahren nach VOL/A oder VOB/A ist dies mangels expliziter Regelung dieses Verfahrens allerdings eher zweifelhaft.
Die Autorin Dr. Valeska Pfarr, MLE, ist Rechtsanwältin bei Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Sie ist auf das Vergaberecht spezialisiert, ein Schwerpunkt liegt hierbei auf der Beratung der öffentlichen Hand.
Ich war an der Entscheidung beteiligt und bin insoweit möglicherweise nicht ganz objektiv. Was aber aus der Entscheidung nicht so hervorgeht, ist Folgendes: Zunächst hatte die Vergabestelle 6 Bieter (wie veröffentlicht) geladen. Die Bieter 5 und 6 hatten nach den Eignungskriterien gleiche Punktzahlen. Bieter X wurde nicht geladen, ihm wurde mitgeteilt, dass er ausgeschieden sei – und strengt ein Nachprüfungsverfahren an. Mit Erfolg! Ein Additionsfehler führte dazu, dass er tatsächlich nicht auf Rang 7 lag, sondern auf Rang 5. Erst dann entschied sich die Veragbestelle dazu, die bereits geladenen Bieter 5 und 6 (und jetzt 6 und 7) im Rennen zu belassen – und also 7 Bieter zu laden. Jedenfalls in dieser Sonderkonstellation wäre es m. E. richtig gewesen, die Ladung von 7 Bietern zuzulassen. Genau dies war m. E. eine zulässige Sonderkonstellation. Dem ist aber das OLG nicht gefolgt. Insofern gibt es wohl – jedenfalls im Bezirk des OLG München – künftig nur noch die Möglichkeit des Losentscheids.
Interessant im Übrigen auch der Vorschlag, anstelle des Losentscheids evtl. nur 5 Bieter zu laden, welchen das OLG unterbreitet hat – das ist m. E. erst recht nicht möglich.