In wirtschaftlich starken Zeiten nimmt das Interesse von Unternehmen, sich an öffentlichen Ausschreibungen zu beteiligen, ab. Der Wettbewerbsgrundsatz im Vergaberecht bleibt dann auf der Strecke. Fragt man in die Runde, sind die Verlautbarungen ähnlich: Der Kosten-Nutzen-Aufwand lohne sich nicht, die Anforderungen seien häufig überzogen und benachteiligten den Mittelstand, häufig wisse man auch nicht, ob nicht bereits ein Unternehmen vorausgewählt sei, da bewerbe man sich doch lieber bei privaten Unternehmen. Unser Autor Dr. Roderic Ortner ist der Auffassung, dass Entscheidungen wie die nun vorliegende des OLG Celle diesem Trend Vorschub leisten.
Anhang XIII C. Nr. 13 der Richtlinie 2004/17/EG, § 16 SektVO, § 20 SektVO, § 7 EG Abs. 5 Satz 1 VOL/A, § 19 EG Abs. 8 VOL/A
Sachverhalt
Der Auftraggeber schrieb EU-weit Dienstleistungen im Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb aus. In der Wettbewerbsphase (auch Teilnahmephase genannt) wird allein die Leistungsfähigkeit, Fachkunde und Zuverlässigkeit (Eignung) der Unternehmen geprüft. Die Eignungsanforderungen hat der Auftraggeber in der EU-Bekanntmachung unter Ziffer III.2 festgelegt. Unter anderem fordert er Referenzen gemäß beiliegendem Referenzschreiben. Ein Bewerber verwendete allerdings nicht das beiliegende Referenzschreiben, sondern reichte Referenzen im eigenen Format ab, das von dem beiliegenden Referenzschreiben abwich. In den Unterlagen zum Teilnahmeantrag, die die Bewerber separat per E-Mail anfordern konnten, befand sich folgender Hinweis: Eine Referenz nach Buchst. (a) – (c) wird nur gewertet, wenn die geforderten Angaben vollumfänglich erfolgen und wenn sie durch dasjenige Unternehmen, das Auftraggeber in dem als Referenz angeführten Projekt war, mit beigefügtem Formblatt Bestätigung einer Referenz durch den Auftraggeber bestätigt wird. (). Den Unterlagen lag sodann das (vermeintlich zwingend) zu verwendende Formblatt bei. Da der Bewerber dieses Formblatt nicht verwendete und dadurch Angaben fehlten, wurde er ausgeschlossen. Gegen seinen Ausschluss wendet er ein, dass sich weder das Formblatt noch die darin enthaltenen Anforderungen aus der EU-Bekanntmachung ergäben, sondern erst aus den separat abzufordernden Unterlagen. Außerdem lag den Unterlagen zum Teilnahmeantrag eine fünfseitige Tabelle Auswertung der Anträge auf Teilnahme am Wettbewerb gemäß Bekanntmachung der Vergabeabsicht bei, die eine Bewertungsmatrix enthielt. Auch dies sei nicht aus der EU-Bekanntmachung ersichtlich, so dass der Ausschluss unzulässig gewesen sei.
Die Entscheidung
Das OLG Celle erachtete den Ausschluss für zulässig. Richtigerweise übernimmt das OLG Celle zunächst die Diktion der ständigen Rechtsprechung anderer Senate:
Maßgeblich für die Frage, welche Eignungsnachweise in welcher Form vorzulegen sind, ist grundsätzlich die Bekanntmachung des Vergabeverfahrens. Der Auftraggeber hat bereits in der Vergabebekanntmachung anzugeben, welche Nachweise zur Beurteilung der Eignung von Bietern vorzulegen sind. Diese müssen im Einzelnen aufgeführt werden, damit sich die Bieter darauf einstellen und sich rechtzeitig die entsprechenden Nachweise beschaffen können. Die Angaben der Bekanntmachung zu den mit dem Angebot vorzulegenden Eignungsnachweisen müssen zudem klar und widerspruchsfrei sein. Unklarheiten und Widersprüche gehen zu Lasten des Auftraggebers. Der Auftraggeber ist an seine Festlegung in der Bekanntmachung gebunden und darf in den Verdingungsunterlagen keine Nachforderungen stellen, sondern die in der Bekanntmachung verlangten Eignungsnachweise nur konkretisieren (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 26. März 2012, Verg 4/12, juris Tz. 2; Beschluss vom 2. Mai 2007 – Verg 1/07, juris Tz. 29; OLG Jena, Beschluss vom 21. September 2009 – 9 Verg 7/09, juris Tz. 39 ff., 44; Dittmann in: Kulartz/Marx/Portz/Prieß, VOL/A, 3. Aufl., § 16 Rn. 187, jeweils m. w. N.).
Dann aber folgt die Überraschung:
Die Vergabebekanntmachung hatte nicht den vollständigen Inhalt des zu verwendenden Formulars wiederzugeben. Für den verständigen Bieter war nach der Vergabebekanntmachung aufgrund des Sachzusammenhangs erkennbar, dass das auszufüllende Formular einzelne Details zu den Referenzaufträgen enthielt. Damit waren der Gegenstand sowie Art und Inhalt des zu verwendenden Formulars für die Zwecke der Vergabebekanntmachung hinreichend klar eingegrenzt. Einer weitergehenden Konkretisierung des Inhalts des Eignungsnachweises bedurfte es nicht. Die einzelnen Fragen durften im Sinne einer zulässigen Konkretisierung in den Ausschreibungsunterlagen angegeben werden.
Rechtliche Würdigung
Eine Fehlentscheidung. Die Richter verkennen Sinn und Zweck der EU-Bekanntmachung. Aus dieser sollen interessierten Unternehmen auf einen Blick erkennen können, ob der vakante Auftrag in ihr Portfolio passt (Auftragsgegenstand) und ob sich hinsichtlich ihrer Eignung eine Bewerbung und weitere Befassung mit der Ausschreibung lohnt, ob also ein Unternehmen finanzielle und personelle Ressourcen in ein Vergabeprojekt stecken sollte (vgl. Beitrag von Dr. Roderic Ortner, Die Eignungsprüfung (Teil 1)). Die Anforderungen an die Eignung müssen sich daher vollständig aus der Bekanntmachung ergeben, die Unternehmen sollen vor allem nicht genötigt sein, weitere Unterlagen separat per E-Mail abzufordern, um diese auf möglicherweise weitere Anforderungen und Voraussetzungen durchzuarbeiten, um dann eine Entscheidung für oder wider eine Beteiligung treffen zu können. Oder anders gewendet: Die Unternehmen müssen allein auf Grundlage der EU-Bekanntmachung in die Lage versetzt werden, ihre Eignung darlegen und eine formgerechte Bewerbung abgeben zu können. Weitere Unterlagen dürfen allenfalls Konkretisierungen enthalten, keinesfalls aber Verschärfungen oder Erleichterungen. Dies gilt vor allem, wenn man bedenkt, dass es sich um eine EU-weite Vergabe handelt. Unternehmen aus dem Ausland sind schon häufig gezwungen, die EU-Bekanntmachung in ihre eigene Sprache übersetzen zu lassen, vor dem Hintergrund des Transparenz-, Wettbewerbs- und Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes wäre es zu weitgehend, dass diese nun auch noch die Vergabeunterlagen übersetzen lassen müssten (was dann auch deutlich mehr Zeit beansprucht), um eine erfolgreiche Bewerbung abschätzen zu können. Genau diese Gesichtspunkte hat das OLG Celle verkannt. Hier war es so, dass der EU-Bekanntmachung der Referenzvordruck gerade nicht beilag, denn es ist im SIMAP der EU gar nicht möglich und nicht gewollt dass weitere Unterlagen zum Abruf bereitgestellt werden können. Ohne Studium der weiteren Unterlagen konnte ein Unternehmen gar keinen gültigen Teilnahmeantrag einreichen. Dass das Formular für die Referenz typische zu erwartende Anforderungen enthält, wie das OLG behauptet, trifft schlichtweg nicht zu. Es wundert nicht, dass gleich zwei Bewerber eines ohnehin kleinen Bewerberkreises in die gleiche Falle gelaufen waren. Es wäre für den Auftraggeber ein Leichtes gewesen, die Mindestanforderungen an das Referenzschreiben in die EU-Bekanntmachung zu übernehmen oder zumindest einen Link zu dem Vordruck einzufügen. Veranlassung hierzu sahen die Richter leider nicht. Aus meiner Sicht ein klarer Verstoß gegen den Transparenzgrundsatz des EU-Rechts. Das Gericht hat sich nicht einmal davon beeindrucken lassen, dass die Bewertungsmatrix hinsichtlich der Eignung ebenfalls nicht in der EU-Bekanntmachung reflektiert war. Es ist verblüffend, dass das Gericht die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 22.04.2010, C-423/07, mehrfach zitiert, dann aber nicht danach handelt. O-Ton EuGH (Rn. 59):
Die Wichtigkeit der Bekanntmachung sowohl bei öffentlichen Bauaufträgen als auch bei öffentlichen Baukonzessionen im Hinblick auf die Unterrichtung der Bieter aus den verschiedenen Mitgliedstaaten unter Bedingungen, die dem Gleichbehandlungsgrundsatz Rechnung tragen, wird in Art. 11 Abs. 11 der Richtlinie 93/37 betont, nach dem etwaige Veröffentlichungen von Informationen auf nationaler Ebene nur die im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlichten Angaben enthalten dürfen.
Die Richter haben dem EuGH die Frage nicht zur Entscheidung vorgelegt, obwohl hierzu Anlass bestand. Die Richter weichen m.E. schließlich mit ihrer Entscheidung von der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf und OLG Jena ab (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.11.2012 – Verg 8/12 und vom 12.02.2014 VII-Verg 32/13 sowie OLG Jena, Beschluss vom 16.09.2013 – 9 Verg 3/13) und hätten daher ggf. auch dem Bundesgerichtshof vorlegen müssen.
Öffentliche Auftraggeber außerhalb des Einzugsbereichs des OLG Celle ist weiterhin zu empfehlen, möglichst keine weiteren Anforderungen bzgl. der Eignung außerhalb der EU-Bekanntmachung zu stellen, zumal die Abgrenzung der bloßen Konkretisierung zur Änderung schwierig sein kann. Unternehmen ist zu empfehlen: Verlasst Euch nicht auf die in der EU-Bekanntmachung genannten Eignungsanforderungen, prüft, ob es noch Unterlagen außerhalb der EU-Bekanntmachung gibt, aus denen sich wichtige Erkenntnisse für eine erfolgreiche Bewerbung ergeben könnten. Dem Gesetzgeber ist anzuraten, bei der anstehenden Novelle das Vergaberecht einer ökonomischen Analyse des Rechts zu unterziehen. Das Vergaberecht darf nicht bloßer Selbstzweck sein und zu einer Geheimwissenschaft der Eingeweihten führen.
Roderic Ortner ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Vergaberecht sowie Fachanwalt für IT-Recht. Er ist Partner in der Sozietät BHO Legal in Köln und München. Roderic Ortner ist spezialisiert auf das Vergabe-, IT und Beihilferecht und berät hierin die Auftraggeber- und Bieterseite. Er ist Autor zahlreicher Fachbeiträge zum Vergabe- und IT-Recht und hat bereits eine Vielzahl von Schulungen durchgeführt.
Ich schliesse, auch unter meiner nicht juristischen Sicht, voll den Überlegungen von Herrn Ortner an.
Leider ist es bei deutschen Unternehmen aus meiner Sicht bisher kaum so der Fall, dass ähnlich wie bei einigen Veröffentlichungen der Kommission, die detaillierten Unterlagen direkt mit einem Link herunterzulassen sind.
Aber auch das würde ja die richtige Transparenzforderung von Herrn Ortner nicht erfüllen.
Es ist ja leider auch so, dass die europaweiten Veröffentlichung in TED von keiner Stelle, auch nicht stichprobenweise, kontrolliert werden. Und es ist leider so, dass kaum ein Unternehmen, in dem hier vorliegenden Fall ist ja anders, gegen Fehler und Probleme klagt.