Wenn Auftraggeber wegen zu niedriger Preise ausschließen, muss die Preisprüfung regelgerecht erfolgen. Vorher nicht bekanntgemachte Kriterien bergen Risiken.
Reinigungsleistungen sind personalintensiv. Daher wird gerne an der Schraube Personalkosten gedreht. Dies geht bisweilen zu Lasten der Qualität.
Vergaberechtlich sind nicht nur Stundenverrechnungssätze in der Diskussion (s. hierzu Besprechung von Dr. Rut Herten-Koch.), sondern auch die Frage, welche Reinigungswerte man in welcher Weise vorgeben und bewerten kann. Dies und die Frage, wie eine Preisprüfung korrekt durchgeführt werden sollte, hat das OLG Düsseldorf beschäftigt und zur Entscheidung vom 30.04.2014 geführt.
GWB § 97 Abs. 4 Satz 2; RiLi 2004/18/EG Art. 48; VOL/A 2009 § 19 EG Abs. 6, 9; § 16 Abs. 6
Leitsatz
Sachverhalt
Die Auftraggeberin schrieb im Offenen Verfahren nach der VOL/A Leistungen der Unterhaltsreinigung im Bereich Bonn aus. Die Zuschlagskriterien waren wie folgt:
Nähere Angaben zu diesen Unterkriterien macht der Sachverhalt nicht.
Die Angebote der Antragstellerin wiesen zu den nächst teureren Angeboten einen Abstand zwischen 16% und 23% auf. Dies nahm die öffentliche Hand zum Anlass, eine Preisprüfung vorzunehmen.
Zwischenbemerkung: Es handelt sich hierbei nicht um eine Preisprüfung nach § 9 der Verordnung PR Nr 30/53 über die Preise bei öffentlichen Aufträgen (zum Download der Norm: VO PR 30/53;); s. hierzu Besprechung von Michael Singer. Gemeint ist die Prüfung nach § 19 EG Abs. 6 VOL/A bzw. § 16 Abs. 6 VOL/A (dritte Stufe der Angebotswertung): Dort wird (wenn ein Angebot ungewöhnlich niedrig erscheint) überprüft, ob die Preise in offenbarem Missverhältnis zur Leistung stehen. Mittlerweile hat sich auch hierfür der Begriff Preisprüfung etabliert.
Ergebnis dieser Prüfung war: Nach Ansicht des Auftraggebers hatte das günstigste Unternehmen zu unverhältnismäßig niedrigen Preisen angeboten, die mit Blick auf die angesetzten Leistungswerte (Reinigungsleistung in Quadratmeter/h) keine sorgfältige Reinigung erwarten ließen. Unter anderem deswegen schloss die Antragsgegnerin die Angebote der Antragstellerin von der weiteren Wertung aus. Die Vergabekammer bestätigte den Ausschluss.
Die Entscheidung
Das OLG hat der ausgeschlossenen Antragstellerin Recht gegeben und den Beschluss der VK aufgehoben. Die sofortige Beschwerde war u.a. deswegen begründet:
Nach Ansicht des OLG kann der Reinigungswert bzw. der Personaleinsatz vergaberechtlich folgendes sein:
In jedem Fall hätte der Auftraggeber den Bietern mitteilen müssen, wenn er Reinigungswerte oder den Personaleinsatz bei der Angebotswertung verwenden will.
Der Auftraggeber muss somit die Angebotswertung wiederholen und dabei das vorher ausgeschlossene Angebot der Antragstellerin mit einbeziehen. Ebenso muss er eine geregelte Preisprüfung anstellen und die Vorgaben des OLG beachten. Dieses stellt klar: Wenn der Auftraggeber bestimmte Reinigungswerte im Wege einer Änderung an technischen Spezifikationen oder der Zuschlagskriterien oder durch eine Bedingung an die Auftragsausführung neu in die Ausschreibung einführen will, muss er die Unterlagen abändern und mindestens aber jenen, die Angebote abgegeben haben, aufgrund geänderter Vergabeunterlagen Gelegenheit geben, neue Angebote einzureichen. Wenn er Mindestanforderungen an die Eignung stellen will, muss er dies in der Auftragsbekanntmachung tun, also die Ausschreibung komplett wiederholen.
Rechtliche Würdigung
Zunächst zur Aufgreifschwelle:
Das OLG gibt den aktuellen Stand der Rechtsprechung auszugsweise wieder und bemerkt richtig: Einer exakten Festlegung [der Aufgreifschwelle, Anm. d. Verf.] bedarf es nicht. Nicht thematisiert wird, dass man m.E. gerade wegen der unterschiedlichen Struktur diverser Märkte eine allgemein gültige Aufgreifschwelle gar nicht definieren kann. Bei Bauleistungen beispielsweise bestehen jahrzehntelange Erfahrungen mit Preisstrukturen und detaillierte Kalkulationsraster. Dort sind Preisunterschiede in den Angeboten oft deutlich geringer als in innovativen Dienstleistungsmärkten (wie manchen IT-Bereichen) oder in Branchen, in welchen wenig Erfahrung mit Ausschreibungen besteht und Kostenstrukturen stark divergieren (z.B. Rettungsdienstleistungen).
Das Gericht betont, dass dem Auftraggeber ein Entscheidungsspielraum zuzuerkennen [ist], dessen Ausübung praktisch wie eine Ermessensprüfung von den Vergabenachprüfungsinstanzen lediglich darauf zu kontrollieren ist, ob er einen gemäß den Tatumständen nachvollziehbaren, vertretbaren und nicht willkürlichen Ermittlungsansatz gewählt hat. Dieser Ansatz ist richtig und berücksichtigt die genannten Unterschiede der verschiedenen Märkte.
Mit der Betonung von Transparenz und Gleichbehandlung liegt der Senat sicher nicht falsch. Wir kennen nur die Sachverhaltsangaben im Beschluss; vom Ergebnis her gesehen ist die Entscheidung vermutlich richtig, da schon bei der Preisprüfung anscheinend elementare Grundregeln verletzt worden sind.
Die Kritik des OLG, man hätte den Bietern vorher bekanntgeben müssen, dass man den Reinigungswert bei der Angebotswertung berücksichtigt, muss mit einem kleinen Fragezeichen versehen werden: Aus den Zuschlagskriterien (s.o.) geht hervor, dass qualitative Aspekte jedenfalls im Qualitätsmanagementkonzept und im Dienstleistungskonzept abgefragt wurden. Ausschlaggebend war somit nicht nur der Preis. Da die Personalkosten bei Reinigungsleistungen der hauptsächliche Kostentreiber sind (dies ist z.B. auch bei Rettungsdienstleistungen der Fall), schlägt sich die Qualität verständlicherweise darin nieder, wie viel Personal eine bestimmte Fläche pro Zeiteinheit reinigt. Dies ist fachkundigen Unternehmen auch bewusst. Dass der Auftraggeber diesen Punkt bei den qualitätsorientierten Zuschlagskriterien mit prüft (auch wenn er es nicht explizit bekanntgegeben hat), ist für Branchenunternehmen wohl nicht überraschend.
Zweifel sind auch dort angebracht, wo das OLG verlangt, dass der Auftraggeber konkrete Reinigungswerte in der Auftragsbekanntmachung oder in den Vergabeunterlagen angibt. Die Crux dieser Vorgabe zeigt sich erst auf den zweiten Blick: Wenn man einen optimalen Reinigungswert schon von vornherein vorgibt, so werden sich die Bieter in der Angebotsdarstellung an diesem Wert orientieren. So würde diese Angabe (Motto: Sie erhalten für 250 m2/h oder weniger die Bestpunktzahl, für mehr Fläche/h weniger Punkte) jedenfalls als Qualitätskriterium im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung entwertet.
Dies hat wohl auch der Vergabesenat erkannt und einen abschwächenden Klammerzusatz angefügt: Man könne jedenfalls auch eine Bandbreite angeben.
Denkbar (erfolgreiche Ausschreibungen nach diesem Muster sind aus der Praxis bekannt, waren allerdings noch nicht Gegenstand von Nachprüfungsverfahren) wäre das folgende Vorgehen: Der Auftraggeber legt (wie im besprochenen Fall) fest, dass neben dem Preis auch Qualitätsaspekte über die Wirtschaftlichkeit entscheiden. Bei den Qualitätsaspekten teilt er mit, dass ein Sachverständiger vor Angebotseröffnung einen optimalen Reinigungswert ermitteln wird. Wer im Vergleich zum Optimalwert mehr Fläche pro Zeiteinheit reinigen lässt (also potentiell weniger sorgfältig putzt), erhält Punktabzüge. Wenn dieses Vorgehen von den Bietern nicht rechtzeitig gerügt wird, kann der Auftraggeber diesen Weg mit einiger Sicherheit gehen. Wenn dies gerügt wird, könnte man als Alternative die vom OLG angesprochene Bandbreite bekanntgeben. In jedem Fall können die Bieter ein Angebot mit einem maßgeschneiderten Preis-Leistungs-Verhältnis kalkulieren.
Bedenklich erscheint, dass der Senat die Preisunterschiede zu den nächst teureren Angeboten recht konkret nennt: Im Streitfall unterschreiten die Preisangebote der Antragstellerin […] die nächsthöheren Angebote um mehr als 23 %, um knapp 20 % und um gut 16 %.. Je nach Ausgestaltung der Vorabinformation (diese geht aus dem Text des Beschlusses nicht hervor) wissen die Konkurrenten, ob sie preislich auf Platz 2 lagen. In diesem Fall könnten sie sich die Preise des Billigbieters ausrechnen. Dies widerspricht dem Grundgedanken, dass die Preise jedenfalls bei VOL-Verfahren vertraulich zu behandeln sind (§ 14 Abs. 3 VOL/A, § 17 EG Abs. 3 VOL/A). Wenn es bei den gelegten Angeboten bleibt, wird dies zu verschmerzen sein.Folgeprobleme entstehen jedenfalls dann, wenn der Auftraggeber die Angebotsunterlagen modifiziert hat (z.B. durch Konkretisierung der Vorgaben zur Reinigungsleistung) und die Bieter (so das OLG) nochmals Angebote legen sollen. Ggf. erzeugt dies eine Abwärtsspirale beim Preis und verletzt Bieterrechte. Dieser Unterbietungsmechanismus ist im Vergaberecht jedenfalls außerhalb des Verhandlungsverfahrens nicht gewollt. Dies zeigt sich u.a. im Nachverhandlungsverbot (§ 15 Abs. 3 VOB/A und § 15 S. 2 VOL/A bzw. § 18 EG S. 2 VOL/A hierzu Besprechung von Dr. Daniel Soudry. Wenn die Konkurrenz nun die Preise kennt, könnte ein Verfahrenshindernis vorliegen, welches verhindert, dass man die Ausschreibung mit gleichen Kalkulationsgrundlagen wiederholt.
Praxistipp
Auftraggeber sind dies ist fast ein trivialer Ratschlag gut beraten, jeden Aspekt einer Ausschreibung möglichst im vorhinein auf Transparenz und Gleichbehandlung zu überprüfen. Wichtig ist, bei einer Preisprüfung den folgenden Zweiklang zu dokumentieren:
Dass sich hier die Preisprüfung wohl nur auf den vorher nicht kommunizierten Aspekt der Reinigungsleistung bezogen hat, war für die Niederlage des Auftraggebers ursächlich.
Eine wichtige Voraussetzung für die Preisprüfung ist, dass der Auftraggeber vorher eine aussagekräftige Preisstruktur einführt und ggf. Kalkulationsvorgaben macht. Im konkreten Fall hatte der Auftraggeber wohl erwartet, dass Vorarbeiter vom Putzen freigestellt sind und nur überwachen. Kommuniziert hatte er dies nicht. Dieser Aspekt konnte somit nicht zu Lasten des Reinigungsunternehmens gehen.
Auftragnehmer tun gut daran, bei eventuellen Preisprüfungen gewissenhaft zu antworten. Sie haben eine Mitwirkungsobliegenheit. Das bedeutet: Es gereicht zum Nachteil, wenn man nicht bei der Aufklärung ausreichend mitwirkt. Angenehm für Bieter ist, dass die Transparenzkeule in vielen Fällen greift. Es lohnt sich somit, Verstöße gegen Transparenz und Gleichbehandlung rechtzeitig zu monieren.
Zum Thema Preisprüfung: Bieter sollten plausibel darlegen können, wenn gar kein Unterkostenangebot vorliegt, also jedenfalls eine schwarze Null in der Kalkulation erzielt wird. Unterkostenangebote sind per se nicht unzulässig. Allerdings sollte man in diesem Fall dem Auftraggeber gegenüber glaubhaft machen können, dass der Auftrag dennoch ordentlich durchgeführt wird. Ebenfalls sollte man darlegen können, dass das Unterkostenangebot legitim ist. Anderenfalls droht der Ausschluss. Im konkreten Fall hat das OLG jedenfalls zwischen den Zeilen angedeutet, dass eine strategische Bedeutung eines Auftrages als Referenz ein zulässiges Motiv für ein Unterkostenangebot sein kann. Riskant bleibt die rote Null allemal.
René M. Kieselmann ist Rechtsanwalt und verantwortet als Partner der Sozietät SKW Schwarz Rechtsanwälte das Dezernat Vergaberecht. Er berät zusammen mit seinem Team bundesweit vor allem die öffentliche Hand, aber auch Bieter. Schwerpunkte sind u.a. IT-Vergaben und Rettungsdienst/Bevölkerungsschutz. Er ist Mitglied der Regionalgruppe Berlin/Brandenburg des Deutschen Vergabenetzwerks (DVNW)
Schön, dass es solche Vergaberichtlinien gibt. Heutzutage wollen alle billig haben, am Ende leidet die Qualität darunter. Sowohl der Kunde als auch die eigenen Mitarbeiter sind unglücklich. Das wäre keine Win-Win-Situation.