Auch im Vergaberecht richtet sich der Vertragsschluss nach zivilrechtlichen Grundsätzen – bis hin zum Grundsatz von Treu und Glauben.
Nicht selten kommt es auch bei öffentlichen Aufträgen zu der Situation, dass sich das Angebot des Bieters und die Annahmeerklärung des Auftraggebers nicht decken. Ursache hierfür können bei Beginn des Vergabeverfahrens nicht vorhersehbare Entwicklungen sein, die eine geringfügige Änderung des Vertrages erforderlich machen, ohne die Identität des Beschaffungsgegenstands zu berühren. Diese Anpassungsmöglichkeit auf ist in der VOB/A ausdrücklich vorgesehen (§ 18 Abs. 2 VOB/A; § 18 EG Abs. 2 VOB/A). Häufig sind es vom Auftraggeber im Zuschlagschreiben genannte veränderte Bauzeiten. Der Bundesgerichtshof ist hier bei der Annahme einer Vertragsänderung äußerst zurückhaltend (BGH, Urteil vom 22.07.2010 – VII ZR 129/09).
Eine andere Variante liegt dieser Entscheidung des Bundesgerichtshofes zu Grunde. Der Bieter hat versucht ihm günstige Änderungen des Vertragstextes in seiner Korrespondenz mit dem Auftraggeber zu verstecken. Zwar sind Landgericht und Oberlandesgericht seiner auf formale Vertragsauslegung gestützten Argumentation gefolgt. Der Bundesgerichtshof hat dieses dagegen als treuwidrig zurückgewiesen und so der untergeschoben Vertragsänderung einen Riegel vorgeschoben.
BGB § 150 Abs. 2, § 242; VOB/A § 18 Abs. 2
Leitsatz
- Die Grundsätze von Treu und Glauben erfordern, dass der Empfänger eines Vertragsangebots seinen davon abweichenden Vertragswillen in der Annahmeerklärung klar und unzweideutig zum Ausdruck bringt (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 22.07.2010 – VII ZR 129/09, BauR 2010, 1929 Rz. 26 = NZBau 2010, 628 = IBRRS 2010, 3365).
- Diese Anforderungen können im Einzelfall nicht gewahrt sein, wenn der Empfänger eines schriftlichen Angebots anstelle des ursprünglichen Textes die von ihm vorgenommenen wesentlichen Änderungen mit gleichem Schriftbild so in den Vertragstext einfügt, dass diese nur äußerst schwer erkennbar sind, und in einem Begleitschreiben der Eindruck erweckt wird, er habe das Angebot unverändert angenommen.
Sachverhalt
Der öffentliche Auftraggeber übersendet dem Auftragnehmer einen Vertragsentwurf mit der Bitte um Unterzeichnung. Der Auftragnehmer ändert mit identischer Schrift Vertragsbedingungen im Vertragsentwurf und erklärt in seinem Begleitschreiben:
„Anbei erhalten Sie die beiden Exemplare des Bauvertrags … unterschrieben zur Ihrer weiteren Verwendung zurück. Wir möchten Sie bitten, ein Exemplar unterschrieben an uns zurückzusenden“.
Der Auftraggeber bemerkt diese Änderung nicht und übersendet dem Auftragnehmer ein von ein von ihm gegengezeichnetes Vertragsexemplar.
Bei einer vor Gericht ausgetragenen Nachtragsstreitigkeit kommt es unter anderem auf das vom Auftragnehmer eingefügte Aufrechnungsverbot an. Landgericht und Oberlandesgericht gehen davon aus, dass die Ergänzung durch den Auftragnehmer zu einer Vertragsänderung geführt hat (§ 150 Abs. 2 BGB).
Die Entscheidung
Anders der BGH. Dieser betont, dass auch im Rahmen von § 150 Abs. 2 BGB die Grundsätze von Treu und Glauben anzuwenden sind. Diese erfordern, dass der Empfänger eines Vertragsangebots, wenn er von dem Vertragswillen des Anbietenden abweichen will, das in der Annahmeerklärung klar und unzweideutig zum Ausdruck bringt. Erklärt der Vertragspartner seinen vom Angebot abweichenden Vertragswillen nicht hinreichend deutlich, kommt der Vertrag zu den Bedingungen des Angebots zustande. Das vom Auftragnehmer versteckt eingefügte Aufrechnungsverbot war somit nicht wirksam vereinbart.
Der Auftragnehmer hat seinen Willen, von dem Vertragsangebot des Auftraggebers abzuweichen, nicht klar und unzweideutig zum Ausdruck gebracht. Er hat vielmehr die von ihr gewünschten vertraglichen Bestimmungen anstelle des ursprünglichen Textes mit gleichem Schriftbild so in den Vertragsentwurf des Auftraggebers eingefügt, dass der verbliebene Text lediglich ganz geringfügig und damit äußerst schwer erkennbar verschoben wurde. Dies lässt darauf schließen, dass der Auftragnehmer dem Auftraggeber die abweichenden Vertragsbestimmungen „unterschieben“ wollte, indem er den Eindruck erweckte, an dem Vertragstext keine Veränderungen vorgenommen zu haben. Dieser sich aus der textlichen Gestaltung ergebende Anschein wird durch das Begleitschreiben des Auftragnehmers bestätigt. Denn der Auftragnehmer hat mit der von ihm gewählten Formulierung „anbei erhalten Sie die beiden Exemplare des Bauvertrags … unterschrieben zu Ihrer Verwendung zurück“ aus der Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers zum Ausdruck gebracht, das Vertragsangebot des Auftraggebers unverändert angenommen zu haben. Bei diesem Sachverhalt kommt es nicht darauf an, dass die Änderungen des Vertragstextes ohne Weiteres hätten erkannt werden können, wenn der Auftraggeber den von dem Auftragnehmer unterzeichneten Vertragstext insgesamt durchgelesen und mit seinem Vertragsentwurf verglichen hätte. Denn zu einer solchen Überprüfung bestand für den Auftraggeber im Hinblick auf den von dem Auftragnehmer vermittelten Eindruck, er habe das Vertragsangebot unverändert unterschrieben, keine Veranlassung.
Rechtliche Würdigung
Eine angemessene und im Ergebnis richtige Entscheidung des Bundesgerichtshofes. Er bestätigt damit seine bisherige Rechtsprechung (BGH, Urteile vom 18. November 1982 – VII ZR 223/80, BauR 1983, 252, 253; vom 11. Mai 2009 – VII ZR 11/08, BGHZ 181, 47 Rn. 35; vom 22. Juli 2010 – VII ZR 129/09, BauR 2010, 1929 Rn. 26 = NZBau 2010, 628) und zeigt abermals, dass er bei aller Dogmatik nicht wirklichkeitsfremd entscheidet.
Praxistipp
Die stärkere Betonung des Grundsatzes von Treu und Glauben kann man durchaus kritisch betrachten. Denn sie führt zu noch mehr schwierig vorhersagbaren Einzelfallentscheidungen. Hier war sie aber durchaus gerechtfertigt. Wer heimlich versucht sich Vorteile zu verschaffen, verfälscht den Wettbewerb und soll daraus keine Vorteile ziehen dürfen. Gerade die formalisierte Vergabe öffentlicher Aufträge bietet keinen Raum für Verhandlungen oder sogar untergeschobene Vertragsänderungen.
Übrigens, wer sich technisch gegen untergeschobene Vertragsänderungen wehren will, sollte auf allen Seiten paraphierte und bereits unterschriebene Originaldokumente versenden und nur deren Rücksendung akzeptieren.
Oliver Weihrauch
Oliver Weihrauch arbeitet seit 1995 als Rechtsanwalt, Referent und Autor im Bereich des Vergaberechts. Als of counsel in der Sozietät caspers mock Anwälte berät und vertritt er von Bonn aus bundesweit Auftraggeber und Bieter in Vergabeverfahren und Nachprüfungsverfahren. Im Deutschen Vergabenetzwerk (DVNW) ist er im Vorstand der Regionalgruppe Köln|Bonn|Koblenz.
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