Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht hat sich mit der Kartellrechtswidrigkeit von Bietergemeinschaften beschäftigt. Dabei greift es die Prüfungsschritte auf, die sich bereits bei dem umstrittenen Beschluss des KG Berlin finden (Beschl. v. 24.10.2013, Verg 11/13, Beitrag Nr. 18564 RAin Dr. Herten-Koch), ohne jedoch apodiktisch die Zulässigkeit von Bietergemeinschaften insgesamt in Frage zu stellen. Ferner setzt sich das Gericht mit den Voraussetzungen auseinander, unter denen ein Angebotsausschluss wegen fehlender Nachweise in Betracht kommt.
§ 19 Abs. 3 lit. a, lit. f VOL/A-EG
Leitsatz
Sachverhalt
Eine Bietergemeinschaft bewarb sich um einen Rahmenvertrag über die Lieferung von 38 kompletten Rettungsfahrzeugen sowie zusätzlich von Fahrgestellen für Wechselkoffer. Die Bietergemeinschaft bestand aus drei Unternehmen: einer Vertriebsgesellschaft, einer Herstellerfirma von Fahrzeugen sowie einem jungen, mit der Kofferumsetzung befassten Unternehmen.
Der Vergabestelle sollten ausweislich der Einleitung zum Lastenheft rechtzeitig vor Auslieferung alle geforderten Prüfungen und Nachweise vorgelegt werden, sofern nicht im Leistungsverzeichnis etwas anderes gefordert würde. Nach der dortigen Ziff. 1.02.2 war ein Nachweis über die Einhaltung der DIN EN 1789 hinsichtlich der Haltesysteme zu erbringen. Nach Ziff. 2.11.8 war für den sicheren Transport von Rollstühlen u.a. eine Universalhalterung zu verbauen. Einen ausdrücklichen Hinweis, dass für diese Universalhalterung ebenfalls ein Prüfzertifikat beizubringen sei, enthielt das Leistungsverzeichnis nicht.
Weder die Bietergemeinschaft noch das Unternehmen, das später den Zuschlag erhalten sollte (die Beschwerdeführerin), hatten mit dem Angebot ein Prüfzertifikat zur Belastbarkeit der Universalhalterung vorgelegt. Die Vergabestelle forderte den Nachweis nicht nach. Dennoch reichte die Beschwerdeführerin den Nachweis ein. Die Bietergemeinschaft wurde jedoch wegen Fehlens eines Prüfzeugnisses zur Universalhalterung ausgeschlossen. Hiergegen legte sie erfolgreich Nachprüfungsantrag ein; der bisherige Bestbieter legte Beschwerde ein.
Die Entscheidung
Das Schleswig-Holsteinische OLG ordnete den Ausschluss der Bietergemeinschaft als vergaberechtswidrig ein. Weder der fehlende Nachweis noch die Bildung einer Bietergemeinschaft hätten den Ausschluss gerechtfertigt. Das Verfahren wurde daher in den Stand vor Angebotswertung zurückversetzt.
Dem Leistungsverzeichnis sei eine Pflicht zur Vorlage eines Nachweises zur Belastbarkeit der Universalhalterung nicht zu entnehmen gewesen. Die Nachweisforderung in Ziff. 1.02.2 sei nicht auf die Anforderungen an die Universalhalterung in Ziff. 2.11.8 übertragbar. Daher habe die Bietergemeinschaft davon ausgehen dürfen, dass die Belastbarkeit der Universalhalterung gemäß der Einleitung zum Lastenheft erst vor Auslieferung – d. h. nach Angebotsabgabe – nachzuweisen sei. Eine solche vertretbare Auslegung der Vergabeunterlagen anhand des objektiven Empfängerhorizonts der Bieter dürfe nicht zum Angebotsausschluss führen.
Das Schleswig-Holsteinische OLG beschäftigt sich außerdem in einem obiter dictum mit der Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes bei der Frage, ob ein fehlender Nachweis nachzufordern ist. Wäre der Nachweis vorliegend eindeutig gefordert gewesen, hätte die Vergabestelle den Nachweis von der Bietergemeinschaft nachfordern müssen. Denn der grundsätzlich gegebene Ermessensspielraum sei auf Null reduziert, wenn ein anderer Beteiligter Gelegenheit zur Nachreichung erhielte. Das gelte selbst dann, wenn – wie hier – der andere Beteiligte den fehlenden Nachweis ohne Nachforderungsverlangen vorgelegt hat.
Auch die Bildung einer Bietergemeinschaft konnte nach Ansicht des OLG keinen Angebotsausschluss rechtfertigen. Grundsätzlich könne zwar auch die Bildung einer Bietergemeinschaft eine unzulässige wettbewerbsbeschränkende Abrede darstellen, wenn die Unternehmen im selben Marktsegment im Wettbewerb zueinander stünden und für sich genommen in der Lage wären, an der Ausschreibung teilzunehmen. Umgekehrt liege keine Wettbewerbsbeschränkung vor, wenn erst der Zusammenschluss zu einer Bietergemeinschaft die Möglichkeit eröffne, gemeinsam ein Angebot abgeben zu können. In diesem Fall werde der Wettbewerb nicht nur nicht beschränkt, sondern bestärkt.
Das OLG sah im konkreten Fall die Bildung der Bietergemeinschaft nicht als wettbewerbsschädlich an. Das Gericht folgte dem Vortrag der Bietergemeinschaft im Nachprüfungsverfahren, wonach keine der Firmen den Auftrag allein hätte ausführen können. Es seien keine überzeugenden Anhaltspunkte erkennbar geworden, die eine abweichende Beurteilung gerechtfertigt hätten.
Rechtliche Würdigung
Der Beschluss des Schleswig-Holsteinischen OLG fügt sich ein in eine Reihe von Entscheidungen zur kartellrechtlichen Zulässigkeit von Bietergemeinschaften.
Zuletzt hatte die Entscheidung des KG Berlin vom 24.10.2013 für Wirbel gesorgt. Das Kammergericht hatte die Vorzeichen für die Zulässigkeit von Bietergemeinschaften umgedreht – das Eingehen einer Bietergemeinschaft erfülle ohne Weiteres den Tatbestand einer Abrede bzw. Vereinbarung im Sinne von § 1 GWB. Ähnlich hatte bereits zuvor das OLG Düsseldorf entschieden (Beschl. v. 09.11.2011,Verg 35/11): die gegenseitige Verpflichtung der Mitglieder einer Bietergemeinschaft, von eigenen Angeboten abzusehen, erfülle grundsätzlich den Tatbestand des § 1 GWB.
Demgegenüber hatte das Brandenburgische OLG (Beschl. v. 16.02.2012, Verg W 1/12, Beitrag Nr. 13132 von RA Dr. Seidel) Bietergemeinschaften für grundsätzlich zulässig erachtet. Das Vergaberecht sehe die Bildung von Bietergemeinschaften ausdrücklich vor. Nur wenn der Zusammenschluss ausnahmsweise geeignet sei, die Marktverhältnisse durch Beschränkung des Wettbewerbs spürbar zu beeinflussen, liege eine wettbewerbsbeschränkende Abrede i. S. d. § 1 GWB vor und ein Angebotsausschluss komme in Betracht. Das OLG beruft sich hierbei auf eine Entscheidung des BGH vom 13.12.1983 (KRB 3/83). Die VK Sachsen hat sich ebenfalls dieser Rechtsprechung angeschlossen (B. v. 23.05.2013, 1/SVK/011-14).
Der Linie des OLG Brandenburg (letztlich die des BGH) ist der Vorzug zu geben. Der vergaberechtliche Ausschlussgrund in § 19 Abs. 3 lit. f VOL/A-EG (§ 16 Abs. 1 Nr. 1 lit. d VOB/A-EG) setzt eine unzulässige, wettbewerbsbeschränkende Abrede voraus und knüpft damit an § 1 GWB an. Der Tatbestand des § 1 GWB ist jedoch nicht bereits in jedem Fall eines Zusammenschlusses verwirklicht, sondern setzt voraus, dass mit der Abrede eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirkt wird. Demnach sind Bietergemeinschaften auch nach § 1 GWB nicht grundsätzlich verboten. Das hat auch im Vergaberecht zu gelten.
Letztlich kommt es jedoch auf die Richtung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses gar nicht an. Denn die Überprüfung, ob die Bildung der Bietergemeinschaft im Einzelfall zulässig ist, läuft immer auf die Frage hinaus, ob eine Wettbewerbsbeeinträchtigung gegeben ist. Demgemäß hat sich auch das OLG Schleswig nicht festgelegt, ob es die Bildung einer Bietergemeinschaft vom Ansatz her als wettbewerbswidrig erachtet, sondern im konkreten Fall geprüft, ob eine wettbewerbsbeschränkende Abrede vorlag oder nicht.
Letztlich prüfen alle Gerichte trotz unterschiedlicher Vorzeichen ähnliche Voraussetzungen der Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit einer Bietergemeinschaft:
Praxistipp
Das OLG Schleswig trifft leider keine Aussage dazu, ob der Auftraggeber grundsätzlich zur Überprüfung von Bietergemeinschaften verpflichtet ist. In dem konkreten Fall kam das Thema erst im Nachprüfungsverfahren auf. Nach wie vor ist daher unklar, wie in der Praxis mit dem Problem eine möglichen wettbewerbswidrigen Wirkung von Bietergemeinschaften umzugehen ist.
Es würde einen unverhältnismäßigen Aufwand bedeuten, von allen Bietergemeinschaften Eigenerklärungen über das Nichtvorliegen von wettbewerbswidrigen Absprachen zu verlangen, zumal die Aussagekraft solcher Eigenerklärungen begrenzt sein dürfte. Denkbar ist hingegen, bei gefährdeten Märkten zum einen Unternehmensdarstellungen von den Mitgliedern der Bietergemeinschaft und zum anderen Angaben zur Aufgabenteilung innerhalb der Bietergemeinschaft zu verlangen. Ergeben sich hieraus Indizien, die für eine Einschränkung des Wettbewerbs sprechen, muss die Vergabestelle die Unternehmen um Aufklärung ersuchen. Erst wenn die Aufklärung ergibt, dass der Zusammenschluss eine Wettbewerbsbeschränkung bewirkt, ist das Angebot der Bietergemeinschaft auszuschließen.
Wem letztlich die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen einer Wettbewerbsbeschränkung obliegt, ist ebenfalls unklar. Die Argumentation des KG Berlin spricht für eine Umkehr zu Lasten des Bieters – gelingt es ihm nicht, den Verdacht der Wettbewerbsbeschränkung auszuräumen, ist das Angebot auszuschließen. Das ist sachgerecht, da die Vergabestelle regelmäßig keinen Einblick in die Belange der Unternehmen hat und es daher diesen obliegt, Zweifel zu beseitigen (vgl. zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Fall von gesellschaftsrechtlicher Verflechtungen zweier Bieter OLG Düsseldorf, Beschl. v. 13.04.2011, VII-Verg 4/11; Beitrag Nr. 10549, von RA Dr. Soudry ).
Das zweite interessante Problem der Entscheidung, nämlich der Umgang mit Unklarheiten bei der Frage, welche Nachweise bereits mit dem Angebot vorzulegen sind, lässt sich durch Vorlage der nach § 9 Abs. 4 VOL/A-EG ohnehin vorgeschriebenen Liste aller einzureichenden Unterlagen umgehen (die Liste fehlte im vorliegenden Verfahren). Auch außerhalb des Anwendungsbereiches der VOL/A-EG empfiehlt sich die Beifügung einer solchen Liste. Fehlen dennoch einmal Unterlagen, sollten Auftraggeber bei der Entscheidung über eine Nachforderung peinlich genau auf die Gleichbehandlung aller Bieter achten.
Die Autorin Sonja Stenzel ist Rechtsanwältin in Berlin und bei der BG Kliniken - Klinikverbund der gesetzlichen Unfallversicherung gGmbH tätig.
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