Das vergaberechtliche Transparenzgebot des § 97 Abs. 1 GWB gebietet es, dass der öffentliche Auftraggeber „die Formel, unter deren Zuhilfenahme die angebotenen Preise der Bieter in Wertungspunkte umgerechnet“ werden, den Bietern vor Angebotsabgabe bekanntgibt, so die 1. Vergabekammer des Bundes (VK Bund) in ihrem Beschluss vom 3. März 2015, Az.: VK 1-4/15.
Denn auch bei der eingesetzten Umrechnungsformel handelt es sich „um eine (Unter-)Gewichtung des Zuschlagskriteriums Preis“, die für die Bieter „von grundlegender Bedeutung“ ist, denn „es können (…) sich – jeweils von der eingesetzten Preisumrechnungsformel abhängig – höhere oder niedrigere Punktabstände in der Preiswertung auf das Gewicht des Preises in der Gesamtwertung auswirken“.
I. Die Formelwahl beeinflusst die Gewichtung
Die VK Bund führt in dem Zusammenhang weiter aus, dass unterschiedliche Umrechnungsformeln, auf einen identischen Sachverhalt angewandt, regelmäßig unterschiedliche Resultate hervorbringen können. Werde die Zuschlagsformel den Bietern nicht bekannt gemacht, dann sei es laut der Vergabekammer möglich, dass die Bieter nicht dazu in der Lage sind, die Erfolgschancen ihrer Angebote einzuschätzen und diese gegebenenfalls durch Verändern des angebotenen Preises zu optimieren. Daher folge aus dem Transparenzgebot des § 97 Abs. 1 GWB die Pflicht, die Zuschlagsformel bekannt zu geben, sodass bei fehlender Bekanntgabe der Umrechnungsformel ein Vergaberechtsverstoß vorliegt.
Die Vergabekammer stellt insoweit klar, dass die Wahl der Zuschlagsformel die Gewichtung des Preises beeinflusst. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt sollte der Zuschlag auf das Angebot mit der höchsten Punktwertung erteilt werden. Die maximal erreichbaren 100 Bewertungspunkte setzten sich aus maximal 30 Punkten für den niedrigsten Angebotspreis und maximal 70 erreichbaren Punkten für die inhaltliche Ausgestaltung (Qualität) des Angebots zusammen, also eine angebliche Gewichtung Preis/Qualität im Verhältnis von 30 zu 70. Weitere Angaben zur Preisbewertung und zur gewählten Wertungsformel waren in den Vergabeunterlagen nicht enthalten.
II. Formelvarietät
Für die Umrechnung des Angebotspreises in Wertungspunkte („Preispunkte“) gibt es jedoch mehrere alternative Formeln, mit denen die Umsetzung der in den Vergabeunterlagen festgelegten Vorgaben scheinbar möglich ist. Zu nennen sind hier – als die in der Praxis am häufigsten anzutreffenden Methoden – die UfAB-II Formel, die Interpolationsmethoden sowie die Gewichteten Richtwertmethoden der UfAB (Median-, Referenzwert- und Mittelwertmethode):
– die UfAB-II Formel:
Preispunkte = 30 x Pmin / PAngebot
– die einseitige Interpolationsmethode, die zwischen dem niedrigsten und dem Doppelten des niedrigsten Preises interpoliert – einseitig deswegen, weil die Interpolation nur vom niedrigsten Angebotspreis Pmin abhängt:
Preispunkte = 30 x (2 – PAngebot / Pmin)
– die beidseitige Interpolationsmethode, die zwischen dem niedrigsten und dem höchsten Preis interpoliert – beidseitig deswegen, weil die Interpolation von zwei Werten Pmin und Pmax abhängt:
Preispunkte = 30 x (Pmax – PAngebot ) / (Pmax – Pmin )
(Die Korrektheit der Formel für die Ermittlung der Preispunkte kann man leicht nachvollziehen, indem man PAngebot = Pmin einsetzt. Die einseitige Interpolation ist eine Spezialausprägung der beidseitigen Interpolation, die sich ergibt, indem man Pmax = 2 x Pmin einsetzt.)
Die ebenfalls mit einer Preis-Leistungsgewichtung arbeitenden Gewichteten Richtwertmethoden der UfAB (Median-, Referenzwert- und Mittelwertmethode) basieren alle auf folgender Grundform:
und unterscheiden sich nur in der Art der Normierung von Leistung und Preis, nämlich Normierung auf den Median bzw. einen vorgegebenen Referenzwert bzw. den Mittelwert der Leistungskennzahlen respektive der Angebotspreise der wertungsfähigen Angebote.
In dem von der VK Bund nun entschiedenen Fall hatte die Vergabestelle letztlich die UfAB-II Formel angewendet. Die erkennende Kammer kritisierte die UfAB-II Formel dahingehend, dass sie tendenziell teurere Angebote bevorzugen würde bzw. hohe Preisabstände zu anderen in der Praxis üblichen (und noch vertretbaren) Umrechnungsformeln relativ wenig sanktionieren würde, wies im Ergebnis den Nachprüfungsantrag aber als unbegründet zurück, da eine Verschlechterung der Zuschlagschancen und damit die erforderliche subjektive Rechtsverletzung der Antragsgegnerin nicht gegeben sei. Ob die an der UfAB-II Formel geäußerte Kritik, dass diese weniger preissensitiv sei als andere Formeln, tatsächlich zutrifft, kann nach Auffassung der Verfasser nicht grundsätzlich bestätigt werden, indem theoretische Berechnungen zeigen, dass es zumindest mit der beidseitigen Interpolationsmethode eine Formel gibt, die unter Umständen in bestimmten Bereichen weniger preissensitiv ist als die UfAB-II Formel. Eine ausführlichere Auseinandersetzung mit dieser Thematik wird in einem mathematischen Exkurs zum Vergleich von Zuschlagsformeln als gesondertem Beitrag „Zur Preissensitivität von Zuschlagsformeln“ beleuchtet, vgl.
.III. Weiterreichende Auswirkungen der Formelwahl
Überdies gibt die von der Vergabekammer geäußerte Kritik an der Wertungsformel Anlass, über weiterreichende Auswirkungen der Wahl der Wertungsformeln nachzudenken:
a) Mindestwertungsanteil des Preises von 30 % eingehalten?
Wenn die UfAB-II Formel im Vergleich zu anderen Formeln tatsächlich – wie von der 1. VK Bund angenommen – tendenziell teure Angebote bevorzugt, stellt sich im Anschluss die Frage, ob dann die vom Auftraggeber beabsichtigte und gegenüber den Bietern bekannt gegebene Gewichtung des Preises von 30 % unter Anwendung der gewählten Wertungsformel – hier UfAB-II Formel – auch tatsächlich eingehalten wird. Würde die UfAB-II Formel das jedoch leisten, so müssten in der Folge die anderen möglichen Zuschlagsformeln – mit abweichenden Wertungsergebnissen – diese beabsichtigte Gewichtung des Preises gerade nicht einhalten. Da die Angebotswerte (Preise und Leistungswertungen der Angebote) immer unverändert vorliegen und wenn dann alle Formeln den Preis mit genau 30 % berücksichtigen würden, müssten auch alle Formeln zum selben Wertungsergebnis kommen, was aber nicht der Fall ist – wie auch die 1. VK Bund feststellte. Also ist im Umkehrschluss festzuhalten, dass die Formeln gerade nicht allesamt den Preis mit 30% berücksichtigen.
Folglich ist umgekehrt davon auszugehen, dass dann, wenn eine der anderen Formeln die festgelegte Preisgewichtung von 30:70 einhalten würde, die UfAB-II Formel, die hohe Preise entsprechend der VK Bund Entscheidung im Vergleich schwächer sanktionieren soll, in der Konsequenz nicht einmal das gesetzte Verhältnis 30:70 umsetzen dürfte, was – nicht zuletzt seit dem Beschluss des OLG Dresden vom 5. Januar 2001, WVerg 11/00 und WVerg 12/00 – ebenfalls als vergaberechtlich bedenklich anzusehen ist.
b) Begründung der Formelwahl
Dies führt darüber hinaus zu einer weiteren Konsequenz: Gemäß § 21 EG Abs. 1 VOL/A ist der Zuschlag auf das unter Berücksichtigung aller Umstände wirtschaftlichste Angebot zu erteilen. Wie die VK Bund in ihrem oben zitierten Beschluss vom 3. März 2015 ausführt, handelt es sich bei der verwendeten Wertungsformel „ebenfalls um eine (Unter-)Gewichtung des Zuschlagskriteriums Preis“. Da die Wahl der Zuschlagsformel das Wertungsergebnis – und damit die gewählte Wirtschaftlichkeit – erheblich beeinflusst, ist davon auszugehen, dass auch die Wahl der Bewertungsformel zu den gemäß § 21 EG Abs. 1 VOL/A zu berücksichtigenden Umständen zählt. Die VK Bund hat daher – zu Recht – nochmals klargestellt, dass der öffentliche Auftraggeber die Wertungsformel für die Preise aus Transparenzgründen vor Angebotsabgabe bekannt geben muss. Hat die Wahl der Wertungsformel selbst aber Auswirkungen auf die Preisbewertung, so muss dem Bieter dann im Sinne des Transparenzgebots gemäß § 97 Abs. 1 GWB ebenso offen gelegt werden, wie die gewählte Wertungsformel das Wertungsergebnis bzw. entsprechend, wie sie die für das jeweilige Vergabeverfahren festgelegte Wirtschaftlichkeit jeweils beeinflusst. Zudem müssten in der Konsequenz die entsprechenden Gründe für die Wahl der jeweiligen Wertungsformel nachvollziehbar dokumentiert werden.
Diese Erläuterung im Rahmen der Verfahrensdokumentation dürfte, um dem Anspruch der Transparenz und Nachvollziehbarkeit zu erfüllen, keinesfalls trivial sein – bedenkt man beispielsweise, dass viele dieser Formeln seltsame Wertungseffekte wie z.B. den „Flipping-“ oder den „Pump-Effekt“ aufweisen. Denn solche Effekte treten auch und gerade bei der UfAB-II Formel, aber auch bei den Varianten der Interpolationsmethoden oder den Gewichteten Richtwertmethoden der UfAB auf. In „besondere Erklärungsnot“ wird auch der Anwender des Vergabehandbuchs gebracht, da danach im Formblatt 227 die – nach der vorstehenden Argumentation vergaberechtlich bedenkliche – einseitige Interpolationsmethode bereits fest vorgegeben wird.
IV. Praxistipp: Das Preis-Leistungsverhältnis zur Bestimmung der Wirtschaftlichkeit
Empfehlenswert ist vor diesem Hintergrund daher in der Praxis für die Auftraggeber ein Abrücken von sämtlichen Formeln, die eine Gewichtung zwischen Preis und Leistung versuchen wollen, zu Gunsten der Anwendung der Einfachen oder Erweiterten Richtwertmethode nach der aktuellen UfAB V Version 2. Denn die Anwendbarkeit dieser Methoden ist bereits mit der in der Betriebswirtschaft allgemein anerkannten Definition der Wirtschaftlichkeit zu begründen. Danach ergibt sich die Wirtschaftlichkeit aus dem Verhältnis (Quotienten) von Ertrag und Aufwand, gemeinhin dem Preis-Leistungsverhältnis. Genau dieses Verhältnis wird von der Einfachen und der Erweiterten Richtwertmethode umgesetzt.
Diese Wahl dürfte auch im Hinblick auf die neuen EU-Vergaberichtlinien und deren anstehende Umsetzung in nationales Recht vorzugswürdig erscheinen. Nach Art. 67 Abs. 1 der neuen Richtlinie 2014/24/EU ist der Zuschlag auf der Grundlage des „wirtschaftlich günstigsten Angebots“ ( sog. MEAT – „most economically advantageous tender“) zu erteilen, das gemäß der Konkretisierung im nachfolgenden Art. 67 Abs. 2 das „beste Preis-Leistungs-Verhältnis“ (best price-quality ratio) lediglich beinhalten kann. Im Erwägungsgrund (89) zur Richtlinie 2014/24/EU wird mit dem Ziel der einfachen und übersichtlichen Darstellung der Zuschlagskriterien empfohlen, den schon in den Richtlinien 2004/17/EG und 2004/18/EG verwendeten Begriff des „wirtschaftlich günstigsten Angebots“ (sog. MEAT) lediglich als „übergeordnetes Konzept“ zu verwenden und in Abgrenzung dazu den Begriff des „besten Preis-Leistungs-Verhältnisses“ (best price-quality ratio) zu nutzen. Der deutsche Gesetzgeber sieht in dem aktuellen Referentenentwurf vom 05.05.2015 bislang vor, im Sinne des beschriebenen Erwägungsgrundes (89), das wirtschaftlichste Angebot nach dem „besten Preis-Leistungs-Verhältnis“ zu bestimmen (vgl. § 127 GWB-E). Der Wortlaut „Verhältnis“ bzw. im Englischen „ratio“ dürfte dabei – im Sinne der Einfachheit und Übersichtlichkeit der Zuschlagskriterien – für die Anwendung des mathematischen Verhältnisses, d.h. dem mathematischen Quotienten aus den Wertungskennzahlen für Leistung und Preis sprechen.
Kontribution
Der Beitrag wurde gemeinsam mit Frau Dr. Reichling verfasst.
Dr. Ingrid Reichling
Dr. Ingrid Reichling ist Rechtsanwältin und Partnerin der Sozietät GvW Graf von Westphalen Rechtsanwälte Partnerschaft mbB. Als Leiterin der überörtlichen Praxisgruppe Vergaberecht ist sie seit 1995 auf das Vergaberecht spezialisiert und berät seitdem die öffentliche Hand ebenso wie private Unternehmen bei nationalen und europaweiten Vergabeverfahren und Ausschreibungen, Privatisierungen, PPP/ÖPP sowie bei Out-/ Insourcing. Zudem hat Dr. Reichling langjährige Erfahrung in der Vertretung bei Nachprüfungsverfahren vor den Vergabekammern und Vergabesenaten der Oberlandesgerichte ebenso sowie bei sonstigen Rechtsstreitigkeiten, Schadensersatzprozessen, bei Verhandlungen und im Vertragsmanagement. Frau Dr. Reichling ist Autorin zahlreicher nationaler und internationaler Veröffentlichungen sowie Referentin bei Fachtagungen, Seminaren und Inhouse-Schulungen zum Vergaberecht sowie Dozentin im Fachanwaltslehrgang Vergaberecht der Deutschen Anwaltsakademie.
Wolfgang Bartsch
Dipl.-Inform. (univ.) Wolfgang Bartsch ist Managing Consultant im Bereich Beschaffungsberatung bei der IABG mbH. Er berät öffentliche Auftraggeber und Bieter bei Vergabeverfahren, insbesondere bei Ausschreibungen von komplexen und technisch anspruchsvollen IT-Lösungen wie beispielsweise landesweite Behördennetze oder große Outsourcingvorhaben. Seit vielen Jahren untersucht er Zuschlagsformeln auf mathematische Schwächen und hat dazu unter anderem auch die UfAB Arbeitsgruppe beraten.
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