Wer Nebenangebote zulassen möchte, darf nicht allein den Preis zum Zuschlagskriterium wählen: so schien die Rechtslage nach der Entscheidung des BGH im Januar 2014, welche die damalige Rechtsauffassung des OLG Düsseldorf bestätigte. Nunmehr jedoch scheint dieses das selbsterwirkte Dogma – erstaunlicherweise bislang weitgehend unbemerkt – wieder zu relativieren. Haben Auftraggeber also wieder mehr Freiheit im Umgang mit Nebenangeboten?
§ 97 Abs. 5 GWB, Art. 24 Abs. 1 RL 2004/18/EG, Art. 45 RL 2014/24/EU
Leitsätze (nicht amtlich)
Sachverhalt
Im entschiedenen Fall benannte der Auftraggeber in der europaweiten Bekanntmachung als Zuschlagskriterium das „wirtschaftlich günstigste Angebot“, teilte den Bietern jedoch die dafür maßgeblichen Unterkriterien zu keinem Zeitpunkt mit. Entgegen der Angabe in der Bekanntmachung erklärte er den Bietern zudem mündlich in Vorstellungsgesprächen, dass er Nebenangebote zulasse, die nachgewiesenermaßen gleichwertig zum Entwurf des Bauherrn seien. Ebenfalls lediglich mündlich erläuterte er den Umfang zulässiger Abweichungen.
Der Auftraggeber wählte das preisgünstigste Hauptangebot für den Zuschlag aus. Einen unterlegenen Bieter informierte er darüber, dass sein Nebenangebot nicht zu werten sei, da Nebenangebote nicht zugelassen worden seien. Dieser Bieter leitete ein Nachprüfungsverfahren ein. Er wehrte sich gegen den Ausschluss seines Nebenangebots, auf das seiner Ansicht nach der Zuschlag zu erteilen sei. Er wies darauf hin, dass bei Zulassung von Nebenangeboten der Zuschlag nicht allein auf Grundlage des Preises erteilt werden dürfe.
Die Entscheidung
Teils mit Erfolg! Der Auftraggeber durfte das Nebenangebot zumindest nicht einfach ausschließen und den Zuschlag auf das ausgewählte Hauptangebot erteilen. Ob und ggf. unter welchen Bedingungen Nebenangebote nachträglich zugelassen waren, war den Bietern nämlich nicht in hinreichend transparenter Weise mitgeteilt worden. Diesen Transparenzmangel konnte der Auftraggeber auch nicht dadurch beheben, dass er anschließend – ebenso intransparent – Nebenangebote wieder ausschloss. Um diese Vergaberechtsverstöße zu beseitigen, musste er das Vergabeverfahren in den Stand vor Versendung der Vergabeunterlagen zurückversetzen.
Nebenangebote können im Preiswettbewerb zulässig sein
In Bezug auf die Fortsetzung des Vergabeverfahrens verwies das Gericht zunächst auf die grundlegende Entscheidung des BGH zu Nebenangeboten im Preiswettbewerb (Urteil vom 7. Januar 2014, Az.: X ZR 15/13). Nebenangebote erfordern demzufolge einen weiteren Wertungsschritt in der Angebotswertung, der einen Qualitätsvergleich zwischen Haupt- und Nebenangeboten ermöglicht. Der BGH hatte damals entschieden, dies werde „nur durch Festlegung aussagekräftiger, auf den jeweiligen Auftragsgegenstand und den mit ihm zu deckenden Bedarf zugeschnittener Zuschlagskriterien gewährleistet“ sei.
Das OLG Düsseldorf ergänzte nun, dass Auftraggeber die geforderte Vergleichbarkeit von Haupt- und Nebenangeboten auch anhand von „geeigneten, spezifischen Gleichwertigkeitsanforderungen“ sicherstellen könnten. In diesem Fall sei die Wertung von Haupt- und Nebenangeboten allein anhand des Preises weder nach Unions- noch nach nationalem Recht vergaberechtswidrig.
Rechtliche Würdigung
Verhältnis zur Rechtsprechung des BGH
Auf den ersten Blick scheint diese weiterführende Aussage im Widerspruch zu der Entscheidung des BGH zu stehen. Ihm zufolge war eine vergaberechtskonforme, vergleichende Bewertung von Haupt- und Nebenangeboten gerade nicht allein schon dadurch gewährleistet, dass man in einem Preiswettbewerb die „Gleichwertigkeit“ von Nebenangeboten fordert.
Andererseits stellt sich die Frage, ob die seitens des OLG Düsseldorf nunmehr zugelassene Gleichwertigkeit „anhand geeigneter, spezifischer Parameter“ nicht über die „Gleichwertigkeit“ hinausgeht, die der BGH seinerzeit als nicht ausreichend bezeichnet hatte? Dafür könnte zumindest sprechen, dass der BGH bei genauerem Lesen der Entscheidung auf eine Gleichwertigkeit abstellte, „für die es keine benannten Bezugspunkte gibt, weil der Preis das einzige Zuschlagskriterium sein soll“. Man könnte also beide Entscheidungen durchaus so verstehen, dass Nebenangebote jedenfalls dann im reinen Preiswettbewerb zulässig sein sollen, wenn sie in Bezug auf – durch den Auftraggeber im Vorfeld konkret bestimmte -Eigenschaften nachgewiesenermaßen gleichwertig sind mit einem Hauptangebot. Diese Lesart wirft allerdings einige Fragen auf.
Verhältnis zu Vergaberichtlinien?
Unklar ist zunächst die gemeinschaftsrechtliche Rechtsgrundlage. Weder die alten, noch die neuen Vergaberichtlinien fordern nämlich in Bezug auf Varianten deren „Gleichwertigkeit“. Sie regeln nur, dass „Mindestanforderungen“ festzulegen sind. Darüber hinaus legen die Vergaberichtlinien im Zusammenhang mit Nebenangeboten Anforderungen an die Zuschlagskriterien fest. Art. 24 Abs. 1 RL 2004/18/EG regelte, dass Nebenangebote zugelassen werden können, wenn Aufträge nach dem Kriterium des „wirtschaftlich günstigsten Angebots“ vergeben werden. Art. 45 Abs. 2 RL 2014/24/EU sieht im Gegensatz dazu lediglich noch vor, dass die gewählten Zuschlagskriterien sich sowohl auf Haupt- als auch auf Nebenangebote anwenden lassen müssen. Der Begriff der „Gleichwertigkeit“ wird hier mit keiner Silbe erwähnt – obwohl er dem EU-Vergaberecht nicht fremd ist, wie beispielsweise ein Blick in die Bestimmungen zu den Anforderungen an technische Spezifikationen (Art. 23 Abs. 8 RL 2004/18/EG; 42 Abs.4 RL 2014/24/EU) zeigt.
Anforderungen im Detail offen
Zudem fragt sich, welche genauen Anforderungen an die Ausgestaltung solcher Gleichwertigkeitsanforderungen in der Praxis zu stellen sind und wie diese im Einzelnen geprüft werden müssen. Das Gericht fordert bestimmte Parameter, “die sich eigenen“, um die geforderte Vergleichbarkeit von Haupt- und Nebenangeboten herzustellen. Wie genau diese aussehen sollen, bleibt aber offen. Ob es im entschiedenen Fall ausgereicht hätte, den zulässigen Umfang von Abweichungen zu definieren, lässt sich der Entscheidung nicht entnehmen. Denkbar wäre zwar, insoweit ähnliche Maßgaben anzunehmen wie in Bezug auf „gleichwertige“ Produkte bei Leitfabrikaten (vgl. z.B. VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.01.2015, Az.: 1 VK 59/14). Um allerdings die maßgebenden Eigenschaften eines Nebenangebots ähnlich konkret benennen zu können, müsste der Auftraggeber dieses bereits gedanklich vorweg nehmen. In Bereichen mit echtem Innovationspotential dürfte das nur schwer möglich sein.
Praxishinweis
In engen Grenzen scheint das OLG Düsseldorf Nebenangebote im Preiswettbewerb nun doch zuzulassen. Welche genauen Anforderungen an die dafür erforderlichen „spezifischen“ Gleichwertigkeitsanforderungen zu stellen sind, ergibt sich aus der Entscheidung allerdings leider nicht. Für die Praxis dürfte es daher empfehlenswert sein, insoweit die Umsetzung der neuen Vergaberichtlinien in nationales Recht und die diesbezügliche Rechtsprechung abzuwarten.
Die Autorin Dr. Valeska Pfarr, MLE, ist Rechtsanwältin bei Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Sie ist auf das Vergaberecht spezialisiert, ein Schwerpunkt liegt hierbei auf der Beratung der öffentlichen Hand.
Spannende Entscheidung. Der Satz in der Entscheidung, Rdn. 39: „Erfolgt eine Wertung der Nebenangebote anhand aussagekräftiger und einen Qualitätsvergleich ermöglichender Zuschlagskriterien oder anhand geeigneter, spezifischer Gleichwertigkeitsanforderungen, ist eine Wertung von Haupt- und Nebenangeboten anhand des Preises weder nach nationalem, noch nach Unionsrecht ausgeschlossen.“ ist für mich auch wenig nachvollziehbar. Wenn ich eine Wertung mittels Qualitätskriterien oder „spezifischer Gleichwertigkeitskriterien“ vornehme, habe ich doch schon keine Wertung „nur“ nach dem Preis mehr.