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Die Markterkundung – das unbekannte Wesen

Fünf weit verbreitete Irrtümer über die Grenzen des Vergaberechts

Kommt die Sprache auf eine Markterkundung, läuten in vielen Vergabestellen die Warnglocken. Es herrscht die Überzeugung vor, eine Markterkundung sei generell unzulässig. Öffentliche Auftraggeber dürften nicht mit einzelnen Unternehmen über Auftragsinhalte oder mögliche Lösungen sprechen. Dies beeinträchtige den Wettbewerb und verletze das Gebot der Gleichbehandlung.

Nur: Stimmt das? Im Folgenden soll 5 weit verbreiteten Irrtümern auf den Grund gegangen und aufgeklärt werden, was unzulässig ist und was erlaubt.

1. „Das Vergaberecht verbietet Markterkundungen“

Falsch!

Richtig ist:

Die §§ 2 Abs. 4 von VOB/A, EG VOB/A und VS VOB/A, die §§ 2 Abs. 3 VOL/A und EG VOL/A sowie § 10 Abs. 4 VSVgV regeln allesamt im Wesentlich wortgleich:

„Die Durchführung von Vergabeverfahren lediglich zur Markterkundung ist unzulässig.“

Nur wenn die Markterkundung im Wege eines Vergabeverfahrens erfolgt, ist sie also verboten. Der Grund liegt auf der Hand: Bieter sollen darauf vertrauen dürfen, dass ihre Aufwendungen in Vergabeverfahren nicht von vornherein nutzlos sind und dass Auftraggeber ihre Vergabeverfahren, von Fällen der berechtigen Aufhebung abgesehen, durch einen Zuschlag beenden.

Mehr noch: Die Markterkundung ist in vielen Bereichen des Wirtschaftslebens gar nicht zu wegzudenken. Bei relativ speziellen Beschaffungen, wie etwa Personaldienstleistungen, entwickeln sich Geschäftsmodelle und verfügbare Lösungen laufend fort. Öffentliche Auftraggeber können mit aktuellen Entwicklungen häufig nicht Schritt halten. Dies gilt ebenso für komplexe Beschaffungsvorhaben in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit oder IT. Hier ist die Markterkundung nicht Hindernis, sondern Mittel zum Zweck. Mit ihrer Hilfe können sich Auftraggeber innerhalb eines überschaubaren Zeitfensters und mit begrenztem Aufwand über die vorzugswürdige Beschaffung informieren.

Deshalb verwundert es nicht, dass die Freie und Hansestadt Hamburg in ihrem „Leitfaden für die Vergabe von Lieferungen und Leistungen“  aus dem Jahr 2013 ausführlich auf die Markterkundung eingeht. Dort wird die Markterkundung in folgenden Fällen ausdrücklich empfohlen:

„Zur Klärung eines möglichen Bedarfs sowie der damit verbundenen wirtschaftlichen und haushalterischen Auswirkungen ist ggf. eine Markterkundung durchzuführen. Dies gilt für einen Überblick über die Produkt- oder Leistungsvielfalt, den möglichen Bewerber- /Bieterkreis, aber auch bei möglichen Unsicherheiten im Zusammenhang mit der Ermittlung des Auftragswertes.“

Das Bundesministerium der Verteidigung hat einen „Leitfaden für die Beteiligung der Industrie in Integrierten Projektteams“ ausgearbeitet. Darin befasst sich ein eigener Abschnitt mit der Markterkundung und den zu beachtenden Regeln.

Ein besonderer Fall der Markterkundung, das Interessenbekundungsverfahren, ist schließlich bundesgesetzlich in der BHO verankert. Dieses Verfahren betrifft Fälle, in denen öffentliche Auftraggeber erwägen, Aufgaben statt in Eigenerfüllung künftig durch Private erbringen zu lassen, wobei unklar ist, ob diese mit vertretbarem Aufwand hierzu in der Lage sind. In § 7 Abs. 2 S. 2 BHO heißt es dazu:

„In geeigneten Fällen ist privaten Anbietern die Möglichkeit zu geben darzulegen, ob und inwieweit sie staatliche Aufgaben oder öffentlichen Zwecken dienende wirtschaftliche Tätigkeiten nicht ebenso gut oder besser erbringen können.“

Das Haushaltsrecht verlangt von öffentlichen Auftraggebern geradezu, in regelmäßigen Abständen eine Markterkundung durchzuführen. Denn vielfach werden seit Jahr und Tag Verträge gelebt, denen längst überholte Leistungsstrukturen zugrunde liegen, so dass die Mittel nicht, wie es das Haushaltsrecht verlangt, sparsame und wirtschaftlich verwendet werden. Entsprechendes gilt für den Fall, dass eine Leistungsbeschreibung mehr schlecht als recht „zusammengebastelt“ wird, weil der nötige Marktüberblick fehlt.

Fazit: Die Markterkundung ist gesetzlich anerkannt, vergaberechtlich erlaubt und teilweise sogar erwünscht. Die „richtige“ Markterkundung geht dem Vergabeverfahren voraus. Dieses darf nicht zweckentfremdet werden, um sich durch Auswertung der eingehenden Angebote nur einen Marktüberblick zu verschaffen, wobei ein Zuschlag nicht beabsichtigt ist.

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2. „Wenn ich mich bei einem Unternehmen informiere, darf es später auf keinen Fall den Zuschlag erhalten.“

Falsch! Besprechungen sind erlaubt – Versprechungen nicht!

Richtig ist: Informative Kontakte stehen einem späteren Zuschlag nicht entgegen. Wichtig ist aber, gegenüber Unternehmen stets den Eindruck zu vermeiden, es solle in konkrete Verhandlungen eingetreten, ein Auftrag erteilt oder eine entgeltliche Dienstleistung erbracht werden. Deshalb sollte die Markterkundung nach außen klar als solche bezeichnet und von dem späteren Vergabeverfahren abgegrenzt werden. Zudem sollte jeder Austausch mit Unternehmen in einer Notiz zu den wesentlichen Gesprächsinhalten dokumentiert werden. Unter diesen Bedingungen, ist die Befürchtung, ein Unternehmen komme allein wegen eines Informationsaustauschs im Vorfeld eines Vergabeverfahrens von vornherein nicht für den Zuschlag in Betracht, unbegründet.

Vorsicht: Etwas anderes gilt, wenn das Unternehmen wirklich „vorbefasst“ ist, weil es durch Unterstützung des Auftraggebers im Vorfeld des Vergabeverfahrens Sonderwissen erhält, das ihm gegenüber späteren Mitbewerbern einen echten Wettbewerbsvorteil verschafft (sog. „Projektant“). Hierfür ist übrigens nicht erforderlich, dass zwischen Auftraggeber und Projektant ein Beratungsvertrag besteht (KG, Beschluss vom 27.01.2015, Verg 9/14). In diesem Fall muss der Auftraggeber Maßnahmen ergreifen, um die Vorsprünge des Unternehmens auszugleichen. Das kann durch die Offenlegung von Gesprächsprotokollen oder der Dokumentation der Gespräche und eine ausreichend lange Zeitspanne für die Angebotserstellung erfolgen. Erst wenn all dies nicht hilft, den Vorteil auszugleichen, muss das vorbefasste Unternehmen vom späteren Vergabeverfahren ausgeschlossen werden.

3. „Eine einwandfreie Markterkundung ist unmöglich, da die Anzahl der beteiligten Unternehmen immer begrenzt ist.“

Falsch!

Richtig ist: An einer Markterkundung können niemals alle potenziell am Auftrag interessierten Unternehmen beteiligt werden. Das ist aber auch nicht gefordert. Denn es geht nur darum, einen so ausreichenden Überblick zu erhalten, dass die Leistung eindeutig und erschöpfend beschrieben und wettbewerbsneutral ausgeschrieben werden kann. Eine Beteiligung am Vergabeverfahren steht allen Unternehmen offen, und darauf kommt es letztlich an.

Ergibt die Markterkundung hingegen eine unerschöpfliche Fülle ganz unterschiedlicher Lösungsansätze, sollte der Auftraggeber über ein Verhandlungsverfahren nachdenken. Darin können mehrere Lösungswege in den Wettbewerb gestellt werden, um den wirtschaftlichsten zu ermitteln. Mit der Wahl eines Wettbewerblichen Dialogs oder einer mit der Richtlinie 2014/24/EU neu eingeführte Innovationspartnerschaft können zudem Lösungen gemeinsam mit den Bietern entwickelt werden. Auch hierfür muss ein Auftraggeber aber Grundkenntnisse über die Marktverhältnisse haben.

4. „Im Gespräch mit Unternehmen dürfen keine Einzelheiten zur Leistung erörtert werden.“

Falsch!

Richtig ist: Auftraggeber können sich auf mehreren Wegen einen Marktüberblick zu verschaffen. Entweder informieren sie sich von sich aus in frei verfügbaren Quellen wie Internetauftritten, Werbematerialien oder Publikation oder sie fragen die Informationen direkt bei einigen ihnen bekannten Unternehmen an. Dies kann auch über Aufrufe in Fachmedien oder Besuche auf Messen erfolgen. Schließlich können sie mit Unternehmen, die in Eigeninitiative an sie herantreten, telefonieren oder sie zu Gesprächen oder Präsentationen einladen.

Im Austausch mit Unternehmen dürfen umfassende Details und technische Einzelheiten sowie Vorzüge und Nachteile bestimmter Lösungen erörtert werden. Sogar Preise dürfen erfragt und bezüglich ihrer Zusammensetzung sowie möglichen Vergünstigungen erläutert werden.

Selbstverständlich preisen Unternehmen bei einem derartigen Austausch die Vorzüge der eigenen Produkte an. Und selbstredend steht hinter der Informationsbereitschaft die Absicht, mit dem Auftraggeber ins Geschäft zu kommen. Dennoch bleibt der Auftraggeber verpflichtet, die Leistung, für die er sich nach durchgeführter Markterkundung entscheidet, produktneutral und wettbewerbsoffen zu beschreiben. Nur bei Vorliegen besonderer „sach- und auftragsbezogener Gründe“ darf sich der Auftraggeber auf bestimmte Produkte festlegen, auch wenn dies den Wettbewerb verengt oder ausschaltet (vgl. Soudry, Vergabeblog Nr. 5734 vom 11.04.2010).

5. „Eine Markterkundung kann unterbleiben, weil die Leistung ohnehin nur von einem Unternehmen erbracht werden kann.“

Ein klassischer Trugschluss!

Richtig ist genau das Gegenteil! Ob eine Leistung von mehreren Unternehmen erbracht werden kann, soll gerade mit der Markterkundung herausgefunden werden. Ein Auftraggeber darf nicht ungeprüft davon ausgehen, dass es neben dem ihm bekannten Unternehmen, das typischerweise seit vielen Jahren die fraglichen Leistungen für ihn erbringt, keine weiteren geeigneten Mitbewerber gibt. Indem eine Markterkundung und häufig auch eine Ausschreibung unterbleiben, verhindert er von vornherein, dass andere Unternehmen ihre Eignung unter Beweis stellen (Vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.12.2011, VII-Verg 73/11).

DVNW_Mitglied.pngFazit

Die Sorge öffentlicher Auftraggeber, durch Markterkundungen, Informationsgespräche oder Kontakte mit Unternehmen bei Messebesuchen gegen das Vergaberecht zu verstoßen, ist zwar nachvollziehbar aber juristisch nicht begründet. Im Sinne einer kosteneffizienten und bestmöglichen Beschaffung ist eine Marktsondierung zu empfehlen und manchmal sogar unerlässlich, um als Auftraggeber einen Überblick zu bekommen. Dabei ist insbesondere bei komplexen Produkten und Dienstleistungen nicht vermeidbar, dass sich Auftraggeber nur mit einzelnen Anbietern austauschen. Schließt sich ein geregeltes Vergabeverfahren an, ist das ebenfalls kein Problem. Trotzdem sollten alle Kontakte mit Unternehmen stets mit dem wesentlichen Verlauf der Gespräche dokumentiert werden. Deren Vorteile können dann in einem Vergabeverfahren einfacher ausgeglichen werden, indem die Dokumentation allen Bietern zu Verfügung gestellt wird. Einer Markterkundung steht so nichts im Weg!

Hinweis der Redaktion
Am 15. und 16. Oktober 2015 findet in Berlin der ausgebuchte 2. Deutsche Vergabetag des Deutschen Vergabenetzwerks (DVNW) statt. Diesen Autor treffen Sie auf dem Deutschen Vergabetag 2015.

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Über Dr. Daniel Soudry, LL.M.

Herr Dr. Daniel Soudry ist Fachanwalt für Vergaberecht und Partner der Sozietät SOUDRY & SOUDRY Rechtsanwälte (Berlin). Herr Soudry berät bundesweit öffentliche Auftraggeber und Unternehmen bei Ausschreibungen, in vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren und im Öffentlichen Wirtschaftsrecht. Darüber hinaus publiziert er regelmäßig in wissenschaftlichen Fachmedien zu vergaberechtlichen Themen und tritt als Referent in Fachseminaren auf.

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2 Kommentare

  1. Dr. Christof Schwabe

    Sehr geehrter Herr Kollege Dr. Soudry,

    erlauben Sie mir eine Ergänzung zu Ihrem in der Tat hilfreichen und praxisrelevanten Beitrag.

    Ich würde das Markterkundungs- und das Interessenbekundungsverfahren stärker voneinander abgrenzen:

    Mit der Markterkundung darf und soll sich der öffentliche Auftraggeber eine Marktübersicht verschaffen. Die Erkenntnisse setzt er im nachfolgenden Vergabeverfahren um, sei es im produktneutralen LV oder bei den nachrangigen Verfahren ohne Teilnahmewettbewerb in der Bieterauswahl. Ich erinnere insoweit an den alten § 4 Nr. 1 VOL/A (2006), der sogar explizit vorsah: „Vor einer Beschränkten Ausschreibung und vor einer Freihändigen Vergabe hat der Auftraggeber den in Betracht kommenden Bewerberkreis zu erkunden, sofern er keine ausreichende Marktübersicht hat.“

    Das haushaltsrechtliche Interessenbekundungsverfahren verfolgt meines Erachtens einen anderen Zweck. Es steht nicht zwingend im Zusammenhang mit einem Vergabeverfahren. Es dient ausschließlich der Vorprüfung, ob ein Wille bzw. ein Potenzial der Privatwirtschaft vorhanden ist, eine staatliche Aufgabe oder eine öffentlichen Zwecken dienende wirtschaftliche Tätigkeit ebenso gut oder besser zu erbringen. Das IBV steht also im Privatisierungskontext und unterstützt die Entscheidung der Verwaltung für bzw. gegen die Privatisierung einer staatlichen Aufgabe.

    Viele Grüße aus Koblenz
    Christof Schwabe

    Reply

  2. Daniel Soudry

    Nachtrag:

    Der erste „Diskussionsentwurf“ der neuen VgV zur Umsetzung der Richtlinie 2014/24/EU liegt mit Datum vom 09.10.2015 vor. Dessen § 29 lautet:

    (1) Vor der Einleitung eines Vergabeverfahrens können öffentliche
    Auftraggeber Markterkundungen ausschließlich zur Vorbereitung der
    Auftragsvergabe und zur Unterrichtung der Unternehmen über ihre
    Auftragsvergabepläne und -anforderungen durchführen.

    (2) Die Durchführung von Vergabeverfahren zur Markterkundung und
    zum Zwecke der Kosten- oder Preisermittlung ist unzulässig.

    Die Zulässigkeit der Markterkundung wird damit im Gesetz noch deutlicher bestätigt.

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